Endymion

[100] Aspice, quos somnos juveni donarit amato

Luna –


In jener dichterischen Zeit

Mit deren Wundern uns der Amme Freundlichkeit

Durch manches Märchen einst in süßen Schlummer wiegte;

Als sorgenfreie Müßigkeit

Sich ohne Pflichten, ohne Streit,

Mit dem was die Natur freiwillig gab, begnügte,

Kein Mädchen spann, kein Jüngling pflügte,

Und manches tunlich war, was Basedow verbeut;

Eh noch der Stände Unterscheid

Aus Brüdern Nebenbuhler machte,

Und gleisnerische Heiligkeit

Das höchste Gut der Sterblichkeit,

Die Lust um ihre Unschuld brachte;

Und kurz, in jener goldnen Zeit,

Da die Natur, von keinem Joch entweiht,

Gesetze gab wodurch sie glücklich machte,

Die Welt noch kindisch war und alles scherzt' und lachte:

In dieser Zeit lebt' einst auf Latmos Höhn

Ein junger Hirt, wie Ganymedes schön,

Schön wie Narciß, doch nicht so spröde,

Wie Ganymed, allein nicht halb so blöde.[100]

So bald man weiß, Endymion

War schön, so denkt ein jeder schon

Daß ihn die Mädchen gerne sahen;

Zum mindsten liefen sie nie wenn er kam davon,

Das läßt sich ohne Scheu bejahen.

Die Chronik sagt noch mehr als ich

Den Musen selbst geglaubet hätte;

Sie buhlten, spricht sie, in die Wette

Um seine Gunst; sie stellten sich

Ihm wo er ging in Steg' und Wege;

Sie warfen ihm oft Blumen zu;

Und flohn dann hinter ein Gehäge;

Belauschten seine Mittags-Ruh

Und guckten, ob er sich nicht rege.

Man meint, daß er im Bad sogar

Nicht immer ohne Zeugen war,

Doch läßt sich das gewiß nicht sagen.

Genug, kaum fing es an zu tagen

So wurde schon von mancher schönen Hand

Der Blumen-Flur ihr schönster Schmuck entwandt;

So putzt sich schon, dem Schäfer zu gefallen,

Im Hain, am Bach, der Nymphen ganze Schar,

Die badet sich, die flicht ihr blondes Haar,

Die läßt es frei um weiße Schultern wallen.

Herabgebückt auf flüssige Cristallen

Belächelt sich die schöne Damalis;

Wie vieles macht sie ihres Siegs gewiß!

Ein Mund, der Küssen winkt, ein Lilien-Nacken,

Der Augen feuchter Glanz, ein perlengleich Gebiß,

Die freie Stirn, die Grübchen in den Backen,

Ein runder Arm, und o! der Thron der Lust

Die blendende, die Anmutsvolle Brust!

Sie sieht noch mehr, nichts zeigt sich ihren Blicken

Das nicht verdient selbst Götter zu berücken:

Sie sieht's und denkt, ob Leda ihrem Schwan

Mehr Reizungen gewiesen haben kann,

Und zittert doch und wünscht: o! fände mich

Endymion nur halb so schön als ich![101]

Die Schönheit wird mit Wunder angeblickt,

Doch nur Gefälligkeit entzückt.

War Juno nicht, war nicht Minerva schön

Als Zeus den Paris ausersehn

Den Streit der Schönheit zu entscheiden'

Man weiß, sie ließen sich, um bösen Schein zu meiden,

Dem Richter ohne Röcke sehn.

Lang ließ der Hirt von einem Reiz zum andern

Die ungewissen Blicke wandern,

Und zehnmal rief ein neuer Blick

Den schon gefaßten Schluß zurück:

Untadelich ist alles was sie zeigen;

Beisammen sind sie gleich; allein

Scheint jede reizender zu sein,

Was wird zuletzt des Schäfers Urteil neigen?

Der Juno Majestät! der Pallas Würde, – Nein!

Die flößen nichts als Ehrfurcht ein,

Ein stärkrer Reiz wird hier den Ausschlag geben müssen:

Sie, die so zaubrisch lächeln kann,

Die goldne Venus lacht ihn an,

Und Paris fällt zu ihren Füßen,

Und beut (ich tät es auch, so wahr ich ehrlich bin)

Beut um die Freiheit sie zu küssen

Der Lächelnden den goldnen Apfel hin.


So raubt die Freundlichkeit bei unserm Schäfer oft

Die Gunst, worauf die stolze Schönheit hofft.

Die welke Brust, die Schar der blassen Wangen

Erwerben sich durch zärtliches Bemühn,

Durch Blicke die an seinen Blicken hangen,

Und süßen Scherz, manch kleines Recht an ihn.

Wie eifern sie ihm liebzukosen!

Die schmückt sein Lamm, die kränzt ihm Hut und Stab;

Der Lenz wird arm an Blüt und Rosen,

Sie pflückten ganze Haine ab.

Sie wachten, daß ihn nichts in seinem Schlummer störte,

Sie pflanzten Lauben hin, wo er zu weiden pflag,

Und weil er gerne singen hörte[102]

So sangen sie den ganzen Tag.

Des Tages Lust schließt bis zum Sternen-Glanz

Manch munters Spiel und mancher bunte Tanz,

Und trennt zuletzt die Nacht den frohen Reihn

So schläft er sanft auf Rosen-Betten ein.

Die Nymphen zwingt der keuschen Göttin Schein

Sich allgemach hinweg zu stehlen;

Sie zögern zwar, doch muß es endlich sein.

Sie geben ihm die Hand, die angenehmen Seelen!

Und wünschen ihm wohl zehnmal gute Nacht;

Doch weil der Schlaf sich oft erwarten macht,

Bleibt eine stets zurück, ihm Märchen zu erzählen.


Dem Glück in dieser Unterwelt.

Hat stets Beständigkeit gefehlt.


Der Schäfer war vergnügt, das Nymphen-Volk nicht minder,

In Unschuld lebten sie beisammen wie die Kinder,

Zu manchem Spiel, wobei man selten weint

Den ganzen Tag, oft auch bei Nacht, vereint.

Doch, wenn hat Ate je vergessen

Für jede Lust uns Schmerzen zuzumessen?


Der Nymphen schöne Königin

Erfuhr, man weiß nicht wie? Vielleicht von einem Faun

Der sie beschlich, vielleicht auch im Vertraun

Von einer alten Schäferin,

Der weil sie selbst nicht mehr gefiel

Der Jugend eitles Tun mißfiel;

Kurz, sie erfuhr das ganze Schäfer-Spiel.


Man kennt den strengen Sinn

Der schönen Jägerin

Die in der Götter-Schar

Die größte Spröde war.

Kein Sterblicher, kein Gott vermochte sie zu rühren.

Was sonst die Sprödesten vergnügt,

Sogar der Stolz, selbst unbesiegt,[103]

Die Herzen im Triumph zu führen

War ihrem größern Stolz zu klein.

Sie zürnte schon, nur angesehn zu sein,

Bloß weil er sie vom Wirbel bis zur Nasen

Im Bad erblickt ward Acton einst zum Hasen.1

Dies Beispiel flößte selbst dem Satyr Ehrfurcht ein.

Ihr schien ein Blick sie schon zu dreiste anzufühlen,

Kein Zephyr wagt's sie abzukühlen,

Und keine Blume schmückt' ihr Haar

Die einst ein hübscher Knabe war;

Von Liebe nur im Schlaf zu sprechen

Hieß bei Dianen schon ein strafbares Verbrechen:

Kurz, Männer-Haß und Sprödigkeit

Trieb selbst Minerva nicht so weit.


