Cephalus und Aurore

[149] Cantate aus dem Russeau.


Die Lüfte deckte noch der dunkle Flor der Nacht,

Die Welt erleuchtete nur der Diane Pracht,

Als schon von Orients entfernten heißen Flüßen

Aurore, durch der Liebe Macht,

Dem sanften Schlaf entrissen,

Nach ihrem liebsten Cephal gieng,

Den noch des Schlafes Arm umfieng.

Sie nahet sich: Furcht, Zweifel und Entzücken

Entdecken sich in ihren Blicken,

Da sie den holden Jüngling sieht:

Der Liebe Brand, von dem sie glüht,

Erklärt sich schamhaft durch dieß Lied.
[150]

Ihr Flüsse, rauschet ganz gelinde!

Weht sanft und kühl, ihr Frühlingswinde!

Ihr Vögel, dämpft die Melodien!

Verliehrt kein Blatt, ihr stillen Bäume,

Wieg ihn, o Schlaf, in sanfte Träume!

Ihr Liebesgötter, wacht um ihn!


Allein, was sag ich? nein: die blinde Zärtlichkeit

Verführet mich zu weit.

Leichtsinniger, ist dieß dein Sehnen,

Daß dich der Schlaf besiegt?

Und seufzet so dein Arm nach seiner Schönen,

Daß er auf weichem Mooß hier sinkend kraftlos liegt?

So soll ich ungeküßt hier einsam bey dir stehen,

Und dich dem Schlaf in Armen sehen? – –

Vortrefflich! ey wie sehr

Hoffst du auf meine Wiederkehr!
[151]

Cephalus! noch blüht dein Glücke!

Cephalus, erwache doch!

Bald, bald kömmt der Tag zurücke,

Ein Gewölk nur deckt ihn noch!

Und du weist, vor seinem Blicke

Flieht Auror': erwache doch!


So sprach sie: und der Silberwagen

Bringt schon vom fern den Gott getragen,

Der auf die Welt sein Licht ergießt:

Sein naher Glanz entschließt,

Wiewohl zu spät, des Jünglings Augenlüder:

Sein Glück war da, und sieh, es floh auch wieder!

Er wachet, sieht sie, schreyt ihr nach:

Sein Weinen ist umsonst, vergebens ist sein Ach!

Sie flieht, und läßt zu seinen Schmerzen

Das Bild von einem kurz beseßnen Glück,

Das er verschlief, zurück.[152]

So straft die Lieb oft junge Herzen:

Ihr jungen Herzen merkt, merkt ja wohl sein Geschick!


Erwartet nie den späten Morgen,

Wacht ja, so bald Aurore wacht:

Der Liebe Macht bleibt euch verborgen,

Wenn euch der Schlummer fühllos macht.

Die Schäferstunde flieht von hinnen,

Als wie ein West streicht sie vorbey,

Und hinterläßt den trägen Sinnen

Verschlafner Liebe Gram und Reu.

Quelle:
Christian Felix Weiße: Scherzhafte Lieder, Leipzig 1758, S. 149-153.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Meine Erinnerungen an Grillparzer

Meine Erinnerungen an Grillparzer

Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon