Die Annäherung des Frühlings

[147] Schon ist er bald entflohen,

Der Winter, meine Lust!

Die sanften Weste drohen

Mir schrecklichen Verlust!

Umsonst blüht mir Betrübten

Die neugebohrne Welt:

Der Krieg ruft den Geliebten

Von mir ins rauhe Feld.


In jeder Blum entschließet

Sich mir ein neuer Schmerz,

Der Zephyr, der sie küsset,

Haucht Wehmuth in mein Herz:

Der Landschaft bunte Scenen,

Die blumenreiche Au,

Sehn meiner bangen Thränen

Mehr als den Morgenthau.
[148]

Umsonst singt jede Kehle

Den Frühling froh bemüht:

Mir singt selbst Philomele

Ein banges Klagelied.

Des Leidens Melodien

Hör ich im freyen Bach:

Es reißt der Nord im Fliehen

Mein ganzes Glücke nach.


O steig noch nicht hernieder

Du Lenz, der Erde Lust!

Mir bringst du Blumen wieder,

Doch Gram in meine Brust.

Dich wünscht die Welt: die Freuden

Der Liebe bringst du ihr:

Sollt ich sie nicht beneiden?

Die meinen raubst du mir!

Quelle:
Christian Felix Weiße: Scherzhafte Lieder, Leipzig 1758, S. 147-149.
Lizenz:
Kategorien: