Brigitte B.

[445] Ein junges Mädchen kam nach Baden,

Brigitte B. war sie genannt,

Fand Stellung dort in einem Laden,

Wo sie gut angeschrieben stand.


Die Dame, schon ein wenig älter,

War dem Geschäfte zugetan,

Der Herr ein höherer Angestellter

Der königlichen Eisenbahn.


Die Dame sagt nun eines Tages,

Wie man zur Nacht gegessen hat:

»Nimm dies Paket, mein Kind, und trag es

Zu der Baronin vor der Stadt.«


Auf diesem Wege traf Brigitte

Jedoch ein Individium,

Das hat an sie nur eine Bitte,

Wenn nicht, dann bringe er sich um.


Brigitte, völlig unerfahren,

Gab sich ihm mehr aus Mitleid hin.

Drauf ging er fort mit ihren Waren

Und ließ sie in der Lage drin.


Sie konnt es anfangs gar nicht fassen,

Dann lief sie heulend und gestand,

Daß sie sich hat verführen lassen,

Was die Madam begreiflich fand.


Daß aber dabei die Tournüre

Für die Baronin vor der Stadt

Gestohlen worden sei, das schnüre

Das Herz ihr ab, sie hab sie satt.


Brigitte warf sich vor ihr nieder,

Sie sei gewiß nicht mehr so dumm;[445]

Den Abend aber schlief sie wieder

Bei ihrem Individium.


Und als die Herrschaft dann um Pfingsten

Ausflog mit dem Gesangverein,

Lud sie ihn ohne die geringsten

Bedenken abends zu sich ein.


Sofort ließ er sich alles zeigen,

Den Schreibtisch und den Kassenschrank,

Macht die Papiere sich zu eigen

Und zollt ihr nicht mal mehr den Dank.


Brigitte, als sie nun gesehen,

Was ihr Geliebter angericht',

Entwich auf unhörbaren Zehen

Dem Ehepaar aus dem Gesicht.


Vorgestern hat man sie gefangen,

Es läßt sich nicht erzählen, wo;

Dem Jüngling, der die Tat begangen,

Dem ging es gestern ebenso.[446]


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1969, S. 445-447.
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