Erdenglück

An Chloe

[72] Hüpfend, wie das Blut in deinen Adern, scherzet,

Chloe, deine Seel ihr Dasein hin;

Keine Ahndung ferner Übel schwärzet

Deinen freien unbewölkten Sinn;

Alles, deucht dir, ist wie deine Wangen

Rosenrot; gleich Liebesgöttern hangen

Tausend Hoffnungen, von brütender Begier

Sanft entfaltet, gaukelnd über dir.

Jeder Wunsch, der mit Vergnügen schmeichelt,

Scheint dir schuldlos: du erfuhrst noch nicht

Daß der Schmerz sich oft zu Wollust heuchelt,

Und die Hoffnung stets zu viel verspricht.


Ach! warum, o Chloe, sind's nur Träume,

Wenn die Phantasie, mit eitler Schöpfungskraft,

Goldne Welten um uns her erschafft?

Lauter Lust, wohin das Auge gafft,

Lauter Rosen, lauter Myrtenbäume;

Göttertisch von Grazien gedeckt,

Nektar aus Tokay in allen Flüssen,

Schlaf auf Schwanen, den zu stillen Küssen

Amor oft, die Sorge niemals, weckt;

Lauter Feste, Tänze, frohe Spiele,

Lauter Unschuld, Eintracht, Zärtlichkeit,

Kurz, der Menschen ganze Lebenszeit

Ein Gewebe lieblicher Gefühle –

Welch ein Traum! –


»Warum (so ruft, entzückt

Von Nanett im kurzen Unterrocke,

Tristram aus, indem des Mädchens schwarze Locke

Sich im ungelernten Tanz entstrickt,

Und ihr lächelnd Aug unwissend Liebe blickt)

Ach! warum, du, dessen Wohlbehagen[73]

Unsre Freuden schafft und unsre Plagen,

Kann nicht hier ein Mann sich in der Freude Schoß

Niederlegen, tanzen, singen, und sein Pater sagen,

Und gen Himmel mit Nanetten gehn?«


Eitler Wunsch! vielleicht verzeihlich im Entstehn,

Aber dem Gesetz der ernsten Weisheit – Sünde!

Ein Verhängnis, dessen dunkle Gründe

Wir vielleicht in bessern Welten sehn,

Findt für diese Welt ein reines Glück zu schön,

Mischt in jeden Tropfen Lust geschwinde

Zwei von Bitterkeit, gefällt sich, (wie es scheint)

Jede Hoffnung selbstgewählter Wonne,

Wenn zu unsern Wünschen alles sich vereint,

Plötzlich zu verwehn, erfindet jedem Morgen,

Der uns Lust verhieß, unvorgesehne Sorgen,

Gibt die Unschuld oft der Bosheit, dem Betrug

Preis, und lohnt die Treu mit einem Aschenkrug.


Chloe, hoffe nicht, daß innerhalb dem Kreise,

Der den Erdball von dem Sternenfeld

Trennt, die Wonn uns je ihr himmlisch Antlitz weise!

Ach! sie sinkt nicht bis zur Unterwelt!

Alle diese schönen Luftgesichte,

Deren Name deine junge Brust

Überwallend macht, sind bloße Schaugerichte,

Leichte Träum unwesentlicher Lust!

Freundschaft, Liebe! ach! euch lassen uns die Götter

Nur von fern aus offnem Himmel sehn;

Diesseits her versetzt, sind eure Früchte – Blätter,

Die mit leerem Schmuck das Auge hintergehn!

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 4, München 1964 ff..
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