Sechstes Buch

[227] Der Bewegungsgrund, warum Belphegor von seinem Patrone die Erlaubniß erhielt, ihn bis nach Abißinien zu begleiten, war nicht der löblichste: er wagte den Unterhalt auf der Reise an ihn, um diese Auslage dort tausendfach durch ihn wieder zu gewinnen. Einer von den Vasallen des großen Neguz, die bloß das Cerimoniell der Huldigung verrichteten, aber ihm keinen Gehorsam leisteten, der König von NIEMEAMAYE, hatte ein Projekt unter der Hand, daß das Projekt aller Projekte genennt zu werden verdient. Er konnte es nicht erdulden, daß einer seiner Nachbarn ein einziges Körnlein Gold außer ihm besaß, und weil durch sein Land nur ein einziger Fluß gieng, der Goldkörner bey sich führte, die er doch ungemein liebte, so wollte er es veranstalten, daß alle Goldkörner seiner Nachbarn in sein Gebiet gebracht werden, und sie keine bekommen sollten. Er ließ deswegen den Fluß an der Gränze seines Gebiets mit einer standhaften dreyfachen Mauer verdämmen, und leitete ihn in unzählbaren Kanälen in seinem Lande herum: da er aber doch nothwendig endlich einmal ihn einen Ausgang wieder geben mußte, wenn er sein Reich nicht zu einer offenbaren See machen[227] wollte, so ließ er in einiger Entfernung von seinem Ausflusse in das benachbarte Gebiet, von Weite zu Weite tausend immer feinre Netze, von dem stärksten Baste geflochten, vorziehen, die das unnütze Wasser durchließen und den Sand mit den kostbaren Goldkörnern zurückhielten. Das Projekt wurde zwar ausgeführt, hatte aber einen so schlechten Erfolg, daß der Fluß entweder die Netze zerriß, oder sich daneben einen heimlichen Ausgang grub, oder gar die Wohnungen der Einwohner durch Ueberschwemmungen verwüstete. Ob man ihm gleich alles das vorstellte, so glaubte er es doch vor großer Herzensfreude nicht und triumphirte bey jeder Handvoll Goldkörner, die man ihm in seinen Schatz lieferte, daß er bald der einzige glückliche Besitzer des Goldes, und seine Nachbarn ganz entblößt davon seyn würden: nichts schlug seine Wonne so sehr nieder, als daß er sich nicht des Flusses von seiner Quelle an bemeistern konnte und so viele Körner vor ihm schon fremde Hände bereicherten. Dieser widrige Gedanke brachte ihn eines Tages auf den tollen Anschlag, den Fluß von der Quelle weg mit einem ungeheuren Umschweife durch eine Sandwüste in sein Gebiet zu leiten, ohne daß er ein fremdes berühren sollte: doch sehr bald, obgleich mit dem bittersten Widerwillen, verließ er diese ausschweifende Idee und begnügte sich, von der Nothwendigkeit gezwungen, mit dem Antheile, den er seinen Nachbarn abschnitt, die den Fluß von ihm empfiengen.[228]

Demungeachtet bemerkte er zu seinem Leidwesen, daß für die Lebensmittel, die sein Land nicht hinlänglich lieferte und die Einwohner doch für unentbehrlich zu ihrem Daseyn hielten, ein mittelmäßiger Theil von seinem Golde wieder zu den Nachbarn übergieng, die ihnen mit den fehlenden Bedürfnissen aushalfen: er verbot diesen Handel: die Einwohner beschwerten sich über Mangel, und er gab den Befehl, daß künftig, um keines fremden Zuschusses zu bedürfen, jeder Einwohner des Tags nur einmal essen sollte.

Alle diese Anstalten waren noch nicht hinreichend, dem Golde jeden Ausgang zu verwehren: der Mensch hat Grillen; das Fremde gefällt ihm, weil es fremd ist, und er wünscht es zu besitzen: auch für diese Einfälle flüchtete noch eine ziemliche Menge Goldes über seine Gränzen. Sogleich verbot er den Einwohnern dergleichen Einfälle auf immer und ewig, und wer sich derselben nicht enthalten konnte, mußte sich von IHM das verlangte Fremde einhandeln: er gab ihnen für das Gold, das der fremden Waare bestimmt war, innländische Kleinigkeiten, und gebot ihnen bey Vermeidung einer starken Strafe, sich einzubilden, daß es die verlangten fremden Kostbarkeiten wären: er verkaufte ihnen die Zähne von wilden Katzen, und befahl ihnen zu glauben, daß es Elephantenzähne wären, getrocknetes Schweinsblut mußte statt des Zibeths, und Haasenfelle statt der Pantherhäute dienen. Damit aber die fremden Originalwaaren sich nicht unvermerkt[229] einschleichen und heimlich etwas von seinem Golde herausziehen möchten, so zog er eine Mauer um sein Land, besetzte sie mit streitbaren Männern, die jedem, der seinem Verbote zuwiderhandelte, hundert Ruthenstreiche auf den bloßen Rücken stehendes Fußes mittheilen und ihn aus seinen Gränzen verjagen mußten.

Nachdem er durch dergleichen Veranstaltungen seine Goldbegierde zum Nachtheile der Nachbarn gesättigt hatte, so konnte er es eben so wenig dulden, daß jemand außer IHM in seinem Lande dieses herrliche Metall besaß. Er sann auf Mittel, auch diesen Vorrath, wo nicht ganz, doch zur Hälfte in seinen Schatz zu leiten. Da seine Unterthanen mit allen ihren Habseligkeiten sein Eigenthum waren, so maßte er sich das Monopolium aller ihrer Bedürfnisse an: von IHM mußten sie selbst die Früchte kaufen, die sie durch ihren Fleis auf ihrem Grund und Boden gezeugt hatten; sie mußten ihm sogar für den Durchgang der Luft durch ihre Lunge einen Zoll bezahlen, bis er endlich alles Gold in seinem Palaste aufgehäuft, und die Einwohner zu einem Lastviehe gemacht hatte, dem er das Futter umsonst gab, weil sie es ihm nicht mehr abkaufen konnten. Das ganze Land war Eine große Familie, dessen Hausvater der Regent vorstellte, der sein sämmtliches Gesinde mit den Früchten des Landes nährte, keine Auflagen, keine Taxen erhob, weil es in die glückliche Situation gekommen war, daß niemand mehr etwas geben konnte.[230]

Alle Kanäle des Reichthums auf der Oberfläche der Erde waren versiegt, oder doch so bekannt, daß sie ihm keine besondre Freude machen konnten. Er wollte auch die Eingeweide des Erdbodens plündern: nur fehlte es ihm an Leuten, die die Kunst verstunden, der Erde ihre Schätze abzunehmen. In dieser Hinsicht ließ er aus allen Gegenden Künstler von dieser Art zu sich einladen, und that ihnen Versprechungen, die jeden anlocken mußten, sich dafür auszugeben.

Von allen diesen Umständen hatte Belphegors Patron genaue Nachricht, und war fest entschlossen, sie nicht ungenutzt zu laßen. So bald seine Geschäfte in Abißinien verrichtet waren, begab er sich mit Belphegorn auf den Weg nach NIEMEAMAYE, in dessen Nachbarschaft er vormals schon einen Handel getrieben und eben bey dieser Gelegenheit die vorhergehenden Nachrichten von dem Könige jenes Landes gesammelt hatte. Auf der Reise dahin offenbarte er erst Belphegorn seinen Anschlag. Wir wollen, sagte er ihm, uns für die erfahrensten Bergmänner ausgeben, dadurch das Vertrauen des Königs gewinnen, unter der Hand seine im Herzen mißvergnügten Unterthanen auf unsre Seite bringen, den geizigen Barbaren umbringen, und uns in seine aufgehäuften Schätze theilen: – im Grunde aber – was er weislich in petto behielt – sollte Belphegor für seine Absicht nur zur Maschine dienen, auf die er, wenn der Streich mislänge, alle Strafbarkeit laden, und die er nach einer glücklichen Ausführung ohne, oder[231] mit einer kleinen Vergeltung sich vom Halse schaffen könnte. Belphegor erschrak: kaum merkte dies sein Gefährte, als er sich seine Bestürzung zu Nutze machte, und ihn mit dem grausamsten Tode bedrohte, wenn er sich nicht zu dem Vorschlage bequemen wollte: Belphegor sträubte sich lange. – Wohl! so verhungre hier in der Wüste! sprach jener, und machte eine Bewegung zum Abmarsche. Selbstliebe, Rechtschaffenheit, Abscheu gegen eine so grause That, wie ein Mord, stritten mit dem wildesten Aufruhre in dem verlegnen Belphegor: er wollte ihn zurückrufen, er setzte einen Fuß bedächtlich vorwärts und zog ihn hastig wieder zurück; er ächzte, er zitterte, er sann, und endlich eilte er dem bösen Manne nach, um ihm seine Hülfe zu versprechen, ob er gleich bey sich den festen Vorsatz hatte, nicht Einen Finger zu einem Morde anzulegen: nur aus Liebe zur Selbsterhaltung that er ihm dies verstellte Versprechen, und war willens, sich lieber einer Verrätherey gegen diesen Bösewicht, als einer Mordthat schuldig zu machen. Der Listige, um sich ihn desto fester zu verbinden, schlug anfangs sein Anerbieten aus, und versicherte, daß er einen solchen feigen Undankbaren nicht zu einer Unternehmung zulassen würde, für die er von einem so schlechten Werkzeuge alles fürchten müßte. Belphegor wurde ängstlich, die Qual des Verhungerns stellte sich ihm in der fürchterlichsten Schwärze vor, er setzte in ihn, beschwor ihn und erhielt endlich, doch als eine Freundschaft,[232] die Erlaubniß, an der mördrischen That einen rühmlichen Antheil zu nehmen. Belphegor wünschte nur durch diese Einwilligung mit ihm in bevölkerte Gegenden gebracht zu werden, um alsdenn sich seiner Gesellschaft, ohne Hungersnoth, heimlich entziehen zu können. Auch dieser Anschlag wurde ihm vereitelt: die Wüste dauerte bis an die Mauer, die die Gränze von NIEMEAMAYE bezeichnete, und er mußte wider seinen Willen an die Betrügerey Hand anlegen.

