Psalm. 49. Andite hær omnes

[659] Lehrpsalm wider die ergernuß ab dem glück der bösen.


1.

Merckt auff jr leut, hört alle gleich

die jr auff erd ietz leben,

Klein, groß, jung, alt, beyd, arm vnd reich,

gut leer wil ich euch geben,[659]

Weißheyt, verstand

wil ich zu hand

mit sprüchen fürher bringen,

Das selb auch sol

recht lauten wol,

auff seyten spil herklingen.


2.

Warumb mein hertz solt förchten sich

in disen bösen tagen?

Ob schon der feind tobt wider mich,

all freundtschafft thut absagen,

Mit stoltzem mut

auff gelt vnd gut

vnd auff sein reichthumb trutzet,

Kunst, weißheyt, gwalt

vnd schöne gstalt

sein hoffart hoch auffmutzet.


3.

Kan doch ein bruder in der not

den andern nicht erretten,

So kan ein mensch auch in den todt

nicht für den andern tretten:

Es kost zu vil

vnd hat kein zil,

ewig ist vil zu lange,

Drumb bleibt jr seel

in hellscher quel,

da muß jn werden bange.


4.

Wann gleich ein mensch hie lange lebt,

ann todt auch nicht gedencket,

Nach weißheyt, gut vnd ehren strebt,

zu letzt sich alles lencket,

Daß weise leut

morgen vnd heut

gleich wie die Narren sterben,

Ir gelt vnd gut

(obs gleich wee thut)

einn andern lassen erben.


5.

Ir hertz ist, daß sie gut vnd ehr

vnd häuser han auff erden

Vnd daß sich jr geschlecht vermehr,

weit außgebreytet werden:

Doch wert jr brang

all hie nit lang,

sie müssens alles lassen,

Hin sterben sie

gleich wie das vieh,

doch könnens sie nicht massen.


6.

Ir thun ist eitel torheyt zwar,

ob sie gleich anderst sagen,

Sie ligen in der Hellen gar,

im todt die Sünd sie nagen,

Ir trutz ist glegt

vnd außgefegt,

des frewen sich die frommen

Vnd werden fro,

daß gleich also

die Gotlosen vmbkommen.


7.

Auß solchem alln erlöst mich Got,

behüt auch für der Sünde.

Ob gleich der Reich seinn willen hat,

gut, ehr vnd grosse freunde,

So fert jm doch

sein gut nit nach,

sein ehr muß hie verschwinden,

Wirt hingericht,

daß er das liecht

dort nimmermehr wirt finden.


8.

Für der schrecklichen finsternuß

wöllstu vns, HERR, behüten,

Daß wir auß allm bekümmernuß,

auß teuffels strick vnd wüten

Vnd aller fahr

entladen gar,

von aller last entbunden,

In deinem Reich

dort Ewiglich

all bei dir werden funden.


Quelle:
Philipp Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, Band 3, Leipzig 1874, S. 659-660.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Reigen

Reigen

Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.

62 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon