Viertes Bild


[543] Gerichtssaal.

Am Mitteltisch der Oberrichter, zwei Richter, der Aktuar und als Schreiber junge Prinzessin Alma, die das Protokoll vor sich hat. Rechts vom Mitteltisch das Katheder für den Prokurator des Königs, links dasjenige des Verteidigers. Rechts auf den Stufen hocken Meister Pandolfo und seine Gesellen als Zeugen. Zu den von Hellebardieren bewachten Ausgängen drängt sich das Volk herein.


DER OBERRICHTER. Ich eröffne die Sitzung im Namen Seiner erhabenen Majestät des Königs. Sämtliche Anwesende erheben sich von ihren Sitzen. – Ich erteile vorerst dem Vertreter der Anklage, dem Herrn Silvio Andreotti, Doktor beider Rechte und Prokurator des Königs, auf sein Verlangen das Wort.[543]

DER PROKURATOR DES KÖNIGS. Unter der segensreichen Herrschaft unseres erhabenen und geliebten Königs Pietro Die Anwesenden erheben sich. ist es in unserer Stadt Perugia zur Gepflogenheit geworden, daß dem Bürger, um sein Vertrauen in die unerschütterliche Unbestechlichkeit unserer Rechtsprechung zu befestigen, gestattet wurde, sich während unserer Verhandlungen im Gerichtssaal aufzuhalten. Angesichts des heute zur Verhandlung gelangenden Verbrechens ersuche ich hingegen die Richter, sie möchten die hier versammelten Zuhörer, um sie vor einem allzu tiefen Einblick in die Verworfenheit der menschlichen Natur zu bewahren, von unserer Verhandlung ausschließen.

DER OBERRICHTER. Dem wohlüberlegten Vorschlage des würdigen Herrn Prokurators soll entsprochen werden.


Die Zuhörerschaft wird durch Hellebardiere mit quergehaltener Waffe lautlos aus dem Saal gedrängt.


DER OBERRICHTER. Unser erhabener König Pietro Die Anwesenden erheben sich. hat die weise und gnädige Bestimmung getroffen, daß einem jeden unbemittelten Angeklagten, gleichviel aus welchem Lande er immer sein mag, auf Kosten unserer Stadt ein rechtskundiger Verteidiger zur Seite zu geben sei. Der würdige Herr Corrado Ezzelino, Lehrer und Doktor beider Rechte, hat sich bereit erklärt, heute dieses Amtes zu walten. Nunmehr erteile ich unserem würdigen Herrn Gerichtsaktuar Matteo Nerli auf sein besonderes Verlangen das Wort.

DER GERICHTSAKTUAR. Hochwürdige und weise Richter! Der Krampf, der infolge einer langjährigen nimmermüden Tätigkeit im Dienste des Gesetzes die Bewegungen meiner Rechten lahmt, läßt mich der Ehre nicht teilhaftig sein, eigenhändig das Protokoll unserer heutigen Verhandlung aufzusetzen. An meiner Seite sehet Ihr meinen Schreiberlehrling, einen mir liebgewordenen aufgeweckten Knaben, trotz seiner Jugend mit ganz außergewöhnlicher Liebe zur Rechtsgelehrsamkeit begabt, dem ich das Niederschreiben des Protokolls unter Führung und Beaufsichtigung seines Herrn anzuvertrauen bitte.[544]

DER OBERRICHTER. Euer Wunsch ist erfüllt, Meister Matteo. Die Zeugen Die Zeugen erheben sich von den Stufen. die zu der heutigen Sitzung geladen wurden, haben sich sämtlich in Person eingefunden. – Man führe den Angeklagten vor.


Der König wird von Hellebardieren links hereingeführt. Prinzessin Alma schrickt bei seinem Anblick etwas zusammen, tut sich aber Gewalt an und richtet ihr Schreibzeug her.


DER OBERRICHTER. Du nennst dich Ludovicus und hast vordem in Baschi dem Hüten von Vieh obgelegen. Angeklagt bist du des Crimen laesae majestatis, wie es schon durch die unvergängliche Gesetzgebung unserer großen Vorfahren, der alten Römer, mit schweren Strafen bedroht worden ist! des Verbrechens der verletzten Majestät oder wie es mit andern Worten heißt, der Beleidigung der geheiligten Person des Königs. Bekennst du dich dieses Verbrechens für schuldig?

DER KÖNIG. Ja.

DER GERICHTSAKTUAR zu Alma. »Ja« hat er gesagt. Aufschreiben, mein Junge! Genau aufschreiben!

DER OBERRICHTER. Nach den übereinstimmenden Aussagen von vier einwandfreien Zeugen Die Zeugen erheben sich. waren deine Worte: »Dreimal Fluch auf den König! Es falle des Königs Haupt unter dem Henkerbeil!«

DER KÖNIG. Das waren meine Worte.

DER GERICHTSAKTUAR zu Alma. »Das waren meine Worte!« Josef Maria, eine Tintensau! Junge, ist denn heute der Leibhaftige in dich gefahren?!

DER OBERRICHTER. Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?

DER KÖNIG. Nichts.

MICHELE zu den andern Zeugen. Nichts hat er vorzubringen! Habt ihr's gehört? Er hat nichts vorzubringen!

MEISTER PANDOLFO. Aus elendiger Rachsucht gegen mich spie er seine gräßlichen Flüche aus! Mich, mein Geschäft und meine ganze Familie wollte er ins Verderben stürzen!

DER OBERRICHTER. Ruhe auf der Zeugenbank! – Nun, was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?[545]

DER KÖNIG. Nichts. – Nach der Majestät Gottes steht wohl die Majestät des Königs am höchsten in dieser Welt. So wenig wie Gottes Majestät je unter den Flüchen der niedrigen Menschheit gelitten, so wenig leidet wohl auch die Majestät des Königs darunter. Könnte die Majestät Gottes dadurch verringert werden, daß die niedrige Menschheit erklärt: Wir glauben nicht mehr an dich? Könnte die königliche Majestät dadurch verringert werden, daß die niedrige Menschheit sagt: Wir gehorchen dir nicht mehr? Lachend. Wer wollte das auch nur für möglich halten! Gott ist in Niedrigkeit auf Erden gewandelt, und die niedrige Menschheit glaubte ihn zum Tode zu führen. Und so mag die niedrige Menschheit glauben, den König zu verjagen; er bleibt, wo er war. Ob sie ihm zurufen, es falle dein Haupt unter dem Henkerbeil, es tut ihm keinen Eintrag. Deshalb, mag auch nächst der Lästerung Gottes die Lästerung des Königs das fluchwürdigste Verbrechen sein – ein Verbrechen, dessen ich mich, wie ich offen bekannte, mit meinen Worten schuldig gemacht – mir scheint es für den König zu gleichgültig und zu geringfügig, als daß er es je zu rächen brauchte; mir scheint es zugleich zu furchtbar, als daß die niedrige Menschheit sich vermessen dürfte, es je zu sühnen. Hat doch die niedrige Menschheit keine höhere Gewalt als über Leben und Tod, und kann sie doch nicht wissen, ob der Elende nicht den Tod, und sei er noch so qualvoll, als die Erlösung von tausend Qualen willkommen hieße! – Diese Gründe habe ich dafür zu nennen, daß für mein Verschulden von den Richtern, vor denen ich stehe, keinerlei Strafe über mich verhängt werden kann. Allgemeines Räuspern und Husten der Empörung. Jetzt laßt mich, webe und geehrte Richter, die Gründe nennen, die es euch zur heiligen Pflicht machen, mich unter Anwendung der äußersten Strenge menschlicher Gerechtigkeit zu verurteilen.

NOÈ zu den andern Zeugen. Ich habe es euch doch gleich gesagt: der Kerl ist vollkommen verrückt![546]

DER OBERRICHTER. Ruhe auf der Zeugenbank! – Zum König. Sprich weiter!

