[396] Kennst du die hohe, dunkle Gartenpforte,
Die ernst verschwiegen an der Straße steht?
Wohl niemand ahnte, welche süßen Worte
In ihrem Schutz der Abendwind verweht.
Dort trat ich ein; von freudigem Erwarten
Schwoll mir das Herz wie dem beschenkten Kind;
Ein leises Flüstern wehte durch den Garten
Von guten Geistern, die dort heimisch sind.
Auf schatt'ger Bank ließ ich mich zaudernd nieder
Und trank der Rose wollustschweren Duft;
Ob meinem Haupt knistert es im Flieder;
Zwei Vöglein zwitschern durch die Abendluft.
Wie aber ward mir, als du vor mich tratst,
Ein Götterbild aus fernen Griechenzeiten,
Als du bedeutungsvoll und lächelnd batst,
Dich tiefer in den Garten zu begleiten.
Dort wurde mir aus Abend und aus Morgen
Der erste Lebenstag, den ich gelebt –
Oh, daß so lange mir das Glück verborgen,
Nach dem das Herz dem Knaben schon gebebt!
Oh, Ella, Ella, tausend Seligkeiten
In einen einz'gen Atemzug gedrängt;
Die Triebe aus der Menschheit frühsten Zeiten,
Von wonnekund'ger Götterhand gelenkt;
Der Kindheit ahnungsvolle, lose Spiele
Verwandelt in unendlichen Genuß;
Oh, Ella, alle himmlischen Gefühle
In einem einz'gen Liebeskuß –
Welch hohes Wort, das Menschengeist ersann,
Welch reicher Dank mag diese Stunde lohnen![396]
Laß ewig mich in deinem Garten wohnen,
Ist alles, was die Lippe stammeln kann.
In seiner Büsche stillem Heiligtum
Nahm ich, als Balsam jeder Erdenqual,
Von deinem Mund das heilige Abendmahl
Zum großen Liebesevangelium.[397]
Ausgewählte Ausgaben von
Die vier Jahreszeiten
|