Man ratet leicht, in welche Wut

Der Nymphen Fall sie setzen mußte;

Es tobt' ihr jungferliches Blut

Daß sie sich kaum zu fassen wußte.

So zornig sahn die Nymphen sie

In keinem andern Falle nie.

Kallisto ließ sich doch von einem Gott besiegen,

Das milderte die Schnödigkeit der Tat;

Doch einem Hirten unterliegen

Wahrhaftig! das war Hochverrat.

Ein fliegender Befehl zitiert aus allen Hainen

Das Nymphen-Volk persönlich zu erscheinen.

Sie schleichen allgemach herbei,

Und keine lauft, daß sie die erste sei.

Die Göttin steht an ihren Spieß gelehnt

Und sieht mit ernstem Blick, der ihren Kummer höhnt,

Im ganzen Kreis nichts als beschämte Wangen,

Und Blicke, die zur Erde niederhangen.

»Hofft nicht«, spricht sie, »durch Leugnen zu entgehn,

Man wird euch bald die Zunge lösen können,

Und werdet ihr nicht gütlich eingestehn[104]

So soll euch mir der Gott zu Delphi nennen.

Durch Zaudern wird die Schuld nicht gut gemacht.

Nur hurtig! Jede von euch allen

Die sich verging, laß ihren Schleier fallen.«

Sie spricht's und – Hem! wer hätte das gedacht?

Diana spricht's, und – alle Schleier fallen.


Man stelle sich den Lermen vor

Den die beschämte Göttin machte,

Indem der lose Cypripor

Aus einer Wolke sah und laut herunter lachte.

»Wie«, rief sie voller Wut empor,

(Doch selbst die Wut verschönert ihre Wangen)

»Du, Wildfang, hast dies Unheil angestellt,

Und kommst noch gar damit zu prangen!

Zwar rühmst du dich, daß alle Welt

Für ihren Sieger dich erkenne

Daß selbst der Vater Zeus so oft es dir gefällt

Von unerlaubten Flammen brenne;

Daß, seiner Majestät beraubt,

So oft du willt, der Götter Haupt

Bald als ein Drache, bald als Stier

Bald als ein böckischer Satyr,

Und bald mit Stab und Schäfer-Tasche

Der Nymphen Einfalt überrasche.

Doch trotze nicht zuviel auf deine Macht!

Die Siege die dir noch gelungen

Hat man dir leicht genug gemacht.

Wer selbst die Waffen streckt, wird ohne Ruhm bezwungen.

Auf mich, auf mich, die deine Macht verlacht,

Auf meine Brust laß deine Pfeile zielen.

(Ich fordre dich vor tausend Zeugen auf!)

Sie werden sich vor halbem Lauf

In meinen feuchten Strahlen kühlen

Und stumpf und matt um meinen Busen spielen.

Du lachst? Versuch's erst was dein Bogen kann,

Versuch's an mir und sing und lache dann!

Doch stünd es dir, versichert! besser an[105]

Du kämst statt Köcher, Pfeil und Bogen

Mit einem Vogel-Rohr geflogen.

Latonens Kindern nur gebührt

Der edle Schmuck der deinen Rücken ziert.

Bald hätt ich Lust, dich wehrlos heimzuschicken,

Und, weil dein Fliegen dich zu Streichen nur verführt,

Dir noch die Schwingen auszupflücken.

Doch flieh nur wie du bist; laß meinen Hain in Ruh,

Auf ewig flieh aus meinen Blicken,

Und flattre deinem Paphos zu;

Dort tummle dich auf weichen Rosen-Betten,

Mit deinen Grazien, und spiele blinde Kuh

Mit Zephyrn und mit Amoretten.«


Die Göttin spricht's. Mit lächelndem Gesicht

Antwortet ihr der kleine Amor – nicht.

Gelassen langt er nur von ungefähr

Den schärfsten Pfeil aus seinem Köcher her;

Doch steckt er ihn, als hätt er sich bedacht,

Gleich wieder an, sieht Phöben an und lacht:

»Wie reizend schminkt der Eifer deine Wangen!

(Ruft er, und tut als wollt er sie umfangen)

Ich wollte dir wie Amors Wunde sticht

Ein wenig zu versuchen geben;

Allein, bei meiner Mutter Leben!

Es braucht hier meiner Pfeile nicht.

An Spröden, die mir Hohn gesprochen,

Hat mich noch stets ihr eignes Herz gerochen:

Und, Schwesterchen, (doch unter dir und mir:)

Was nützt der Lerm? er könnte dich gereuen;

Weit sichrer wär's, die kleine Ungebühr

Den guten Kindern zu verzeihen.«


Die Nymphen lächelten, und Amor flog davon.

Die Göttin zürnt, und rächt an ihnen

Des losen Spötters Hohn.

»Unwürdige! Dianen mehr zu dienen,

(Spricht sie mit ernstem Angesicht)[106]

Zur Strafe der vergeßnen Pflicht

Hat euch mein Mond zum letztenmal geschienen.

Sobald sein Wagen nur den Horizont besteigt,

Sei euch verwehrt im Hain herumzustreichen

Bis sich des Tages Herold zeigt;

Entflieht mit schnellem Fuß, die einen in die Eichen,

Die übrigen zu ihren Urnen hin;

Dort liegt und schlaft so lang ich Luna bin!«

Sie spricht's und geht die Drachen anzuspannen

Die ihren Silber-Wagen ziehn,

Und die bestraften Nymphen fliehn

Mehr traurig als belehrt von dannen.


Der Tag zerfließet nun

Im allgemeinen Schatten,

Und alle Wesen ruhn

Die sich ermüdet hatten;

Es schlummert Tal und Hain,

Die Weste selbst ermatten

Von ihren Buhlerein,

Und schlafen unter Küssen

Im Schoße von Narzissen

Und Rosen gähnend ein.

Der junge Satyr nur

Verfolgt der Dryas Spur;

Er reckt sein langes Ohr

Bei jedem leisen Zischen

Aus dem Gesträuch hervor,

Ein Nymphchen zu erwischen,

Das in den finstern Büschen

Vielleicht den Weg verlor.

Er sucht im ganzen Hain

Mit wohl zerzausten Füßen;

Umsonst! Der Göttin Dräun

Zwang sie sich einzuschließen;

Die armen Mädchen müssen

Für kürzre Nächte büßen

Und schlafen itzt allein.[107]

Dem Faun sinkt Ohr und Mut,

Er kehrt mit kühlerm Blut

Beim ersten Morgen-Blick

Zu seinem Schlauch zurück.

Er denkt, mich zu erhenken

Da müßt ich albern sein!

Ich will die Liebespein

In süßem Most ertränken.


Indessen schwebt der Göttin Wagen schon

Nah über jenem Ort wo in des Geißblatts Schatten

Die Nymphen dir, Endymion,

Vielleicht auch sich, so sanft gebettet hatten.

Wie reizend lag er da! Nicht schöner lag Adon

An seiner Göttin Brust, die weil er schlief ihm wachte,

Mit Liebestrunknem Blick auf ihren Liebling lachte,

Und stillentzückt auf neue Freuden dachte;

Nicht schöner ward der junge Ganymed

Vom Vater Zeus, der große Augen dreht',

In Junons Armen einst gefunden;

Nicht schöner lag, durch doppelte Gewalt

Der Feerei und Schönheit überwunden,

Der Wollust atmende Rinald

Von seiner Zauberin umwunden:

Als hier, vom Schlaf gebunden,

Endymion – Gesteht, daß die Gefahr

Nicht allzuklein für eine Spröde war.

Das Sicherste war hier die Augen zuzumachen.