Noch immer hoffte er seinem Gefährten entwischen zu können, so sehr ihn dieser auch beobachtete und aus Furcht vor Verrätherey fast nicht von der Seite ließ. Sie wurden nach der Gewohnheit des Landes dem Könige hinter einem Schirme vorgestellt, der ihren profanen Augen seine geheiligte Person verdeckte und nur seine Stimme durchließ. Belphegors Gefährte verstund die Sprache des Landes, und jener mußte daher ein stummer Zuhörer seyn. In acht Tagen war es schon so weit gekommen, daß sie der König unter die Zahl der Auserwählten erhub, denen es vergönnt ist, ohne Schirm mit ihm zu sprechen: doch bey solchen Unterredungen wußte es Belphegors Gesellschafter jedesmal dahin einzuleiten, daß er dieser Ehre allein genoß, und Belphegor in einem verschloßnen Zimmer zu Hause bleiben mußte, weil seine Treue durch verschiedene bedenkliche Aeußerungen zu verdächtig geworden war, um ihn bey dem Vorhaben eine spielende Person seyn zu lassen, oder sich völlig von ihm zu trennen.[233]

Der kritische Tag rückte heran, an welchem der König von dem Gefährten des Belphegors mit einem Dolche aufgeopfert werden sollte. Länger konnte er den Gedanken nicht ertragen, der Mitbewußte einer so nahen schrecklichen That zu seyn: er arbeitete sich aus seiner Gefangenschaft heraus, begab sich in den königlichen Palast, wo er auf das vorgewiesene Zeichen, daß er unter die Vertrauten des Königes gehöre, zu ihm eingelassen wurde und ihm die drohende Lebensgefahr eröffnete. Sobald er in den Saal trat, machte ihn die Physiognomie des Königs stutzig: sie schien ihm so bekannte Züge zu haben, die nur durch Zeit und Zufälle verdunkelt waren, daß er den unbeweglichsten Blick auf sie heftete. Die nämliche Aufmerksamkeit verwandte auch der König auf Belphegorn, und über der wechselseitigen unaufhörlichen Betrachtung vergaßen sie lange, daß sie zusammengekommen waren, um sich zu sprechen. Belphegor ließ in der Verwirrung sich einen europäischen Ausruf entfahren, den der König in der nämlichen Sprache beantwortete, und sehr bald war es entwickelt, daß auf dem niemeamayischen Thron – der Herr Medardus, Magister der Philosophie und freyen Künste, sein bester Freund, saß. Sie bewillkommten und freuten sich einige Zeit, worauf Belphegor seinem wiedergefundenen Freunde die Absicht seines Besuchs bekannt machte; man kehrte sogleich Anstalten vor, dem gefährlichen Streiche zuvorzukommen, setzte den boshaften Unternehmer desselben gefangen,[234] bestrafte ihn und that andre so alltägliche Sachen, daß ich mich schäme, eine darunter zu berühren.

Nachdem man sich hinlänglich über das Unvermuthete dieser Zusammenkunft gewundert hatte, so fand sich bey beyden die Neubegierde ein, zu wissen, wie sie möglich war. Belphegor that seinem königlichen Freunde seiner Seits bald völlige Genüge und dankte ihm besonders mit vieler Rührung für die Befreyung vom Tode, die er ihm zu SEGELMESSE unter dem Charakter eines heiligen Thiers hätte angedeihen lassen.

Siehst du, Brüderchen! unterbrach ihn Medardus, davon weiß ich Dir kein Wort; in meinem Leben bin ich nicht in das Ding – Selenmesse, oder wie Du es nennst – gekommen. Da ich von euch weggerissen wurde –

Um des Himmels willen! wie gieng das zu? –

Wie das zugieng, Brüderchen? – Das mußte eine Hexerey oder eine andre Teufeley seyn. Da ich so mitten unter euch stehe, war mirs auf einmal, als wenn mir leise ein Strick um den Leib geschlungen würde, und siehst Du, Brüderchen? in der Minute hieng ich Dir in einem Walde an einer hohen Stange, zu welcher sie mich, wie ich hernach gewahr wurde, mit einem starken Seile und einer Rolle hinaufgezogen hatten. Kurze Zeit darauf wurde ich herabgelassen, um dem Löwen vorgesetzt zu werden, den Fromal kurirte: doch was denkst Du wohl, Brüderchen? – Das närrische Thier ließ sich bey mir nieder, belekte mich, wie Fromaln,[235] von der Stirn bis zum Kinne, und brüllte so freudig, als wenn er seinen leiblichen Bruder in mir angetroffen hätte, legte die geheilte Klaue auf mich und behandelte mich recht freundschaftlich. Die Priester wurden stutzig, hielten mich für ein besondres Geschöpf und glaubten gar, daß die Seele eines nahen Anverwandten aus der Familie des Löwen auf ihrer Wanderung in mir herberge: denn anders konnten sie sich die glimpfliche Begegnung des Thieres nicht erklären, als daß er sich scheue, die Banden des Bluts in mir zu verletzen. Die Leute müssen eine Kolonie von den Aegyptern seyn, oder ihren Glauben an die Seelenwanderung in Aegypten geholt haben: wer Lust hat mag das untersuchen, – genug, MIR schafte die Seelenwanderung herrlichen Nutzen. Sie thaten mir die Ehre an, mich als ein heiliges Thier zu bewirthen, und weil ich doch äusserlich die Menschenfigur hatte, so gab man mir menschliche Nahrung und einen eignen Stall gleich neben meinem vermeinten Blutsfreunde.

Nicht lange, nachdem ich diese Würde zu bekleiden angefangen hatte, entstund Krieg, und weil das Königreich, wo ich mit meinen übrigen heiligen Kameraden lebte, das einzige heidnische war, so hielten es die mahometanischen Feinde desselben für ihre erste Pflicht, alle Spuren des heidnischen Gottesdienstes zu vernichten; und die Reihe traf vor allen Dingen zuerst uns heilige Thiere. Als man meine europäische Abkunft aus meiner Gesichtsfarbe schloß, so nahm man mich[236] voller Freuden in Triumphe mit sich fort9: doch mein Trupp wurde von den Feinden zerstreut, man ließ mich zurück, und ich entfloh den schwarzen Barbaren.

Ich irrte herum und stieß auf eine Karavane, die nach Nigritien gieng. Es waren Europäer dabey, die mich verstunden; ich bat um Aufnahme und erlangte sie. Was sollst du in Nigritien, unter den kohlschwarzen Kreaturen? dachte ich. Siehst Du, Brüderchen? ich wußte aus einer alten Geographie, daß weiter herunter die Goldküste liegt: wo es Gold giebt, glaubte ich gewiß einen Europäer, wenigstens einen Spanier anzutreffen. Ich wußte auch, daß die edeldenkenden Engländer hier ein Monopolium mit ihren Nebenmenschen treiben; wenn also alles fehl gieng, hofte ich wenigstens mit einer Ladung dieser Waare nach Amerika und von da nach Europa zu schiffen, oder wie ich sonst dahin kommen möchte. In dieser Meinung, Brüderchen, suche und finde ich eine Gelegenheit, wie ich sie wünschte. Die Abreise verzögerte sich, und indessen machte ich eine Bekanntschaft, die mich ganz davon zurückzog.

