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[268] Edgar Lorm machte volle Häuser in München. Der Zulauf war so groß, daß er sein Gastspiel verlängern mußte.

Crammon bezeigte sein Vergnügen darüber und blähte sich auf. Er wandelte umher wie die Amme dieses Ruhmes.

Eines Tages war er bei einer literarischen Dame zum Tee, da entstand in einer Ecke ein Gekicher, das seiner Person galt.[268] Er war sehr erheitert, als er erfuhr, daß die wispernde Gesellschaft, die sich dort zusammengefunden, des festen Glaubens war, er kopiere Lorm als Misanthrop.

Felix Imhof hörte davon und wollte bersten vor Lachen. »Nicht zu leugnen, der Gedanke hat etwas Bestechendes, wenn man dich nicht kennt,« sagte er zu Crammon. »Wahrscheinlich liegt ja die Sache umgekehrt, und du hast Lorm in der Rolle das Modell abgegeben.«

Diese Deutung war schmeichelhafter. Crammon schmunzelte dankbar. Unbewußt vertiefte er die Züge von Weltfeindlichkeit in seinem feisten Domherrengesicht. Als sich Lorm im Kostüm des Alcest photographieren ließ, pflanzte sich Crammon hinter dem Apparat auf und verwandte keinen Blick von der statuenreifen Erscheinung des Schauspielers.

Seine Absicht war, zu lernen. Die Rolle, welche ihm in dem Stück zugeteilt war, das täglich von neun Uhr morgens bis elf Uhr abends gespielt wurde, begann seine Unzufriedenheit zu erregen. Er wünschte sich eine minder episodenhafte. Es schien ihm, daß man den Direktor des Theaters veranlassen könne, eine Umbesetzung vorzunehmen. Er sprach es auch Lorm gegenüber aus. Denn der Schauspieler war ihm nicht mehr, wie in den Jahren der Jugend, Krone und Leuchtpunkt menschlicher Existenz und Gefäß ihrer edelsten Bewegung, sondern Mittel zum Zweck. Man hatte von ihm zu lernen, seine wahren Gefühle bis zur völligen Unbemerkbarkeit zu verbergen; alle Kräfte für den Augenblick zu sammeln, in welchem das Stichwort fiel; mit sich selber hauszuhalten; eine glaubwürdige Maske mit Bravour zu tragen und sich in jeder Situation eines guten Abgangs zu versichern.

Er sagte: »Ich habe mich mit meinen Partnern immer leidlich vertragen. Ich kann behaupten, daß ich ein gefälliger Kollege war und immer in den Hintergrund geschlichen bin, wenn sie an der Rampe ihren Monolog oder ihre große Szene hatten. Aber zwei von ihnen, der erste Liebhaber und die[269] Heroine, haben meine Gutmütigkeit entschieden mißbraucht. Sie haben mich nach und nach aus der Komödie verdrängt. Zu ihrem eignen Schaden; die Intrige hätte famos werden können; seit man mich hinter die Kulissen geschickt hat, droht sie im Sand zu verlaufen. So etwas wurmt einen.«

Edgar Lorm lächelte. »Da scheint mir eher der Dichter gesündigt zu haben als jene beiden,« antwortete er. »Es ist sicher ein Fehler im Bau der Handlung. Auf eine Figur wie Sie verzichtet ein erfahrener Theatermann nicht ohne weiteres.«

»Prosit,« sagte Crammon und hob sein Glas. Sie saßen, spät nachts, im Ratskeller.

»Man muß auch die Entwicklung abwarten,« fuhr Lorm fort, den die Charade ergötzte; »es gibt, namentlich bei guten Autoren, manchmal unerwartete Wendungen. Schimpfen darf man erst, wenn der Vorhang gefallen ist.«

Crammon murmelte verdrossen: »Die Zeit wird lang. Ich will demnächst mal wieder auf die Bühne und sehen, in welchem Akt wir sind. Kann sein, daß ich mir ein Extempore leiste.«

»Für welches Fach sind Sie eigentlich engagiert?« erkundigte sich Lorm; »Bonvivant? Charakter? Heldenväter?«

Crammon zuckte die Achseln. Sie sahen einander ernsthaft an. Um den schmallippigen Mund des Schauspielers blitzte gute Laune. »Seit wann haben wir uns nicht mehr gesehen, mein Vortrefflicher?« sagte er und schlang vertraulich den Arm um Crammons Schulter; »es mögen Jahre sein. Bis vor kurzem hatte ich einen Sekretär, der mir jeden Brief von Ihnen abends auf das Kopfkissen legte. Er wollte damit sagen: Sieh mal, Edgar Lorm, die Menschen sind doch kein so miserables Pack, wie du immer behauptest. Na, er war ein Idealist, aufgewachsen bei Zichorienkaffee, Kartoffeln und Hering. So was findet man zuweilen. Mein guter Crammon, Sie haben Fett angesetzt indessen. Wie rund und behäbig[270] Sie wohnen in der prallen Haut da. Ich bin mager geblieben und zehre von meinem Blut.«

»Das Fett ist nur Attrappe,« versetzte Crammon melancholisch.

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 268-271.
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