DER KÖNIG. Der Majestät des Königs konnten meine Worte, wie ich es der menschlichen Vernunft gemäß erwiesen, keinerlei Eintrag tun. Aber leider ist das Vertrauen in die Majestät des Königs nächst dem Vertrauen in die Allgüte einer Vorsehung das höchste und heiligste Besitztum der – niedri gen Menschheit. Was die Erdensöhne seit undenklichen Zeiten an ewigen Wahrheiten, gegen die sich keiner, sei er Gebieter oder Sklave, ungestraft versündigt, erfahren haben, das stellten sie unter Gottes heilige Obhut. Alles, was ihr und der Ihrigen Leib und Leben, was ihre Habe und das Gedeihen ihres Tagewerkes betrifft, das stellten sie in kindlichem Vertrauen in die Weisheit ihrer Vorfahren in ihres Königs Obhut. In ihrem Könige erkennt die – niedrige Menschheit das Abbild des eigenen Glückes, und wer dieses Abbild befleckt, der raubt ihr den Mut zur Arbeit und die Ruhe der Nacht. Dieser Untat bin ich in weit höherem Maße schuldig, als es menschliche Gerechtigkeit ermißt. Unmöglich kann die Strafe, die man über mich verhängt, der Schwere meines Verbrechens gleichkommen. Mag sie sich gegen mein Leben richten, mag sie ausfallen, wie immer sie will, ich werde sie als eine Gnade des Himmels aus eurer Hand, ihr Richter, entgegennehmen.

DER OBERRICHTER. Die Gnade deines Herrn, unseres teuren und geliebten Königs, Die Anwesenden erheben sich. hat dir einen rechtskundigen Verteidiger zur Seite gegeben. – Der würdige Herr Corrado Ezzelino, Lehrer und Doktor beider Rechte, hat das Wort.

DER VERTEIDIGER erhebt sich, er spricht dem Gerichtshof gegenüber de- und wehmütig, mit größter Unterwürfigkeit. Meine hochwohlweisen, hochgerechten, würdigen, hochgeehrten Richter! Erlaubt mir vorerst ein Wort über unseren wackeren und verdienten Mitbürger, den Schneidermeister Cesare Pandolfo, zu reden. Während der folgenden beginnt Pandolfo heftig zu schluchzen und wird von seinen Gesellen durch Gebärden getröstet. Tiefgebeugt unter der Wirkung des unter seinem[547] Dache begangenen verabscheuenswürdigen Verbrechens sehen wir ihn heute auf der Zeugenbank sitzen. Wir alle kennen die Tüchtigkeit seiner Gesinnung; wir alle, wie wir hier versammelt sind, kennen Auf seinen Talar deutend. die Gediegenheit seiner Arbeit. Keinem unter uns wird es je einfallen, dessen glaube ich Meister Pandolfo in unser aller Namen versichern zu dürfen, ihn auch nur im entferntesten mit dem unter seinem Dache begangenen, verabscheuenswürdigen Verbrechen in Beziehung zu bringen! – Von jetzt an mit verächtlicher Gleichgültigkeit. Was nunmehr den Angeklagten betrifft, den zu verteidigen ich die traurige Pflicht habe, so ist er augenscheinlich ein ganz verkommenes Subjekt, viel würdiger unserer tiefsten Verachtung als eines nach den erhabenen Normen des hohen römischen Rechtes klüglich gefällten Urteils. Lasset, o Richter, an diesem Auswurf unserer teuren menschlichen Gemeinschaft das Wort der Schrift sich bewahrheiten, in der es heißt: Du sollst deine Perlen nicht vor die Säue werfen! Da der Angeklagte in seiner beispiellosen, geistigen und sittlichen Verkommenheit die Ehre, die ihm durch ein auf der heiligen Waage der Gerechtigkeit abgewogenes Urteil zuteil würde, unmöglich ihrem volle Werte entsprechend zu schätzen wüßte, so ersuche ich euch, hochwohlweise und geehrte Richter, um der Hoheit unseres Berufes nicht zu nahezutreten, es bei einer In zärtlichem Ton. Prügelstrafe bewenden zu lassen. Sollte euch, hochwohlweise und geehrte Richter, eine Prügelstrafe nicht ausreichend erscheinen, so könnte die Prügelstrafe vielleicht durch eine dreitägige Ausstellung am Schandpfahl auf dem Markte von Perugia ergänzt werden.