Dem Manne, der mich nach Europa transportiren wollte, war durch seinen Abgeordneten, die den Einkauf besorgten, von den schwarzen Töchtern des Landes eine zugeführt worden, die in ihrer pechschwarzen[237] Haut so schön war, als jede europäische Venus von dem glänzendsten Marmor. Das Gesicht war zwar etwas afrikanisch; aber ihre runden fleischichten Arme, ihr luxurirender Busen, ihre vollen Hüften, das – Brüderchen, alles, alles war schön an ihr. Ihr Herr hatte die keuschesten Absichten von der Welt auf sie; er fühlte nicht ein Fünkchen Liebe zu ihr, sondern sie gefiel ihm, weil ihm ihre Person mit allen ihren Schönheiten ein baares Kapital zu seyn schien, das er in Amerika mit reichen Interessen durch ihren Verkauf haben wollte. Deswegen enthielt er sich aller unerlaubten Begierden gegen sie, weil er für sie und daher auch für seinen Vortheil gefährliche Folgen davon besorgte. Er unterrichtete sie selbst in Französischen und Englischen, worinne es ihm aber nicht sonderlich glückte, weil ihm seine Geschäfte so vielfältig daran verhinderten: er übergab sie meiner Unterweisung. Sie wußte wenig von den beiden Sprachen, die sie lernen sollte, aber doch zur Liebe und zur Erzählung ihrer Geschichte genug. Brüderchen, seitdem meine Frau von Gottes Erdboden weg ist, habe ich kein einziges Mädchen so lieb gehabt, als die allerliebste niedliche ZANINNY. Brüderchen, fühle einmal, wie mir das Herz pocht, indem ich sie nenne! Sie merkte wohl, ohne daß ichs ihr sagte, daß eine Revolution in meinem Herze vorgehn mußte, wenn ich sie sah; und daß es unter ihrer schwarzen Brust eben so zugehn mochte, das sagte ihr aufrichtiges Gesicht und Auge ohne Hülfe der Zunge: dem[238] guten Geschöpfe stiegen gleich alle Empfindungen in die Mine, und wer ihr Gesicht buchstabirte, buchstabirte ihr Herz. Sie hatte ein Paar zärtliche funkelnde Augen, die sie über der platten Nase so verliebt herumwälzte, daß ich mannichmal mir nach dem Pulse fühlte, ob ich noch athmete, oder von ihnen versteinert wäre. Ich wußte schon, daß sie ihren Eltern gestohlen worden war, und sie sagte mir durch Geberden und mit ihrem Bischen Französisch, daß sie ihr Land nicht gern verließe, und sagte mir noch oben drein – daß sie mich von Herzen lieb hätte, bat mich, sie wieder zu ihren Eltern zu bringen, und bat mich so, daß ich dachte:

Nun, so bist du doch mit deiner guten ZANINNY wahrhaftig fast so glücklich als mit deiner verstorbenen Frau, und wenn dich ihre Eltern zum Schwiegersohne annehmen und sich nicht daran stoßen wollten, daß ich so häßlich weiß bin – ja, ich bliebe mit meiner ZANINNY in ihrer Hütte und würde ein Afrikaner, äß, tränk, schlief, spielte mit ihr, jagte, sammelte Datteln für sie, hütete das Vieh mit ihr, oder was es sonst hier zu Lande zu thun giebt: die afrikanische Sonne würde ja wohl mit der Zeit einen hübschen Neger aus mir machen. – Kurz in meinem Herze war sie schon völlig meine zweyte Frau. Endlich kamen zu ihren Bitten gar Thränen, so recht aus der Empfindung herausgeweinte Thränen, daß ich alter Narr neben ihr saß und eine nach der andern unter die ihrigen auf ihren Schoos fallen ließ. Sie schlang ihre Negerarme um meinen[239] Hals, und während der Umarmung tröpfelte eine Thräne auf meinen linken Backen – Brüderchen, die brannte! die brannte, daß mir die Wärme bis zur Zehe herunter lief; ich schwitzte, das Herz klopfte, alle meine fünf Sinne waren in Bewegung, und in meinem Kopfe gieng es so verwirrt her, wie in der Welt – alles unter und über einander! Ich konnte nicht anders, ich mußte ihr versprechen, sie von dem Sklavenhändler zu erretten. Was für eine Freude, als sie das hörte! wie unsinnig sprang und hüpfte sie, und fiel mir um den Hals, um die Kniee, drückte mir die Hand, streichelte mir die Backen, daß ich wie ein alberner Tölpel da stand, unbeweglich, und nicht wußte, daß ich stand, nicht einmal, daß ich existirte. Des Nachts marschirten wir aus. Ich wollte sie, aus Mitleid zu ihren Füssen, auf die Schultern nehmen: aber ehe ichs konnte, faßte sie mich in der Mitte, nahm mich auf ihren Rücken und galopierte, wie ein Rennthier, mit mir davon, so lange, ohne Aufhören, so sehr ich auch bat auszuruhen, bis sie mit ihrem africanischen Accente rief: Je meurs! und entkräftet mit mir in den Sand niederfiel. Kein Tropfen Wasser, keine menschliche Hülfe, nichts war bey der Hand. Ich ängstigte mich, ich lief um sie herum, ich faßte ihre Hand, ich fühlte an ihr Herz, ob es noch schlug, ich bat sie nur ein Wort zu sprechen: umsonst sie schlief vor Mattigkeit ein. Schlafe sanft, sagte ich, aber erwache mir nur wieder! – Ich setzte mich neben sie und fächelte ihr das Gesicht. Ja, Mädchen, wenn[240] du mir nicht wieder erwachst! dachte ich immer; aber sie seufzte, und nun war ich froh; ich fächelte bis sie endlich erwachte; so müde ich war, konnte ich doch vor Sorge und Angst kein Auge zu thun. Hungernd und durstend wanderten wir von neuem durch lange Sandfelder, kamen dem Ufer zufallsweise nahe, wollten es nicht wieder verlassen, und verließen es doch wider unsern Willen. Brüderchen, nichts war gewisser als unser Tod; und mir giengen die Augen schon über, wenn ich nur daran dachte, wer wohl zuerst sterben würde: was sollte aus meiner gutherzigen ZANINNY werden, wenn ich vor ihr aus dem Leben müßte; und wenn SIE vorangieng – daran konnte ich gar nicht denken. Plötzlich, da wir mit der größten Angst kämpften, kamen wir an Hütten: wir waren im Lande der MALADELLASITTEN. Wir fanden wieder Datteln, und ich hielt mit meiner ZANINNY die erste frohe Mahlzeit: wir labten uns, waren zusammen frölich und giengen tiefer ins Land. Auf einer Ebne, die mit grünen einzelnen Sträuchen und Palmbäumen besetzt war, saß an einem Flüßchen, das sich vielfältig auf dem Platze herumschlängelte, ein Kreis von nackten Damen, die auf den kreuzweis untergeschlagenen Füssen mit einer Feierlichkeit und Ernsthaftigkeit da saßen, als wenn sie über die Staatsangelegenheiten des maladellasittischen Reichs rathschlagten. Ueber ihre Schultern hiengen ungeheure Maschinen von Fleische, deren eigentliche Beschaffenheit ich anfänglich nicht zu erklären[241] wußte; allein bey näherer Bekanntschaft fand ich, daß es die Brüste dieser Damen waren, die hier zu Lande zu einer solchen Größe anwachsen, daß man sie über die Schultern wirft: auf welcher Gestikulation die vornehmste Grazie der dasigen Frauenzimmer liegt, weswegen viele, die besonders gefallen wollen, sich oft so künstliche Bewegungen zu geben wissen, daß jene schönen Auswüchse von den Achseln herunterfallen müssen, worauf man sie mit einer so annehmlichen reizenden Nachlässigkeit zurückwirft, wie mein ehemaliger Superintendent die Knoten an seiner Alongenperucke. Um den Kreis herum hüpften und sprangen eine Menge Meerkatzen von einer besondern Art. Brüderchen, die lustigsten Thierchen, die ich gesehn habe! Sie sprangen den Frauenzimmern auf den Rücken, knippen sie in die Ohren, guckten ihnen durch die Arme, bissen sie in die Backen, schlugen Burzelbäume über sie weg, setzten sich auf die Schultern und graueten ihnen mit den Tatzen sehr lieblich die Köpfe, kitzelten sie, balgten sich mit einander und spielten tausend andre kurzweilige Possen, welche von den ernsten da sitzenden Frauenzimmern, die außerdem den Mund zu keinem Worte öffneten, mit der lustigsten Laune belacht wurden. Die drollichten Thierchen hatten von der Natur am Ende des Rückens ein glattes polirtes Horn, wie der Spiegel auf den Rücken eines Hirschkäfers, nur vielmal größer, das völlig die Dienste eines Spiegels verrichtete. Nie war das Gesicht dieser Damen heitrer und ihre Mine[242] frölicher, als wenn jene Lustigmacher ihnen ihre Spiegel zukehrten, worinne sie ihre ganze Figur in der schönsten Miniatur erblickten, so verschönert, daß ich selbst, als ich mich einst darinne besah, von meiner Gestalt begeistert wurde, ob sie gleich in Natur nicht sonderlich begeisternd ist; und die listigen Kreaturen sprangen alle Mal mit einer solchen Wendung, daß eine aus dem Kreise ihr liebes ICH in dem Spiegel zu ihrer großen Herzensfreude erblickte, worauf derjenige, der ihr diese Lust gemacht hatte, einen sanften Schlag mit ihrer rechten Brust empfieng, um sie alsdann mit einer zierlichen Grazie wieder über die Achseln werfen zu können. Da war noch nicht Bewundernswürdiges genug. Ein Theil von diesen Meerkatzen bediente die Nymphen so ordentlich und regelmäßig, als vernünftige Menschen nur hätten thun können. Sie reichten ihnen in Cocosschalen Erfrischungen, sie vertrieben die Fliegen von ihren Schönheiten, die vom Kopfe bis auf die Füße mit einem röthlichen Safte übertüncht waren, sie dienten statt der Pferde, wenn sie von einem Orte zum andern wollten, und wenn sie weiter nichts thaten, gierigen sie wenigstens auf den zween Hinterfüssen neben ihnen mit sehr niedlichen Grimassen her. – Ich wollte mich nicht vor dieser Gesellschaft vorüber wagen, und gleichwohl konnten wir doch keinen Umweg nehmen, um sie zu vermeiden. Endlich faßte ich meine ZANINNY bey der Hand und gieng mit ihr auf sie zu. Man sah uns an, lachte und schwieg. Die Meerkatzen bedienten uns mit[243] Cocussafte, und wir ließen uns hinter dem Kreise, ein jedes auf seine gewöhnliche Art zu sitzen, nieder. Nicht lange währte es, als die Meerkatzen ihr Spiel um meine ZANINNY trieben: sie kehrten ihr den Spiegel so oft und so vielfältig zu, daß das Mädchen mit ihrem ganzen Gesichte in Freundlichkeit und Wohlgefallen zu zerfließen schien. Was ist Dir denn, ZANINNY? fragte ich etliche Mal und schüttelte sie bey der Hand, als wenn ich sie aus dem Traume erwecken wollte, in welchem sie versenkt schien. Ich fragte noch einmal, und – Brüderchen! plözlich sezte sie sich auf eine Meerkatze und trabte davon. Ich gerieth vor Schmerz und Schrecken außer mir; ich lief ihr nach, ich rufte: umsonst! sie galopirte frisch hinweg und war mit in kurzer Zeit ganz aus den Augen. Ich wußte nicht, ob ich über sie weinen oder zürnen sollte. Ich wollte vor Unwillen allen Meerkatzen ihre verdammten Spiegel ausreißen, die doch einzig daran schuld waren; ich seufzte und schmähte, ich ächzte und tobte, warf mich auf den Boden und machte meiner Beklemmung durch einen Strom von Thränen Luft. Indem ich, vertieft in meinen Schmerz, dort liege, und die Augen aufschlage – Brüderchen, so hat mich die ganze Gesellschaft umringt, und lacht! und lacht! daß einer jeden zwo Meerkatzen die Hüften halten mußten. Ich lachte mit: Du weißt, Brüderchen, ein fröliches Gesicht macht das meinige gleich zu seinem Gefährten: ich mußte lachen, ob ich gleich vor Schmerz halb verrückt war. Denkst Du wohl, Brüderchen?[244] – das brachte mich in ihre Gunst. Ich mußte in der Mitte sitzen bleiben: die Meerkatzen lagerten sich hinter den Damen, und diese lachten über jede Bewegung, jede Mine, die ich machte, über meine Art zu sitzen, und machten sich überhaupt auf meine Unkosten so lustig, turlepinirten mich bisweilen, um das Gelächter zu schärfen, stießen, warfen mich, ließen ihre Meerkatzen auf mir herumspringen, um über mich zu spotten, wenn mir eine einen losen Streich spielte: kurz, ich schien mir in meinen Augen eine erbarmenswürdige Figur, weil ich eine lächerliche abgeben mußte.