Sie tat es nicht und warf, jedoch nur obenhin

Und blinzend, einen Blick auf ihn.

Sie stutzt und hemmt den Flug der schnellen Drachen,

Schaut wieder hin, errötet, bebt zurück,

Und suchet mit verschämtem Blick

Ob sie vielleicht belauschet werde;

Doch da sie ganz allein sich sieht,

Lenkt sie mit ruhigerm Gemüt

Den Silber-Wagen sanft zur Erde,

Bückt sich, auf ihren Arm gestützt,[108]

Mit halbem Leib heraus und überläßt sich itzt

Dem Anschaun ganz, womit nach Platons Lehren

Sich im Olymp die reinen Geister nähren.


Ein leicht beschattendes Gewand

Erlaubt den ungewohnten Blicken

Nur allzuviel sie zu berücken.

Man sagt so gar, sie zog mit leiser Hand

Auch dieses weg, doch wer hat zugesehen?

Und tat sie es, wofür wir keinem stehen,

So zog sie doch beim ersten Blick

Gewiß die Hand so schnell zurück

Als jenes Kind, das einst im Grase spielte,

Nach Blumen griff und eine Schlange fühlte.


Indessen klopft vermischt mit banger Lust

Ein süßer Schmerz in ihrer heißen Brust;

Ein zitterndes, wollüstiges Verlangen

Bewölkt ihr schwimmend Aug und brennt auf ihren Wangen.

Wo, Göttin, bleibt dein Stolz, die Sprödigkeit?

Dein Busen schmilzt wie Schnee in raschen Flammen.

Kannst du die Nymphen noch verdammen?

Was ihre Schuld verdient, ist's Tadel oder Neid?


Die Neugier hat, wie Zoroaster lehrt,

Von Anbeginn der Weiber Herz betört.

Man denkt ein Blick, von Ferne, von der Seiten,

Ein bloßer Blick, hat wenig zu bedeuten.

O! glaubet mir, ihr habt schon viel getan,

Der erste Blick zieht stets den andern an;

Das Auge wird (es sagt's ein weiser Mann)

Nicht satt vom Sehn, und Lunas Beispiel kann,

Uns hier, wie wahr er sagte, lehren.


Ihr Mädchen, die ihr spröde tut,

Hier solltet ihr ein wenig überhören;

Ich bin euch diesesmal für kein Erröten gut.

Die Fächer vors Gesicht![109]

Diana – Nein! um Welten

Verriet' ich dieses nicht,

Sie ließen mich's entgelten.

Des jungen Löwen Grimm,

Des raschen Einhorns Mut,

Ist nicht so ungestüm

Als junger Schönen Wut.

Sie könnten sich verschwören

Mir nimmer zu verzeihn.

Nein! Wahrheit, dir zu Ehren

Ein Märtyrer zu sein,

Bei Chloens Busen! Nein!

Das heißt zuviel begehren.

Doch, bin ich nicht zu scheu?

Man weiß, daß uns die Feen

Oft lieber allzufrei

Als allzuschüchtern sehen.

Die Jungen danken mir

Vielleicht noch gar dafür;

Die Weise lacht und spricht,

Mich ärgern Märchen nicht;

Und Miß Brigitte – Nun!

Die läßt man böse tun!


Der Gegenstand, der Ort, die Zeit,

Wird die Entschuldigung der Göttin machen müssen.

Selbst ihre Unerfahrenheit

Vermindert ihre Strafbarkeit.

So neu sie war, wie kann sie wissen,

Wie manche wissen's nicht, daß man

Vom Sehn sich auch berauschen kann?

Sie schaut, und da sie so wie aus sich selbst gerissen,

So unersättlich schaut, kommt ein Gelust sie an

Den schönen Schläfer gar – zu küssen.


