Frühlingslied

[416] Aus dem Französischen


Hörtest du die Sonne frohlocken,

Als du aus dem Fenster geschaut:

Wald und Feld und Wiesen sind trocken,

Warten auf Bräutigam und Braut.

Zieh dein weißes Hemd an, mein Schätzchen,

Das du keusch im Kasten verwahrt,

Komm hinaus zum lauschigen Plätzchen,

Wo sich die Vöglein längst gepaart!


Ja, das ist ja der holde Mai!

Laßt uns wandeln zu zwei und zwei

Durch den Hochwald auf blumigen Pfaden!

Wo das Auge des Himmels lacht,

Küssen wir, daß es man so kracht

Vom Genick hinab in die Waden!


Horch, wie ohne Geld in den Zweigen

Sieben Treppen hoch unterm Dach

All die Künstler zwitschern und geigen!

Keiner zählt seine Barschaft nach.

Und die Blümelein auf den Auen,

Dran dein Auge sich innig erquickt,

Brauchen sie auf den Pfennig zu schauen,

Wo sie umsonst ihr Schneider schmückt!


Ja, das ist ja ... usw.


Ach wie billig ist doch das Leben,

Wenn man keine Ausgaben hat.

Höchste Wonne liegt gleich daneben,

Bringst du sie mir doch mit aus der Stadt.

Sicherlich läßt du mich nicht darben,

Wenn auf meine Kosten du fährst.

Trägt der Wald doch der Hoffnung Farben,

Hoff ich, daß du mir drin gehörst.


Ja, das ist ja ... usw.[416]


Alsdann wolln zu Mittag wir speisen,

Wo des Rasens Tischtuch uns winkt.

Unsere Mahlzeit soll euch beweisen,

Wie man als Künstler ißt und trinkt.

Deine Locken sind das Gemüse,

Deine Lippen spenden das Bier.

Von den Schultern bis auf die Füße,

Alles ist Gänsebraten mir.


Ja, das ist ja ... usw.


Gibst du mir den Laufpaß, o Schrecken,

Kalt und ohne Herz wie Granit,

Deine Finger sollst du dir lecken,

Ich singe einfach nicht mehr mit.

Wie ein Mühlstein werd ich verenden,

Den man um den Hals dir gehängt,

Denn das heißt sein Leben verschwenden,

Wenn sich der Mensch allein ertränkt.


Ja, das ist ja ... usw.[417]


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1969, S. 416-418.
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