Ja, Freund, unterbrach ihn Belphegor, Du hast Recht. Aber welch ein trauriger Beweis von der Neigung des Menschen zum Unterdrücken! Fromal, wenn Du es hörtest, würdest Du nicht sagen? – wo der Mensch nicht mit ehernen Waffen, nicht in der That unterdrückt, da thut er es mit der Lunge, in der Einbildung, durch die Vorstellung sich so lange andre unter sich zu denken, als er über sie lacht. Mensch! Mensch!–

Ach, Brüderchen, die Erniedrigung war mein Glück auf einige Zeit –

BELPH. Daran zweifle ich gar nicht. Weißt du noch, was du mir einst sagtest? – Gegen Kreaturen unter sich ist der Mensch gütig, gerecht, mitleidig, wenn sein Vortheil nicht in den Weg tritt, nur über und neben sich ist ihm alles verhaßt.

Medardus übergieng diese Erinnerung mit einem erröthenden[245] Stillschweigen und fuhr in seiner Erzählung mit dem Tone fort, wie ein Mensch, der sich bey einer Satyre getroffen fühlt. – Ja, Brüderchen, sie war mein Glück, sagte er. Sie luden mich durch ihre Winke ein, ihnen zu folgen; weil ich für meinen Appetit dabey zu gewinnen hofte, nahm ich die Einladung ohne Bedenken an: die ganze Gesellschaft ritt mit sittsamen Ernste auf ihren großen Meerkatzen fort, und ich hatte die Ehre ihnen zu Fusse nachzuspatzieren.

Nach unsrer Ankunft in eine Hütte von Baumästen wurde die Tafel von Meerkatzen besetzt, die in dieser Gegend alle häusliche und galante Verrichtungen unter Händen haben, und sehr frühzeitig dazu abgerichtet werden. Sie lernen ihre Wissenschaften so schnell, daß in einem Jahre eine Meerkatze den höchsten Grad ihrer Vollkommenheit erreicht. Siehst Du, Brüderchen? es wurde viel aufgetragen, von wenigem gegessen, und nichts füllte nur eine Viertelelle Hunger in meinem Magen aus. Man spielte nur mit dem Essen; und ich hatte Lust, im völligen Ernste damit zu verfahren. Man lachte abermals über mich; und da man sich überdrüßig gelacht hatte, sahe man mich mit keinem Blicke mehr an. Ich wurde aus der Hütte verwiesen, mußte eine ziemliche Strecke von dem Schlafgemache meiner Gönnerinnen in einer kleinen Kabane schlafen und mich mit Seilen von Bast fest anbinden lassen; – vermuthlich damit sie ungestört und sicher für meinen nächtlichen Ueberfällen schlafen können, dachte ich: aber es mußte[246] wohl nur eine Cerimonie seyn; denn mit jeder Viertelstunde bekam ich von einer meiner überfirnißten Damen einen Besuch, der mich keine Minute ruhig schlummern ließ, so sehr meine ermüdeten Lebensgeister der Erhohlung bedurften. Ich ward ungeduldig, riß mich von meinen Banden los, ergriff die Muthwillige, die mich eben beunruhigte, um sie aus meinem Schlafgemache hinauszuwerfen: sie schrie Gewalt, und aus ihren ängstlichen Geberden konnte ich schließen, daß sie ihren herbeyeilenden Schwestern meine That als einen Anfall auf ihre Tugend abmalen mochte, ob sie gleich vorher mehrere auf die meinige gethan hatte. Sie schrieen, lärmten und tobten alle, steinigten mich, hezten ein ganzes Regiment Meerkatzen auf mich los, die mich mit ihren Tatzen elendiglich zerkratzten. Ich ertrug mein Schicksal mit Geduld; aber den Tag darauf wurde ich ausgelacht! Brüderchen, ausgelacht, bis zur ärgsten Beschämung! Ich forschte nach meiner ZANINNY, ich lief allenthalben herum, sie aufzusuchen; ich fand sie nirgends: ich war untröstlich, doch wurde ich bald durch ein lächerliches Schauspiel wieder aufgemuntert. Die Meerkatzen haben das feinste Gefühl der Ehre: Neid und Vorzugssucht beherrschen sie ganz. Tages vorher hatte einer das Glück gehabt, daß über seine Kapriolen der Zirkel am lautesten und häufigsten gelacht hatte:

