[260] Ihre Freunde beobachteten die Entwicklung gespannt. Daß sie Maidanoff ernstlich Widerstand leisten werde, erwartete keiner. Als es dennoch so schien, bewunderte man nur die Finesse. Paris prophezeite ihr die glänzendste Zukunft. Ihr Tun und Lassen war Mittelpunkt der öffentlichen Neugier und füllte Zeitungsspalten.[260]
Als sie nach Rußland kam, hatten die Behörden und Geschäftsstellen Befehle erhalten. Eine Königin hätte nicht subtiler behandelt werden können. Die palastartigen Räume eines Hotels waren vorbereitet und geschmückt. Sklavendemut umgab sie.
Bei dem ersten Besuch des Großfürsten bat sie ihn, den Zwang aufzuheben, der sie zur Schuldnerin machte. Er verschlang ihre Worte mit einem frostigen Lauern im Gesicht, zog aber keine Folgen daraus. Sie empörte sich gegen diese Trägheit einer Willensrichtung, dieses taube Ohr, das gierig lauschte.
Seine Menschenverachtung hatte etwas Zermalmendes. Sie äußerte sich wie Schläfrigkeit. Mensch, du klebriger Schleim, wirf dich hin und vergeh, sprachen seine trägen Augen.
In seiner Gegenwart waren Evas Gedanken bisweilen so laut, daß sie fürchtete, man könne sie hören.
Sie wagte es, mit ihm zu rechten. Ein junges Mädchen, Wera Scheschkow, hatte den Stadthauptmann erschossen. Sie hatte den Mut, diese Tat zu preisen. Er antwortete glatt und entschlüpfte gefühllos. Sie forderte ihn stärker heraus. Ihr erzogener Körper schwang im Rhythmus der Bitterkeit und Erschütterung. Sie war hineingeschmolzen in Schmerz, Zorn und Anteil.
Er betrachtete sie, wie man eine Edelkatze anschaut, deren Spiel entzückt. Er sagte: »Sie sind außerordentlich, Madame. Ich wüßte nicht, welchen Ihrer Wünsche ich unerfüllt lassen könnte um den Preis, Sie zu besitzen.« Er sagte es mit seiner tiefen Stimme, die heiser klang; er hatte auch eine hohe, die an das Kreischen rostiger Angeln erinnerte.
Evas Schultern zitterten. In seiner eisigen Selbstherrlichkeit spiegelte sich nichts mehr von ihrem Wesen; daran zerschellte es.
Zweimal sah sie ihn sich verändern und aufzucken. Das erstemal, als sie sich zu ihrer deutschen Abkunft bekannte. Eingefleischter Haß erfüllte ihn gegen alles Deutsche und alle Deutschen.[261] In seinen Mienen lag böser Hohn; er entschloß sich, ihr nicht zu glauben und ließ das Thema fallen.
Das zweitemal war es, als sie von Iwan Michailowitsch Becker sprach. Es zwang sie; sie mußte ihn heraufbeschwören. Der Name war ein Arkanum.
Da schoß ein peitschender Blick aus den trägen Augen. Die zwei senkrechten Einkerbungen zwischen den Brauen verlängerten sich wie die Fühler eines Insekts; eine plötzlich querlaufende bildete ein düsteres Kreuz mit ihnen. Das Gesicht wurde fahl.
Susanne war ungeduldig; sie trieb und lockte. »Was besinnst du dich?« sagte sie eines späten Abends zu ihrer Herrin. »So nah dem Gipfel gibt es kein Zurück. Unsre Träume in Toledo; wir dachten wunder, wie frech sie seien. Die Wirklichkeit beschämt uns. Greif zu. Niemals werden deine süßen kleinen Füße Größeres ertanzen.«
Eva ging mit federnden Knien im Kreis über den Teppich. »Sei still,« sagte sie gedankenvoll und drohend, »du weißt nicht, wozu du rätst.«
Auf dem Kaminbord hockend, verfolgte Susanne mit ihren glanzlosen Pflaumenaugen die Unschlüssige. »Bist du bange?« fragte sie mit gerunzelter Stirn.
»Ich glaube, ich bin bange,« entgegnete Eva.
»Erinnerst du dich an den Bildhauer, den wir im Winter besuchten? Es war in Meudon. Er zeigte uns seine Skulpturen, und ihr spracht über die Kunst. Er sagte: Ich darf nicht bangen vor dem Marmor, der Marmor muß bangen vor mir. Beinahe hättest du ihn geküßt für dieses Wort. Sei nicht bange, du bist die Stärkere.«
Eva blieb stehen. »Cette maladie, qu'on appelle la sagesse!« seufzte sie.
Da ging Susanne zum Flügel und begann mit eckigen und flattrigen Bewegungen eine Chopinsche Polonäse zu spielen. Eva hörte eine Weile zu, dann trat sie hinter die Spielerin,[262] tippte ihr mit einem Finger auf die Schulter und sagte, als Susanne die Hände ruhen ließ, mit dunkel gurrender Stimme: »Wenn es denn sein muß, so will ich erst einen Liebessommer haben, wie noch keiner gewesen ist auf Erden. Sprich nicht, Susanne, spiel weiter und sprich nicht.«
Susanne sah auf und schüttelte verwundert den Kopf.
Ausgewählte Ausgaben von
Christian Wahnschaffe
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