DER OBERRICHTER. Ich erteile das Wort dem Prokurator des Königs, unserm würdigen Herrn Silvio Andreotti, Doktor beider Rechte.

DER PROKURATOR DES KÖNIGS der sich während der ganzen Verhandlung stöhnend und gähnend in seinem Sessel gewälzt hat, erhebt sich und schimpft und zetert rein geschäftsmäßig, aber doch mit allen Gebärden sittlicher Empörung drauflos, indem er dabei dem Gerichtshof[548] seine tiefste Verachtung fühlen läßt. Geehrte Richter! Der Angeklagte ist, wie die treffliche Verteidigungsrede des würdigen Herrn Corrado Ezzelino richtig festgestellt hat, ein verkommenes Subjekt, ein Auswurf unserer teuren menschlichen Gemeinschaft, ein Individuum von beispielloser, sittlicher Verkommenheit, dem ich indessen eine gewisse geistige Verschmitztheit, um mich deutlicher auszudrücken, eine gewisse Bauernschlauheit nicht absprechen möchte. Auf diese Bauernschlauheit deuten seine eigenen Worte hin, die er hier gesprochen, sowie die Tatsache, daß er in der Absicht, unsere Urteilskraft von vornherein durch einen günstigen Eindruck zu bestechen, seine Tat gar nicht zu leugnen versucht hat. Wenn nun aber ein auf der tiefsten Stufe menschlicher Verkommenheit stehendes Individuum ein so himmelschreiendes Verbrechen begeht, dann ist dieses Individuum überhaupt nicht mehr als menschliches Wesen anzusehen, sondern als wildes Tier, und als solches, wie der Angeklagte, in der Absicht, unsere Urteilskraft zu bestechen, selber sehr treffend hervorhob, als der verderblichste Feind unserer so teuren menschlichen Gemeinschaft, die mich und euch, ihr Richter, zu ihrem Schütze berufen und hierhergestellt hat. Solch ein wildes Tier verdient aber durch seine Niedrigkeit sowie durch seine Gemeingefährlichkeit kein anderes Schicksal, als daß es durch den Tod vernichtet und seine Spur von dieser Erde vertilgt werde! Er flegelt sich gelangweilt in seinen Sessel zurück.

DER OBERRICHTER. Angeklagter Ludovicus! Was hast du hierauf noch zu sagen?

DER KÖNIG. Nichts.

DER OBERRICHTER. Die Zeugen sind entlassen! – Das Gericht zieht sich zur Fällung des Urteils in das Beratungszimmer zurück.


Die Zeugen, der Richter und der Prokurator des Königs verlassen den Saal.


DER GERICHTSAKTUAR die Hände über den Kopf zusammenschlagend, zu Alma, die in Tränen gebadet, über dem Protokoll sitzt. Hilf mir, heilige Maria, Mutter Gottes, hat[549] mir der Bengel in seiner Albernheit mein ganzes Gerichtsprotokoll vollgeheult! Nicht ein Buchstabe mehr zu lesen! Die Blätter aufeinandergeklebt!

ALMA schluchzend. O mein Gott, er ist unschuldig! Ich weiß es, daß er unschuldig ist!

DER GERICHTSAKTUAR. Was hat denn dich das zu kümmern, ob er schuldig ist oder unschuldig! Ist es dein Kopf oder ist es sein Kopf, den man ihm abschlägt!

DER KÖNIG abgewandt, aber mit Nachdruck. Meine Worte waren: Und so falle denn endlich des Königs Haupt auf dem Markte von Perugia unter dem Henkerbeil!

DER GERICHTSAKTUAR zu Alma. Da hörst du es, wie unschuldig er ist!!