alle übrigen wurden neidisch und versengten ihm mit einem Feuerbrande im Schlafe seinen Spiegel auf dem Rücken: weil er aus einer harten fühllosen Haut besteht,[247] so wird er es nicht eher inne, bis der Brand die Hinterkeulen schon zu verwüsten anfängt. Das arme Geschöpf hinkte traurig herum und mußte mit seinen Schmerzen der Gesellschaft oben drein zur Kurzweile dienen, die sich in ein ausgeschüttetes Gelächter über seinen Zustand ergoß, das zunahm, je mehr seine Kameraden ihn neckten und quälten. Die ganze Erklärung des Vorfalles theilte mir eine von den rothen Nymphen durch ihre künstliche Geberdensprache mit: denn sie waren insgesamt geborne Pantomimenspielerinnen und sprachen deswegen selten anders als durch Minen und Gestikulationen. Durch eben diesen Weg erhielt ich auch die Eröffnung, daß in diesem Distrikte nichts als lauter Frauenzimmer mit ihren bedienenden und zeitverkürzenden Meerkatzen wohnten, und daß sie bey andern Bedürfnissen der Natur ihre Männer aus einem nahgelegnen Gebirge zu sich beriefen, die dort das Land für ihren beyderseitigen Unterhalt bauen und Schminke für die Körper ihrer Damen sammeln mußten. Lange konnte ich in dem Lande nicht mehr ausdauern; unter lauter Meerkatzen bekömmt man leicht Langeweile; auch ICH wurde den schönen Bewohnerinnen des Landes beschwerlich, weil ihnen alles so alltäglich an mir geworden war, daß sie nicht mehr über mich lachen konnten. Der ganze Himmelsstrich war mir verhaßt, weil er meine geliebte ZANINNY ohne mich besaß: ich nahm meinen Abschied, und diejenige Dame, die ich in der ersten Nacht zu einem Geschrey genöthigt[248] hatte, und die mir seitdem gewogner als alle andre war, gab mir mit dem langen Nagel ihres Daumens, die sie dort zu der ansehnlichsten Größe anwachsen lassen, zum Andenken ihrer Gewogenheit einen Schnitt auf den rechten Backen, wovon du noch bis itzt die Narbe siehst. Alle Mannspersonen mußten sich in dieser weiblichen Republik mit einem solchen Schnitte zeichnen lassen, zum Beweise, daß sie diejenige Schöne, von welcher sie ihn empfiengen, als Sklaven unter sich gebracht hat; und wenn man der Meerkatzen überdrüßig ist, so ist es die einzige Zeitverkürzung unter ihnen, einander die Schnitte vorzuzählen, mit welchen eine jede ihre vermeinten Sklaven gebrandmahlt hat. Ich begab mich auf den Weg und wandelte langsam mit trauriger Beklemmung von dem Orte, wo ich meine beste ZANINNY zurückließ. – Doch, dachte ich, wer weiß, wozu dies gut ist, daß du sie verlieren mußtest? Vielleicht– ach, wer kann sich alles Böse denken, dem ich dadurch entkommen bin, und alles Gute, das ich möglicher Weise dadurch er langen kann? Wer weiß, wozu es gut ist? – Mit diesem Gedanken beruhigte ich mich auf meinem Marsche und kam mit ihnen zu den EMUNKIS, einem elenden Volke, das unter dem abscheulichsten Regimente lebte. Ihr Herr war der geilste, geizigste, grausamste Tyrann der Erde. Meine Ankunft fiel auf einen Tag, wo alles in der größten Feierlichkeit war. Der neue Despot hatte den Thron bestiegen und nach dem dasigen Staatsrechte seinen übrigen zwey und siebzig Brüdern[249] goldne Stricke zugeschickt, an welchen sich ein jeder mit eigner Hand aufhängen mußte: das ganze Volk lief einer Gallerie zu, wo sie alle nach der Rangordnung des Alters an ihren goldnen Stricken schwebten, und der tumme Pöbel frolockte über diese ersten Opfer, die der Despot seiner Tyranney gebracht hatte. Ich habe mich lange Zeit an seinem Hofe aufgehalten, und ihm muß ich mein Königreich NIEMEAMAYE verdanken. – Medardus seufzte ein wenig bey dieser Stelle und fuhr sogleich wieder fort. – Der dicke Götze saß unaufhörlich in einer dichten Wolke von Wohlgerüchen, die ihm alle Sinne so sehr benebelten, daß er nie zu sich selbst kam: unaufhörlich mußte ein Haufen Gold und eine von seinen Weibern zu seinen Füßen liegen. Seine Leibwache bestand bloß aus Weibern, die nie eine männliche Seele zu ihm ließen: die höchsten Stellen des Landes waren zwar mit Männern besetzt, allein die obersten Befehlshaberinnen der Leibwache hatten in allen Rathsversammlungen die ausschlagenden Stimmen, und jene mußten nur vortragen und vollstrecken, was diese geboten. Alle Mädchen von den ersten Augenblicken des Lebens waren im ganzen Reiche seine Leibeignen: die Vornehmern und Reichern hatten sich des Rechts bemächtigt, seine Leibwache auszumachen, und die Gemeinen oder Armen wurden in sein Serail nach dem Maaße ihrer Schönheit gewählt, und die Häßlichen im Namen des Königs an die Liebhaber öffentlich verkauft. Der Despot hatte eine so unsinnige Liebe zum Golde,[250] daß er nicht schlafen konnte, wenn nicht einige Haufen neben seinem Lager aufgeschüttet lagen.

Also war er dein Lehrmeister? unterbrach ihn Belphegor etwas bitter.

Der gute Medardus erschrak: er wollte seine Erzählung fortsetzen, und die Bitterkeit der Frage nicht zu fühlen scheinen; allein Belphegor faßte ihn stärker und ließ ihn nicht durchwischen. Er malte ihm mit den frischesten Pinselzügen, doch mit etwas Galle vermischt, den Neid und die Unterdrückung vor, die er, als der sonst treuherzige wohldenkende Medardus, als Beherrscher von NIEMEAMAYE gegen seine Nachbarn und Unterthanen ausgeübt hatte. Dem Monarchen wurde bange; er räusperte sich, er rückte sich auf seinem Sitze hin und wieder, er wußte nicht, ob und was er reden sollte, bald schien er sich entschuldigen, bald anklagen zu wollen, während dessen sein Moralist unaufhörlich fortfuhr, mit aller Stärke seiner Beredsamkeit sein eingeschläfertes gutes Herz aufzuwecken. – Brüderchen, sprach er endlich, ich bitte Dich, schweig! Du machst mir so bänglich ums Herze, daß ich heute noch lieber zu einem Glase frischen Apfelwein mit Dir zurückgehn, als hier eine Minute länger befehlen möchte. Du übertreibst! –

Nicht Einen Strich in dem Gemälde übertreibe ich, antwortete Belphegor, und ließ den Strom seiner Gesezpredigt von neuem hervorbrechen.

Was bist Du denn besser? schloß Belphegor; worinne[251] besser als der wilde Despot, an dessen Hofe du deinen Geiz lerntest? Weniger grausam, aber der nämliche Unterdrücker.

