13

[281] Christian, Amadeus Voß, Mr. Bradshaw, der Marques Tavera und Fürst Wiguniewski fuhren im Auto, Eva benutzte die Bahn.

Aber sie vertrug Eisenbahnfahrten ebenso schlecht wie lange Autofahrten. In der Nacht lag sie schlaflos auf dem Bett, eingehüllt in Seide, das Gesicht in seidene Kissen geschmiegt. Susanne kauerte vor ihr, reichte ihr bald eine Parfümflasche, bald ein Buch, bald eine Süßigkeit, bald ein Glas eisgekühlte Limonade. Ein Prickeln war in ihren Gliedern, das sie nicht ruhen ließ, auf ihrer Brust lag der Alp, ihre Stirn zuckte zwischen Denken und Phantasien, zwischen Wollen und Überdruß am Wollen. Der Gesang der Räder auf den Schienen zerschnitt ihre Nerven, das Vorbeigleiten der nie so schwarz gewesenen Nacht reizte wie ein ins Unendliche auseinandergeflossenes Wahngebilde; sie sah Landschaften, in denen Bosheit war, Wälder, die tückisch den Weg versperrten, verwunschene Häuser und verstörte Menschen.

»Die Zeit ist ein Quälgeist,« hauchte sie; »ich möchte, daß sie vor mir stünde, und ich könnte zusehen, wie man sie peitscht.«

Susanne neigte sich über sie und schaute sie aufmerksam an.

»Was erhoffst du eigentlich von ihm?« flüsterte sie auf einmal in zärtlichem Ton, »was bedeutet das Spiel mit ihm? Er ist der Banalste von allen. Ich habe aus seinem Mund noch nie ein Wort von Schliff und Geist gehört. Weiß er, was[281] du bist? Nicht im Traum. Seine Träume sind gewiß so leer wie sein Kopf. Dein Tanzen gilt ihm ungefähr soviel wie einem mittleren Bürger die Sprünge einer Provinzballerine. Die Nationen liegen dir zu Füßen, während er sich zu seinem überheblichen Lächeln entschließt. Du hast der Welt eine neue Gattung Glück geschenkt, und dieser deutsche Selbstgewiß steht ahnungslos und ungebildet.«

Eva sagte: »Wenn es zu düster ist an der Nordsee, fahren wir ans Meer nach Süden.«

»Man möchte ihm in die Ohren schreien: Auf die Knie mit dir! Bete an!« ereiferte sich Susanne. »Doch eher käme die Vendomesäule ins Wanken. Warum wankt er nie? Ich habe ihm geschildert, wie wir in Rußland auf Händen getragen worden sind, was für ein Taumel das war, was für Feste, was für Eruptionen von Begeisterung. Er machte ein Gesicht dazu, als läse man ihm eine mäßig interessante Nachricht aus der Zeitung vor. Ich sprach vom Großfürsten; runzle nicht die Stirn, ich konnte nicht anders, ich wäre sonst erstickt. Der Dschingiskhan an der Kette, ein Schauspiel, bei dem jedes Herz höher schlägt; eine eiserne Barbarenseele zerschmolzen, das passiert nicht alle Tage. Fünfzig Millionen zitternde Sklaven, und das übrige nach dem Wort: Sonne stehe still zu Gideon und Mond im Tale Ajalon. Dichter könnten es nicht schöner dichten. Hättest du zugehört, wie ich ihm zu Leibe gerückt bin, du wärst erstaunt gewesen über mein Talent, Goldfäden auf Sackleinwand zu sticken. Vergebliche Mühe. Er blieb bei regelmäßigem Atem wie eine Uhr. Ein paarmal schien mir, er zucke zusammen, aber es war eine Fliege schuld, die ihn an der Nase kitzelte.«

»Ob die Toiletten aus Paris schon in Heyst sein werden?« fragte Eva. Das lange Oval ihres Gesichtes dehnte sich, die Lippen kniffen sich ein wenig ein, die weißen Zähne blitzten hervor wie frisch geschälte Mandeln.

»Warum hast du dich ihm verweigert?« fuhr Susanne fort;[282] »was man besitzt, hat man schon besessen, aufgeschobene Lust wird Last. Sie sollen die Sprossen deiner Leiter sein, weiter nichts. Alle Seligkeit der Nächte für dich; beim ersten Hahnenschrei mögen sie sich trollen. Wodurch verdient gerade er einen Vorrang? Weil du die Laune hattest, ein Götzenbildchen aus ihm zu schnitzen? Wozu hast du ihn gerufen? Ich habe Angst. Du wirst eine Dummheit machen.«

Eva schwieg. Ihre Zungenspitze zeigte sich zwischen den Lippen, ihre Augen schlossen sich listig. Diese Miene zu verstehen glaubend, sagte Susanne: »Es ist wahr, er besitzt den wunderbaren Diamanten, um den du Tränen geweint hast; es ist wahr. Aber du brauchst nur zu befehlen, und man wird dir die Schuhe mit solchen Steinen garnieren.«

»Wann hätte ich je um einen Diamanten geweint, du Lügnerin?« fragte Eva gleichgültig. Sie richtete sich empor; ganz in durchsichtige, wehende, blütenleichte Stoffe gehüllt, glich sie einem Geist, der aus dem Nichts entstanden ist. »Wann hätte ich je um einen Diamanten geweint?« wiederholte sie und faßte Susannes Schulter an.

»Du hast es erzählt, mir selbst erzählt.«

»Ein besseres Argument hast du nicht?« Eva lachte; das Lachen war ihre sinnlichste Äußerung, wie das Lächeln ihre geistigste war.

Susanne faltete die Hände und sagte ergeben: »Volvedme del otro lado, que de este ya estoy tostado,« was ein spanischer Stoßseufzer war: Legt mich auf die andre Seite, denn auf dieser bin ich schon geröstet.

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 281-283.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Christian Wahnschaffe
Christian Wahnschaffe (2)
Christian Wahnschaffe (2); Roman in Zwei Banden
Christian Wahnschaffe Band 1
Christian Wahnschaffe Band 2
Christian Wahnschaffe: Roman