Erster Auftritt

[252] Königin, Aegisth.


KÖNIGIN.

Du hast recht getan! des Mitleids Träne

Zerschmelzt die Bande nicht, womit die Pflicht

Dich bindet: nicht der Sohn hat Recht, den Vater

Vor seinen Richterstuhl zu ziehn! – Aegisth,

Du kennst des Vaters Wut, ein Sturm, der alles,

Was ihm die Stirne beut, darniederreißt!

Wer, wie die Saat, vor seinem Hauch sich neigt,

Wächst grünend auf und trägt erwünschte Frucht!

Nur dadurch macht' ich mir sein Herz geneigt.

Sieh! er bestimmt, wie du mir selbst gesagt,

Dir einst das Reich! und der Orakelspruch ...

Die Götter fügten es nicht so umsonst,

Daß da Thyest in deine Hände fiel,

Als unser Heil ihn zu erfodern schien:

Auch kömmt es uns nicht zu, dies aufzulösen.

Die Götter hüllen es durch Taten auf,

Und der Verstand wird durch den Ausgang klar!

AEGISTH.

Doch, Königin, der Götter Spruch gebot

Nicht Grausamkeit ...

KÖNIGIN.

Doch dir gebieten sie

Gehorsam.

AEGISTH.

Traurig g'nug! das erstemal

Hab' ich die Last von dieser Pflicht gefühlt! ...[252]

Ach! siehe den Thyest und hör ihn selbst!

Ich fürchte nicht die Pest, die uns vielleicht

Im Augenblicke würgt, den Hunger nicht,

Der matt und abgezehrt an Leichen nagt

Und unsre Stadt mit Gräbern unterhöhlt,

Die Schrecken nicht, die uns bedrohn, so sehr,

Als dieses Mannes Angst, als seine Klage! –

Er weint: – geschmolznes Blei ist jede Träne,

Die bis aufs Mark mich brennt, sein schluchzend Ach!

Ein schneidend Schwert, das mir das Herz durchfährt!

KÖNIGIN.

Sohn, sei so weibisch nicht! der Klageton,

Mit dem du sprichst, ziemt nicht ein männlich Herz. –

Du sollst selbst der ersten einer sein,

Die, da der Thron dein künftig Erbteil wird,

Beim Vater dem Thyest das Todesurtel ...

AEGISTH.

Was sagst du? nein! o glaube, Königin,

Mein Vater ist sehr hart ...

KÖNIGIN.

Verwegner, schweige!

Hier ist ein Thron, ein Leben auf dem Spiel!

Und war' er's auch. Des Mitleids Stimme muß

Itzt heischrer sein, als der glorreiche Ruf

Zum Thron von Argos. Sieh! mit welchem Reize

Die höchste Macht ihn schmückt, des Zepters Gold,

Das Diadem mit Sternen übersät,

Der Purpur ...

AEGISTH.

Aber, wenn unschuldigs Blut

Ihn färbt?

KÖNIGIN.

Es färb' ihn! sprich! ist's deine Schuld,

Wenn sich dein Vater rächt? ... der Götterspruch,

Ist er dein Werk?

AEGISTH.

Ah! weißt du die Geschichte

Von dem Thyest und seinen Söhnen! – er,

Er selbst hat sie mir eben erst erzählt!

KÖNIGIN.

Und du hörst seine Klagen an? verdammst

Den Vater? ha! was würdest du dann tun,

Wenn er dir Weib und Krone nähm? nicht wahr?[253]

Von diesem Raube hat er nichts erzählt! –

Als ich in Sikyon noch Priesterin

In Pallas' Tempel war, und da der Ruf

Von beider Brüder Zwist die Welt durchflog,

Verdammt' ich auch den Atreus! doch seit dem

Hat er mir die Geschicht' ins Licht gebracht,

Und von der Tat die Schwärze weggewischt,

Die in der Fern' sie mir verfinsterte.

Das schönste Götterbild wird fürchterlich,

Wenn es der Rauch entflammter Kerzen schwärzt:

Nimm ihn hinweg, so tritt es glänzender

Hervor. – Gesetzt, daß ihn die Wut zu weit

Geführet hat: die Schuld hat Grenzen, doch

Die Rache nicht! Ein Gott vergißt sich selbst

Im Zorn, und öfters straft sein Blitz den Mann,

Der höchstens nur der Rute würdig war. –

Gehorche du des Königes Gebot,

Erwart in Ruh' der Götter weisen Schluß,

Und glaube nicht, daß du da wählen kannst,

Wo dich die Pflicht blind zu gehorchen lehret. –

AEGISTH.

Ich folge deinem Rat.

KÖNIGIN.

Wo ist Thyest?

Ich möchte doch den Zweig von Pelops Stamm

Auch sehn, der über uns so viele Schmach

Gebracht.

AEGISTH.

Er ist im Vorhof.

KÖNIGIN.

Bring ihn her!

Denn Atreus wird bald selbst zugegen sein.


Aegisth geht ab.


Quelle:
Das Drama des Gegeneinander in den sechziger Jahren, Trauerspiele von Christian Felix Weiße. Leipzig 1938, S. 252-254.
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