Sein Freund fiel ihm um den Hals, erbot sich alles gesammelte Gold unter seine Nachbarn auszutheilen, allen seinen Sklaven das Ihrige wieder zu erstatten, wie der geringste unter ihnen zu leben, seine ganze Macht niederzulegen, mit ihm zu einem Kruge Apfelwein zurückzuwandern und so viel Gutes zu thun, als er könnte. Belphegor war mit seiner Reue zufrieden und fragte ihn, um ihre Aufrichtigkeit zu versuchen, welchen Tag er alle diese Versprechungen erfüllen würde. Er stuzte ein wenig über die Frage, doch setzte er lebhaft hinzu:

Morgendes Tages! Belphegor nahm seine Hand darauf an und brach die Materie ab, doch sein Freund kehrte oft zu ihr wieder zurück. – Brüderchen, sagte er, es ist ein verzweifelt schweres Ding, allein Herr von seinem Willen zu seyn und lauter Gutes zu thun. Sonst, wenn ich einem armen durstigen Manne einen Trunk Apfelwein reichte, wünschte ich immer: o wer dich doch auf einen Thron setzte, daß du die Leute glücklicher machen könntest! Jämmerlich ist doch die Armuth, daß man nicht mehr für den armen Nebenmenschen thun kann, als ihm höchstens auf ein Paar Minuten den Durst löschen oder den Hunger stillen! wenn ich reich, wenn ich mächtig wäre – kein Mensch auf Gottes Erdboden, so weit nur mein Auge reichte, sollte mir Zeitlebens hungern oder dursten. – Brüderchen, ich hab es erfahren.[252] Ich habe sonst mit meinem Kruge Apfelwein Mehrern Gutes gethan, als itzt mit meinem Golde. Das böse Menschenherz! Fromal sagte mir wohl, ich sollte nicht schwören, ich würde einen Meineid begehn; ich habe ihn begangen. Aber, Brüderchen, nicht ein Tröpfchen Menschenblut klebt an meinem Gewissen. Siehst Du? ich fand an dem gelben Unrathe so vielen Gefallen, ich wollte gern viel und immer mehr haben, ich nahm es, wo es zu bekommen war: ich habe doch wenigstens niemanden Leides gethan. Wenn man so bloß sich selbst, seine Begierden und seine Macht zu Rathe zu ziehn braucht, da läßt man leicht die Zügel schießen: doch Du, Belphegor, Du sollst in Zukunft mein einziger Rath-geber seyn. –

Belphegor fand bey dieser Erklärung für seine moralisirende Laune eine herrliche Aussicht und nahm deswegen den Vorschlag zur Mitregentschaft mit Freuden an; und seit diesem Augenblicke theilten sie Macht und Ansehn mit einander.

Den ersten und zweyten Tag that Belphegor ernstliche Erinnerungen wegen der versprochnen Wiedererstattung, und es fanden sich tausend Entschuldigungen und Verhinderungen: Belphegor drang alsdann weniger ernstlich, seltner und endlich gar nicht mehr darauf; tadelte alle getroffne Anstalten als unbillig, unfreundlich, unterdrückend, und behielt sie bey: es blieb alles, wie es war, und statt daß sonst alles Gold aufgehäuft wurde, ließ er etwas mehr von den gesammelten[253] Schätzen in den Umlauf kommen, damit das Volk wieder die Ingredienzen zu zwo Mahlzeiten kaufen konnte. Unter seinen Leidenschaften war die Liebe zum Golde schwächer als bey seinem Mitregenten: er war freygebig und ermahnte auch diesen es zu seyn: aber desto heftiger war sein Ehrgeiz: allmählich vermehrte er die Ehrenbezeugungen, die er von seinem Volke foderte, und wenn er nicht reich zu seyn wünschte, so wollte er angebetet seyn, ohne zu fühlen, daß es auch eine Unterdrückung giebt, die dem Menschen seine Würde nimmt und ihn zum kriechenden Sklaven macht. Genug, der weise Moralist wurde zum Unterdrücker, haßte und liebte die Menschen nach ihrer größern oder geringern Kunst zu schmeicheln und sich zu demüthigen, der Kriechendste, der Hingeworfenste war ihm der Beste, und man mußte kriechen oder leiden – eine Alternative, die dem völligen Zwange gleich ist!

Inzwischen waren die benachbarten EMUNKIS von ihrer Sklaverey so übermäßig niedergedrückt worden, daß ihr betäubtes Gefühl rege wurde; sie empfanden, daß sie Menschen waren, stürzten ihren Tyrannen von dem Throne, ermordeten die Leibwache, die bisher den Meister gespielt hatte, wie vorhin der König von NIEMEAMAYE erzählte, und da Faktionen unter ihnen entstunden, vertrieb eine die andre, welche itzt mit dem wütendsten Ungestüme in das Reich einbrachen, dessen Herrschaft Belphegor und Medardus theilten. Der Sturm drang mit einer unglaublichen Schnelligkeit bis[254] zur Hauptstadt, alles gerieth in Verwirrung und Unordnung, man setzte sich zur Gegenwehr, und niemand wußte, warum man angegriffen wurde. Die beyden Regenten, die nicht sonderlich kriegerischen Muth besaßen, hielten es für das heilsamste, sich mit der Flucht dem Ungewitter zu entziehn. Belphegor versorgte alle Taschen von dem aufgehäuften Golde und entkam glücklich: doch Medardus, der sich zu reichlich damit versehen wollte, zauderte so lange bis die Burg umringt wurde, die die aufgebrachten Vertriebnen einnahmen, plünderten und ansteckten.

Belphegor entkam wohl, aber der Sturm folgte ihm nach. Seine vorigen Unterthanen, die NIEMEAMAYEN, waren von den EMUNKIS vertrieben, jene brauchten einen andern Platz, sie vertrieben die nächsten Völker, deren sie mächtig werden konnten, und man vertrieb und ward vertrieben, so lange bis zwey Völker vernünftig genug waren, sich unter Einem Himmel neben einander in Friede zu vertragen.

Von dem Tumulte wurde Belphegor mit fortgerissen, machte sich aber glücklich davon loß, und nahm seinen Weg allein nach Aegypten, wo er bey einem europäischen Kaufmanne sein rohes Gold in Geld umsetzte und sich sehr in seine Gunst empfahl, weil er sich nach seinem Verlangen nur die Hälfte des Werthes dafür bezahlen ließ. Er versprach ihm für höfliche Worte und einen mäßigen Vortheil seinen Schutz und seine Gesellschaft, in welcher er nach Asien übergieng. Weil der[255] Werth seines Goldes nicht lange mehr aushalten zu wollen schien, so bot er seinem Beschützer seine Dienste an, der sie nicht ausschlug und ihm in kurzer Zeit einen Auftrag nach Persien gab, wo er gewisse Handlungsgeschäfte für ihn besorgen sollte.

