Konfession

[425] Freudig schwör ich es mit jedem Schwure

Vor der Allmacht, die mich züchtigen kann;

Wie viel lieber wär ich eine Hure

Als an Ruhm und Glück der reichste Mann!


Welt, in mir ging dir ein Weib verloren,

Abgeklärt und jeder Hemmung bar.

Wer war für den Liebesmarkt geboren

So wie ich dafür geboren war?


Lebt ich nicht der Liebe treu ergeben

Wie es andre ihrem Handwerk sind?

Liebt ich nur ein einzig Mal im Leben

Irgendein bestimmtes Menschenkind?


Lieben? – Nein, das bringt kein Glück auf Erden.

Lieben bringt Entwürdigung und Neid.

Heiß und oft und stark geliebt zu werden,

Das heißt Leben, das ist Seligkeit!


Oder sollte Schamgefühl mich hindern,

Wenn sich erste Jugendkraft verliert,

Jeden noch so seltnen Schmerz zu lindern,

Den verwegne Phantasie gebiert?


Schamgefühl? – Ich hab es oft empfunden;

Schamgefühl nach mancher edlen Tat;

Schamgefühl vor Klagen und vor Wunden;

Scham, wenn endlich sich Belohnung naht.


Aber Schamgefühl des Körpers wegen,

Der mit Wonnen überreich begabt?

Solch ein Undank hat mir fern gelegen,

Seit mich einst der erste Kuß gelabt!


Und ein Leib, vom Scheitel bis zur Sohle

Allerwärts als Hochgenuß begehrt ...[425]

Welchem reinern, köstlichern Idole

Nachzustreben, ist dies Dasein wert?


Wenn der Knie leiseste Bewegung

Krafterzeugend wirkt wie Feuersglut,

Und die Kraft, aus wonniger Erregung

Sich zu überbieten, nicht mehr ruht;


Immer unverwüstlicher und süßer,

Immer klarer im Genuß geschaut,

Daß es statt vor Ohnmacht dem Genießer

Nur vor seiner Riesenstärke graut ...


Welt, wenn ich von solchem Zauber träume,

Dann zerstiebt zu nichts, was ich getan;

Dann preis ich das Dasein und ich bäume

Zu den Sternen mich vor Größenwahn! – – –


Unrecht wär's, wollt ich der Welt verhehlen,

Was mein Innerstes so wild entflammt,

Denn vom Beifall vieler braver Seelen

Frag ich mich umsonst, woraus er stammt.[426]


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1969, S. 425-427.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die vier Jahreszeiten
Die vier Jahreszeiten: Gedichte (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon