[422] Als Christian sein Zimmer betrat und das elektrische Licht aufflammte, wunderte er sich, Johanna am Tisch sitzen zu sehen. Sie schützte die geblendeten Augen mit der Hand. Er blieb an der Türe stehen. Die gerunzelte Stirn glättete sich wieder, als er die unsägliche Blässe in Johannas Gesicht bemerkte.
»Ich muß reisen,« hauchte Johanna, »ich habe ein Telegramm bekommen, ich muß sofort nach Wien.«
»Auch ich reise ab,« antwortete Christian.
Eine Weile herrschte Schweigen. Dann begann Johanna: »Seh ich dich wieder? Kann ich dich wieder sehn? Darf ichs?« In den bescheidenen Fragen verriet sich die Zerrissenheit ihres Innern. Sie lächelte geduldig und verzichtend.
»Ich werde in Berlin sein,« erwiderte Christian. »Willst du wissen, wo, ich selbst weiß es noch nicht, so wendest du dich am besten an Crammon. Crammon ist leicht erreichbar. Seine Damen in Wien schicken ihm alle Briefe.«
»Wenn du wünschest, kann ich nach Berlin kommen,« sagte Johanna mit demselben geduldigen und verzichtenden Lächeln. »Ich habe dort Verwandte. Aber ich glaube, du wünschst es nicht.« Dann, nach einer Pause, während der[422] sich der Blick ihrer sanften Augen ziellos verlor: »Soll also Schluß sein?« Sie hielt den Atem an und war gespannt wie die Sehne am Bogen.
Christian trat an den Tisch und stützte den Zeigefinger einer Hand auf die Platte. Mit gesenktem Kopf sagte er langsam: »Fordere jetzt nicht Entscheidungen von mir. Ich kann sie nicht geben. Ich möchte dir nicht weh tun. Ich möchte nicht, daß sich etwas wiederholt, was schon so oft dagewesen ist in meinem Leben. Treibt es dich, so komm, und achte nicht auf mich dabei. Denke nicht, daß ich vorhabe, dich im Stich zu lassen; es ist nur momentan eine kritische Zeit. Mehr kann ich dir nicht sagen.«
Aus diesen Worten konnte Johanna nichts für sich entnehmen als Hoffnungsloses. Dennoch tönte etwas hinter ihnen, das ihren egoistischen Schmerz linderte. Mit der ihr eignen schlanken Bewegung streckte sie Christian den Arm hin, und in damenhaft starrer Haltung, matt lächelnd, sagte sie: »Also, auf Wiedersehn – vielleicht.«
Ausgewählte Ausgaben von
Christian Wahnschaffe
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