Seine Reise gieng glücklich und ohne widrige Zufälle von statten bis zu seiner Annäherung an die persischen Gränzen. Bey der Gesellschaft, mit welcher er reiste, befanden sich einige Aliden,10 die zu jeder Zeit des Tags, wenn es die Gesetze ihrer Religion foderten, seitwärts giengen, um ihr Gebet einsam zu verrichten. Belphegor ward von der Innbrunst, mit welcher er sie es verrichten sah, wenn er sie belauschte, so entzückt, daß er nur eine Ueberredung und ein Messer brauchte, um sich auf der Stelle beschneiden zu lassen und ein Jünger des Mahomed und Ali zu werden. Er gewann die Leute lieb, unterredete sich oft mit ihnen über ihren Glauben und bewies ihnen sehr viel Güte, welche sie ihm reichlich erwiederten. Die Freundschaft war geknüpft, und er ersuchte sie sogar, ihn einen Zeugen ihres Gebets seyn zu lassen, welches sie ihm bewilligten: doch bediente er sich dieser Erlaubniß mit vieler Bescheidenheit, und nie gebrauchte er sie, ohne daß das Feuer ihrer Andacht ihn zu einem Kniefalle und zur Vereinigung seiner Innbrunst mit der ihrigen hinriß. – Aber warum nennt man nur diese Leute Ungläubige? dachte er oft bey sich[256] selbst; sie, die mit den feurigsten Regungen Gott verehren, deren ein Christ nicht fähiger seyn kann? Kann ein Herz, das zu einer so rührenden Erhebung von seinem Schöpfer begeistert wird, das Herz eines Ungläubigen seyn? Mag er doch den MAHOMED, den ALI oder ABUBECKER für große Menschen halten, mag er sich doch ein Stückchen von seinem Fleische verschneiden lassen, mag er doch nach Mekka oder nach Bagdad sein Gesicht bey dem Gebete kehren: wenn sein Herz nur zu Gott gekehrt ist, gilt jenes nicht alles gleich? – O daß doch die Menschen keine Gelegenheit entwischen ließen, sich zu entzweyen, sich zu trennen, sich zu hassen, zu verfolgen, sich zu schlagen, würgen, morden! Ja, Fromal, Recht hattest du: – die Menschen vereinigten sich, um sich zu trennen. Konnten sie nicht alle in stiller Eintracht auf diesem weiten Erdenkreise sich niederwerfen und das ewige Wesen mit der vollen starken Empfindung anbeten, die es verdient? Konnten sie die Welt nicht einen allgemeinen friedsamen Tempel seyn lassen, wo Millionen Menschen, Nationen und Völker in unübersehlicher Weite mit vereintem Gefühle ihren Dank zu dem Allgütigen emporsandten, der sie fähig machte, ihm zu danken? Konnte es nicht dem einen gleichgültig seyn, ob sein Nachbar das Gesicht nach Osten oder Westen kehrte, ob er sich im Staube wälzte oder auf den Knieen lag, sich dabey die Haut blutig rizte oder das schönste Festkleid anzog, die Hände erhub oder senkte, ein flammendes Opfer zu[257] seiner Andacht hinzuthat, oder sein Herz nur flammen ließ? Und sollte es nicht vielleicht dem Schöpfer und also auch dem Menschen gleichgültig seyn müssen, ob der Höchste, der Größte, dessen Begriff unser Gedanke doch niemals umfaßt, in dem Wurme, dem Stier, der rohen Misgeburt, der ungebildeten Phantasie, im Stein, Holze, Metall oder in der bloßen Idee, als Tien, Jehovah, Jupiter angebetet wird? Sollte dies nicht vielleicht seyn? Wenn so viele Tausende durch einen unvermeidlichen Zusammenhang von Ursachen unter die Stufe der Erleuchtung, der Aufklärung des Verstandes hinabgestoßen werden, sollte der Ewige ihre Empfindung verschmähen, die sie ihm in einem Bilde opfern, das ihre schwache Vernunft und wilde Phantasie nicht anders zu schaffen vermochten? Sollte er sie darum verschmähn, weil er sie durch eine Reihe von Begebenheiten zu tumm bleiben oder werden ließ, um sich zu den Begriffen eines christlichen Philosophen zu erheben? Im Grunde, bey genauerer Untersuchung war es nicht der Peruaner aus eigner Wahl, der seinen Schöpfer in der Sonne fand und das Blut seiner eignen Kinder zu ihr empor dampfen ließ, nicht der Mexikaner, der sich an dem geopferten Fleische seiner Feinde labte – nein, eine lange Reihe von nicht selbst gewählten Ursachen gaben den Erkenntnißkräften dieser Völker eine solche Wendung, drangen ihnen solche Ideen in einem solchen Lichte auf, daß sie sich ihren Gott so und nicht anders, seine Verehrung so und nicht anders denken konnten:[258] ihre Begriffe vom Guten und Bösen, von Recht und Billigkeit bildete das Schicksal, nicht SIE. Sie deswegen strafen, weil ihr Geist zu schwach war, sich durch aufgedrungne Irrthümer hindurchzuarbeiten, hieße das nicht einen Menschen mit Stricken und Fesseln allmählich auf den Boden niederziehn und ihn züchtigen, daß er nicht gerade steht? Hieße das nicht einen Bucklichen peitschen, weil er seine verwachsne Brust nicht gerade ausdehnt? – Und gleichwohl unterstanden sich es Sterbliche, dem Richter der Welt dies Verfahren zuzuschreiben, ja sogar es an der Stelle des Richters der Welt zu thun! – Gewiß, die Menschen sammelten sich, um sich zu trennen, um zu kriegen, und weil es ihrem Neide und ihrer Vorzugssucht an hinlänglichen Platze fehlte, so peitschen sie sich auch herum, weil der Zufall in dem Kopfe des einen die Ideen anders geordnet hatte, als in dem Gehirne des andern: o Unsinn! und oft zankte man sich oben drein nur deswegen, weil der eine etwas weniger einfältiges glaubte als der andre. – Eine Sekte, wo die dogmatische Sucht kein Herze nagt und seinen Leidenschaften zum Lanzenträger dient – wo ist eine solche, sie ist mir willkommen! sie ist mir die beste! – Freund, rief er dem Aliden zu, der sich eben näherte, Freund! wenn alle Jünger des Ali mit solcher Inbrunst beten wie Du, so werde ich noch heute ihr Bruder! Wenn sie sich selbst so lieben, wie ihren Gott, so schneide mir ein Stück Haut ab, ritze mir die Backen, bade mich, oder mache eine Cerimonie, wie du willst, um mich zu[259] deiner Sekte einzuweihen, oder mich zu zeichnen, daß ich zu ihr gehöre! – genug, ich will der Genosse deines Bekenntnisses seyn und unter Menschen leben, die sich weniger hassen als andre: denn daß sie sich mehr lieben sollten, das fodre ich von Menschen nicht. –

Der Alide erstaunte über den Eifer, mit welchem er diese Anrede hielt, und war im Begriffe, ihm seine Freude darüber auszudrücken, als eine Stimme aus dem Gesträuche hervorbrüllte: Du Verworfner, der du die heilige SONNA11 verachtest, und den kriegerischen Ali über den erhabnen Abubecker setzest, stirb von meinen Händen, Ungläubiger! – Sogleich durchrennte ein hervorstürzender Mann schäumend mit einem Spieße den betäubten erschrocknen Aliden, daß er leblos auf den Fleck niedersank, den kurz vorher sein Knie in dem Feuer seines Gebetes gedrückt hatte. – Blut! setzte der Mörder hinzu, gottloses Blut! fließe zur Ehre des großen Propheten und seiner rechtmäßigen Nachfolger! –

Belphegor war von Schrecken und Erstaunen einige Zeit überwältigt, doch bald kehrte sein Muth und seine Fassung zurück, und er sprang auf, den Tod seines Gefehrten zu rächen: allein er war ohne Waffen, und sein Gegner verwundete ihn mit der nämlichen Wuth, womit er jenen durchbohrt hatte; doch nicht tödtlich. Als[260] Belphegor von dem Stoße niedergestürzt war und in der Ohnmacht von dem Sonniten für todt gehalten wurde, so begab sich dieser hinweg, nach dem er vorher in einem lauten Gebete dem großen Propheten und seinem Nachfolger Abubecker zu Gemüthe führte, was für eine wichtige Verbindlichkeit er ihnen durch die Ermordung dieser beiden Ungläubigen auferlegt, und was für einen vorzüglichen Anspruch er sich auf die schönste Huri des Paradieses erworben habe. Sein Religionseifer war gesättigt, und nach einer so verdienstlichen Handlung gieng er an seine Berufsarbeit zurück und plünderte mit seinen Gesellen die Karavane, zu welcher Belphegor gehörte: denn er war ein Räuber vom Handwerke.

Belphegor lag ohne Besonnenheit in seinem Blute und erwachte nur, um seine Entkräftung zu fühlen: er sah sich um, er rief, so stark er vermochte; alle menschliche Hülfe war von ihm fern. In einem so trostlosen Zustande war Geduld das einzige Uebrige, ihm die Erschöpfung seiner Lebensgeister zu erleichtern; Er war vor Mattigkeit in einen Schlummer verfallen, aus welchem ihn der Ruf einer Stimme erweckte. Er schlug die Augen auf und wurde einen Mann gewahr, der ihn arabisch anredete. So wenig er auch von der Sprache wußte, so konnte er doch seine Begebenheit und sein Verlangen nach Hülfe darinne ausdrücken. Der Araber machte sogleich die großmüthige Anstalt ihn fortzuschaffen, und ließ ihn auf ein Kameel laden, daß er kurz vorher[261] nebst etlichen andern einer reisenden Karavane abgenommen hatte, wobey er seinen Leuten den Befehl gab, den Verwundeten in sein Schloß zu bringen und bis zu seiner Ankunft gehörig zu pflegen. Der Mitleidige war, wie man leicht merkt, gleichfalls ein Räuber von Profession, kam in einigen Wochen auf sein Schloß zurück und fand Belphegorn von seinen Wunden geheilt. Er war so edelmüthig, jeden Dank von sich abzulehnen, und bot ihm Wohnung und Tafel auf so lange Zeit an, als ihm beliebte. Belphegor wurde von Dankbarkeit über eine solche Begegnung um so viel lebhafter gerührt, weil die üble Behandlung, die er bisher von den Menschen in verschiedenen Welttheilen erdulden mußte, das menschliche Geschlecht in seinen Augen so erniedrigt hatte, daß er eine solche Denkungsart von einem Mitgliede desselben gar nicht mehr erwartete. Der Räuber schenkte ihm eins von den schönen Kleidern, die er mit seiner lezten Beute erobert hatte, gab ihm verschiedene andre Kostbarkeiten und ließ ihm nicht die mindeste Bequemlichkeit mangeln.