ALMA erhebt sich unwillkürlich, die Worte halblaut aber sehr rasch hervorstoßend. Heiliger Gott im Himmel, der du Erbarmen hast mit allen Armen und Elenden, bewahre uns davor!

DER GERICHTSAKTUAR. Nun siehst du, du bist ein wackerer Junge und hast das Herz auf dem rechten Fleck! Zu den Gerichtsverhandlungen werde ich dich freilich so bald nicht wieder mitnehmen. Du mußt zu Hause das ganze Protokoll nach deinem Gedächtnis noch einmal aufsetzen. Dabei lernst du mehr, als wenn du das ganze Corpus juris durchstudierst!

DER VERTEIDIGER hat, nachdem die Richter den Saal verlassen, ein Paket mit belegten Butterbroten, eine Kürbisflasche und einen Becher aus seinem Talar gezogen. Flasche und Becher hat er vor sich aufgepflanzt; darauf kommt er, mit Frühstücken beschäftigt, nach vorn. Nun, Gigi, war das nicht eine ciceronianische Verteidigungsrede, die ich da für dich gehalten habe? Aber was weißt du von Cicero! Du erlaubst mir schon, daß ich frühstücke! Ich hatte ursprünglich die Absicht, meiner Verteidigungsrede ein kleines Curriculum vitae einzuflechten, eine anschauliche Schilderung deines Viehhütens usw. Aber aufrichtig gesagt, Gigi, ich glaube, das hätte dir bei diesen Hinausdeutend, im Gegensatz zu seiner früheren Unterwürfigkeit im Ton aller tiefster Verachtung. Hornochsen da draußen auch nicht viel geholfen![550]

DER KÖNIG. Ich sage Euch meinen Dank für Eure Bemühung, würdiger Doktor Ezzelino.


Die Richter ohne den Prokurator kommen aus dem Beratungszimmer zurück und nehmen ihre Plätze wieder ein.


DER OBERRICHTER rasch und geschäftsmäßig ein Schriftstück verlesend. Der Angeklagte Ludovicus, bis anhin Schneiderlehrling in Perugia, vordem auf dem Dorfe Baschi mit dem Hüten von Vieh betraut, ist des Verbrechens der Beleidigung der geheiligten Person des Königs angeklagt und wurde dieses Verbrechens auf Grund übereinstimmender Zeugenaussagen sowie seines eigenen Geständnisses für schuldig befunden. Der Angeklagte wurde verurteilt, in Anbetracht seiner bisherigen Unbescholtenheit, sowie in Anbetracht seines freiwillig abgelegten Geständnisses zu zweijähriger Kerkerhaft ...


Alma stößt unwillkürlich einen verhaltenen Schrei aus.


DER GERICHTSAKTUAR zu einer Ohrfeige ausholend. Junge, willst du dein Maul halten, wenn der Richter spricht!

DER OBERRICHTER. ... des weiteren zu zehnjährigem Verlust aller bürgerlichen Rechte und Ehren, sowie Langsam und mit Nachdruck. zur Verweisung aus der Stadt Perugia für die ganze Dauer seines Lebens unter Verhängung der Todesstrafe im Falle jemaliger Rückkehr.

DER GERICHTSAKTUAR zu Alma. Schreib auf, mein Junge! Schreib auf! Das ist das Allerwichtigste!

DER OBERRICHTER rasch weiterlesend. In Anbetracht der Tatsache, daß der Angeklagte nicht die geringste Spur von Reue über seine Tat an den Tag gelegt hat, wurde das Urteil dahin verschärft, daß er seine zweijährige Kerkerstrafe in allerstrengster Einzelhaft zu verbüßen hat. – Gegeben im Namen des Königs am dritten Tage des Monates August im Jahre des Heiles Eintausendvierhundertundneunundneunzig. – Zu den Wachen gewendet. Der Gefangene wird abgeführt! Sich erhebend, zu den Richtern mit verbindlicher Verbeugung. Damit erkläre ich die heutige Verhandlung für geschlossen. Gesegnete Mahlzeit!

Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 543-551.
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