Belphegor wurde durch diesen freygebigen Räuber mit dem Menschen um vieles wieder ausgesöhnt: nur blieb es ihm ein unauflösliches Räzel, das oft sein Nachsinnen beschäftigte, wie man so vortreflich und so schlecht zu gleicher Zeit handeln, zu gleicher Zeit so gutdenkend und ein Räuber seyn könne. Da er keine befriedigende Erklärung dieses Phänomens zu finden im Stande war, so wandte er sich an seinen Wohlthäter[262] selbst und legte ihm die große Frage vor, deren Beantwortung ihm so schwer fiel. Der Araber war ungemein erstaunt, daß er so fragen konnte, und versicherte, daß er nicht begreife, warum jene beiden Dinge nicht beysammen seyn sollten, da das eine sowohl wie das andre, eine gute wohlanständige Sache wäre. – Gastfrey, sagte er, sind meine Voreltern vom Anfange her gewesen: der Mensch war in ihren Mauren ihr geheiligter, unverletzlicher Freund, und außer denselben jederzeit ihr Feind. Der weise ALLAH12 theilte seine Güter unter seine Kinder aus; wer keine Portion davon bekam, muß sie sich verschaffen, oder darben. Ich wage mein Leben, um eine zu erhalten: mein Gegner wage das seinige, um seine zu behalten: wohlan! der Tapferste ist der Besitzer. Der Elende, der Arme, der Kranke, der sich nicht in den Streit mengen und Wohlseyn und Bequemlichkeit erkämpfen kann, muß der Sklave des Mächtigern seyn, oder von seinen Wohlthaten leben. Jeder rechtschaffne Araber hätte Dich in sein Haus, wie in eine Freystätte aufgenommen, weil Du ihrer bedurftest; Du warst zu elend, mein Sklave zu seyn: ich mußte also dein Wohlthäter werden; und so lange Du in meinem Bezirke wohnst, höre ich nie auf, dies zu seyn: Du bist der Sohn meiner Familie. –

Aber außer demselben dein Gegner, unterbrach ihn Belphegor, den Du plünderst, oder zum Sklaven erniedrigst? –[263]

Nicht anders! Ich und meine Familie sind zu Einem Körper vereinigt: was nicht mit diesem Bande an mich geknüpft wird, ist Feind. Denkt ihr unter euerm Himmel anders? –

»Allerdings! Ungestört genießt jeder den Antheil von Glück, den ihm der Zufall zuwarf: Gesetze und Henker sind seine Wächter. –«

Und Niemand raubt dem andern einen Pfennig? Einer darbt, wenn der andre sich füttert, ohne sich mit seinen Fäusten etwas zu erkämpfen? –

»Nein, wir kämpfen nicht mit Fäusten, sondern leider! mit unserm Verstande – wir betriegen.

Betriegen? Elende feige Kreaturen! der listigste Haufe hat bey Euch also das Obergewicht? – Fi! –«

»Der Mächtige, der Große genießt seinen Ueberfluß sorgenlos; denn er ist auf allen Seiten verschanzt: der Arme genießt das Brod seines Schweißes eben so ruhig; Mangel schützt ihn wieder Bevortheilung: der ganze übrige Haufe ist im Krieg verwickelt, und der Hinterlistigste ist der glücklichste Sieger. –«

Was für jämmerliche Kreaturen ihr seyd! die niederträchtigsten Räuber des Erdbodens! Jede Beute ist bey uns der Preis der Tapferkeit, jede bey euch ein Denkmal einer niedrigen Seele. Trenne mein Haupt sogleich von meinen Schultern, wenn Ein Betrug darinne gebrütet worden ist! Was ich bin, wurde ich durch mich selbst, durch meinen Muth.

Belphegor war wahrhaftig am Ende seiner Disputirkunst,[264] und der zurückgebliebene Grad von Abneigung gegen den Menschen ließ ihn auch keine sonderliche Mühe nehmen, etwas für die polizierten Räubereyen zu sagen: er schwieg mit einem Seufzer und gab den Grundsätzen des Arabers Recht.

Eine so angenehme Ruhe störte nichts als der Einfall eines benachbarten Räubers in das Schloß, wo sie Belphegor genoß. Dieser Held hatte in Erfahrung gebracht, daß Belphegors Gönner bey dem letzten Meisterstreiche, den er spielte, zwo der herrlichsten cirkaßischen Schönheiten in seine Gewalt bekommen hatte. Ein solcher Preis war es wohl werth, daß man sein Leben einmal daran wagte: die Liebe setzte seiner Tapferkeit den Sporn in die Seite, und er zog mit seiner ganzen Mannschaft aus, jene zwo Nymphen entweder in seine Hände zu bekommen, oder sie wenigstens ihrem gegenwärtigen überglücklichen Besitzer zu entreißen, sollte es auch durch den Tod geschehen müssen. Er rückte an, überraschte seinen Gegner, der sich nicht in der mindesten Bereitschaft befand und sich schon ergeben mußte, ehe er sich zur Wehre stellen konnte. Der Feind begnügte sich, alle Oerter zu durchsuchen, wo er die verlangten Schätze vermuthete, und ward nicht wenig ungehalten, da ihm allenthalben sein Wunsch fehlschlug. Er erhielt zwar die Nachricht, daß der überwundne Herr des Schlosses, den sein Alter über die Begierden der Liebe schon ziemlich hinwegsetzte, die schönen Cirkaßierinnen nach ihrer Erbeutung sogleich in Geld verwandelt[265] habe: allein da er dies bey seiner jugendlichen Lebhaftigkeit nicht begreifen konnte, so erklärte er es schlechtweg für eine Erdichtung, stellte seine Nachforschung noch etliche Mal an und fand jedesmal nichts. Um aber doch seinen Gang und seine hintergangne Hoffnung bezahlt zu machen, nahm er dem Ueberwundnen seine Sklaven und eine Auswahl von seinen besten Habseligkeiten mit sich hinweg, das Uebrige nebst dem Schlosse steckte er in Brand, und war so großmüthig, und gab Belphegorn und seinem Wohlthäter, weil er sie beyde zu nichts anzuwenden wußte, die Freyheit und völlige Erlaubniß, alles Glück in der ganzen weiten Welt aufzusuchen.

Sie giengen beyde mit einander fort, und es war schwer zu unterscheiden, welcher von ihnen eigentlich den Verlust erlitten hatte. Sie nahmen ihren Weg nach der Landschaft DIARBEK und fanden sie bey ihrem ersten Eintritte mit Empörung und Blute überschwemmt. Kaum hatten sie ein Dorf erreicht, als sie schon mit dem Schwerdte in der Hand auf ihr Gewissen befragt wurden, ob sie sich zu DUBORS oder MISNARS, oder ABIMALS, oder AHUBALS, oder des Sultans AMURAT Parthey hielten. – Zu derjenigen, die das meiste Recht für sich hat, oder lieber zu keiner, antwortete Belphegor. Ich kenne weder Amuraten, noch Duborn, noch die du mir nennst; es herrsche über Diarbek, wer kann oder will! – Da ein Türke keine andre als lakonische positive Antwort annimmt, so wurde die Frage noch einmal[266] und zwar peremtorisch gethan, und um ihn zu einer bestimmten Antwort desto schneller anzutreiben, schwangen die Examinanten ihre Säbel über ihren Köpfen und hielten sich zum Hiebe bereit. Jede entscheidende Antwort konnte ihnen den Tod bringen, und jede Verzögerung brachte ihn gewiß: sie wählten blindlings ihre Parthey und trafen glücklicher Weise diejenige, zu welcher die Fragenden sich bekannten. Diese vortheilhafte Wahl errettete sie vom Untergange: man ließ ihnen die Freyheit, in DIARBEK zu existiren, und bekümmerte sich weiter nicht um sie. Bey dem Fortgange ihrer Reise geschah ihnen von Zeit zu Zeit die nämliche Anfrage, und der Zufall, auch zuweilen List half ihnen jedesmal aus der Gefahr! Um sich ihr aber nicht länger auszusetzen, beschlossen sie ein Land mit dem ehesten zu verlassen, wo die Neutralität schlechterdings unerlaubt war. An den Gränzen erfuhren sie, daß MISNAR alle seine Nebenbuhler besieget, ermordet und sich auf drey Wochen die Herrschaft über Diarbek errungen hatte, nach deren Verlaufe der Sultan Amurat für gut befand, ihn vom Throne heruntertreiben und stranguliren zu lassen, nebst allen denjenigen, die die kurze Gnade seiner Regierung erhoben hatte.[267]

9

Dies war vermuthlich einer von den Königen, die mit aller Gewalt eine weiße Gesandschaft aus dem Norden haben wollten.

10

Eine von den mahomedanischen Sekten.

11

Bey den Mahometanern dasjenige, was bey den Katholiken die Tradition ist.

12

Das höchste Wesen.

Quelle:
Johann Karl Wezel: Belphegor, Frankfurt a.M. 1979, S. 227-269.
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

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