Zu küssen? Ja, doch man verstehe mich

So züchtig, so unkörperlich,

So sanft wie junge Zephyrs küssen;[110]

Mit den Gedanken nur

Von einem solchen Kuß,

Wovon Ovidius

Die ungetreue Spur

Nach mehr als einer Stunde

(Laut seiner eignen Hand)

Auf seines Mädchens Munde

Und weißen Schultern fand.

Es kostet sie den Wunsch sich zu gestehen,

Sie glüht von keuscher Scham vom Wirbel bis zum Zehen,

Und lauscht und schaut sich um. Doch allgemeine Ruh

Herrscht weit umher im Tal und auf den Höhen,

Kein Blättchen rauscht. Itzt schleicht sie leis hinzu,

Bleibt unentschlossen vor ihm stehen,

Entschließt sich, bückt sich sanft auf seine Wangen hin,

Die, Rosen gleich, in süßer Röte glühn,

Und spitzt die Lippen schon, und itzt – itzt war's geschehen,

Als eine neue Furcht (wie leicht

Wird eine Spröde scheu!) sie schnell zurücke scheucht,

Sie möcht es noch so leise machen,

So könnte doch der Schläfer dran erwachen.

Was folgte drauf' Sie müßte weiter gehn,

Ihm ihre Neigung eingestehn,

Um seine Gegenliebe flehn

Und sich vielleicht – wer könnte das ertragen,

Vielleicht sich abgelesen sehn –

Welch ein Gedank! Kann Luna soviel wagen,

Bei einer Venus, ja, da möchte so was gehn,

Die gibt oft ungestraft den Göttern was zu spaßen,

Und kann sich eh im Netz ertappen lassen

Als ich, die nun einmal die Spröde machen muß,

Bei einem armen trocknen Kuß.

Und wie' er sollte mich zu seinen Füßen sehn?

Dianens Ehre sollt in seiner Willkür stehn?

Wie, Wenn er dann den Ehrfurchtsvollen machte

(Man kennt der Schäfer Schelmerei)

Und meiner Schwachheit ohne Scheu

An einer Nymphe Busen lachte?[111]

Wie würde die der Rache sich erfreun,

Und meine Schmach von Hain zu Hain

Den Schwestern in die Ohren raunen?

Die eine spräch's der andern nach,

Bald wißtens auch die Satyrs und die Faunen

Und sängen's laut beim nächtlichen Gelach.

In kurzem eilte die Geschichte

Vermehrt, verschönt, gleich einem Stadt-Gerüchte,

Bis zu der obern Götter Sitz;

Dem Momus, der beim Saft der Nektar-Reben

Die Götter lachen macht, und Junons scharfen Witz

Beim Teetisch neuen Stoff zu geben.


Die Göttin bebt, erblaßt und glüht

Vor so gefährlichen Gedanken,

Und wenn sie dort die Neigung zieht,

So macht sie hier die Klugheit wanken.

Man sagt, bei Spröden überzieh

Die Liebe doch die Vorsicht nie.

Ein Kuß mag freilich sehr behagen,

Doch ist's am Ende nur ein Kuß;

Und Freuden, wo man zittern muß,

Sind doch (was auch Ovide sagen)

Für Damen nicht, die gerne sicher gehn.

Sie fängt schon an nach ihrem Drachen-Wagen

Den scheuen Blick herumzudrehn,

Schon weicht ihr scheuer Fuß – doch bleibt er wieder stehn;

Sie kann den Trost sich nicht versagen

Nur einmal noch (sie hat ja nichts dabei zu wagen)

Den schönen Schläfer anzusehn.


»Noch einmal?« ruft ein Casuist;

»Und heißt denn das nicht alles wagen?«

Vielleicht; doch ist es, wie ihr wißt,

Genug, die Göttin loszusagen,

Daß sie es nicht gemeint; die Frist

War allzukurz, euch Rats zu fragen;

Und überdem vergönnet mir zu sagen,

Daß Escobar auf ihrer Seite ist.[112]

Vorsichtig oder unvorsichtig,

(Uns gilt es gleich) genug, soviel ist richtig,

Sie bückte sich noch einmal hin und sah,

(Doch mit dem Vorsatz, ihn auf ewig dann zu fliehen)

Den holden Schläfer an. Betrogne Cynthia!

Sie sieht, schon kann sie ihm den Blick nicht mehr entziehen,

Und bald vergißt sie auch zu fliehen.

Ein fremdes Feuer schleicht durch ihren ganzen Leib,

Ihr feuchtes Aug erlischt, die runden Kniee beben,

Sie kennt sich selbst nicht mehr, und fühlt in ihrem Leben

Sich itzt zum erstenmal ein Weib.

Erst ließ sich ihr Gelust mit einem Kusse büßen,

Itzt wünscht sie schon sich satt an ihm zu küssen.

Doch macht sie stets die alte Sorge scheu.

Diana muß sich sicher wissen,

Und wird ein bißchen Feerei

Zu brauchen sich entschließen müssen.


Es wallt durch ihre Kunst

Ein zauberischer Dunst,

Von Schlummer-Kräften schwer,

Um ihren Liebling her.

Er dehnt sich, streckt ein Bein

Und schläft bezaubert ein.

Sie legt sich neben ihn

Aufs Rosenlager hin,

(Es hatte, wie wir wissen,

Für eine Freundin Raum)

Und unter ihren Küssen

Den Schlaf ihm zu versüßen

Wird jeder Kuß ein Traum.


Ein Traumgesicht von jener Art,

Die oft, trotz Scapulier und Bart,

Sanct Franzens fette Seraphinen

In schwüler Sommer-Nacht bedienen;

Ein Traum, wovor selbst in der Fasten-Zeit

Sich keine junge Nonne scheut,[113]

Der, wie das fromme Ding in seiner Einfalt denket,

Sie bis ins Paradies entzückt,

Mit einem Strom von Wollust tränket,

Und fühlen läßt was nie ihr Aug erblickt.


Ob Luna selbst dabei was abgezielet –

Ob ihr das schelmische Gesicht,

Cupido, einen Streich gespielet –

Entscheidet die Geschichte nicht.

Genug, wir kennen die und den,

Die gerne nie erwachen wollten,

Wenn sie Aeonenlang so schön

Wie unser Schäfer träumen sollten.


Was Jupiter als Ledas Schwan

Und als Europens Stier getan,

Wie er Alkmenen hintergangen,

Und wie der hinkende Vulcan

Sein Weibchen einst im Garn gefangen;

Wie stille Nymphen oft im Hain

Dem Faun zum Raube werden müssen,

Wie sie sich sträuben, bitten, dräun,

Ermüden, immer schwächer schrein,

Und endlich selbst den Räuber küssen;

Des Weingotts Zug, und wie um ihn

Die taumelnden Bacchanten schwärmen,

Wie sie von trunkner Freude glühn,

Und mit den Klapper-Blechen lermen;

Sie wiehern laut ihr Evoe!

Es hallt vom fernen Rhodope

Zurück; der Satyr hebt mit rasender Gebärde

Die nackte Menas in die Höh,

Und stampft in wildem Tanz die Erde.


Ein sanftrer Anblick folgt dem rohen Bacchanal.

Ein stilles, schattenvolles Tal

Führt ihn der Höhle zu, wo sich die Nymphen baden;

Diana selbst errötet nicht[114]

(Man merke, nur im Traumgesicht

Und von geschäftigen Najaden

Fast ganz verdeckt) von ihm gesehn zu sein.

Welch reizendes Gewühl! Es scheint vom Widerschein

So mancher weißen Brust die sich im Wasser bildet,

So manches goldnen Haars, die Flut hier übergüldet,

Dort Schnee im Sonnen-Glanz zu sein.

Sein trunknes Auge schlingt mit gierig offnen Blicken

So viele Reizungen hinein,

Er schwimmt in lüsternem Entzücken

Und wird vor Wunder fast zum Stein.


Man glaubt, daß Cynthia hiebei

Nicht ungerührt geblieben sei;

So süß auch Küsse sind, wenn wir Tibulle hören,

So haßt doch die Natur ein ewig Einerlei.

Beim Nectartisch und beim Konzert der Sphären

Sind Götter selbst nicht stets von Langerweile frei.

Zum mindsten sagt's Homer. Wie wird dann, satt von Küssen,

Diana sich zu helfen wissen?

»Sie tat (so sagt der Faun, der sie beschlichen hat)

Was Platons Penia im Götter-Garten tat.«

»Was tat dann die?« wird hier ein Neuling fragen?

Sie legte – Ja doch! Nur gemach!

Schlagt euern Plato selber nach,

Das läßt sich nur auf Griechisch sagen.

Verliebt und weise sein, ist, wie ein Alter glaubt,

Den Göttern kaum, den Menschen nie erlaubt.

Wer ganz Empfindung ist, kann keine Schlüsse machen.

Der Gegenstand, der itzt Dianen an sich zieht,

Macht, wie Galen bemerkt, nebst Wallung im Geblüt,

Die Augen übergehn und die Vernunft erschwachen;

Und Martialis muß gestehn,

Daß selbst Cornelia, die Mutter beider Gracchen,

Mit kaltem Blut ihn selten angesehn.


Die Spröden mögen sich hier ein Exempel nehmen.

Das schöne Volk nicht zu beschämen,

Verschwieg ich gern, wie tief Diana fiel;[115]

Allein der Faun verriet das ganze Spiel.

Zum Unglück war's der schlimmste unter allen.

Er hatte, wie gesagt, den Nymphen zu gefallen

Den ganzen Hain umsonst durchspürt,

Und dachte gleich zu seinen vollen Schläuchen

Sich unbemerkt zurückzuschleichen,

Als aus den nahen Myrten-Sträuchen

Sein lauschend Ohr ein wollust-atmend Keuchen

Ein liebliches Geseufz und süßes Girren rührt.

Der Satyr stutzt und denkt bei sich:

Hier ist man glücklicher als ich,

Dies Seufzen hat was zu bedeuten.

So seufzt, beim Styx! trostlose Liebe nicht.

Er schleicht dem Tone nach und sieht ein hellers Licht

Sich über das Gebüsch verbreiten,

Schleicht immer fort, entdeckt das Drachen-Paar,

Die ungeduldig sich am leeren Wagen sträuben,

Und stutzt noch mehr. Wie, denkt er, mag wohl gar

Diana, die so spröde war,

Die Männer-Hasserin, sich hier die Zeit vertreiben,

Kaum denkt er's aus, so zeigt ein neuer Blick

Ihm Lunas Fall und Amors Meisterstück.

O! Göttin, welch ein Augenblick;

Wie wird der rohe Faun dich höhnen!

Ein andrer schliche sich von einer solchen Szenen

Mit abgewandtem Aug aus Großmut still zurück;

Er würde sich sogar noch Zweifel machen,

Und hieß es nur ein täuschend Nacht-Gesicht:

Allein in Faunen wohnt so viele Tugend nicht.


Ein wildes überlautes Lachen

Weckt sie, und zeigt den Zeugen ihrer Lust.

Sie hebt ein sterbend Aug und schließt es plötzlich wieder,

Ein kalter Schaur durchfährt die aufgelösten Glieder,

Vor Schrecken starrt die ausgedehnte Brust.

Sie sinkt betäubt bei ihrem Schäfer nieder,

Und seufzt und weint, daß sie nicht sterben kann.

Ach! käm er nur, der dürre Knochen-Mann,[116]

Er sollt ihr Liebling sein! Sie wollte mit Entzücken

Sein faul Geripp an ihren Busen drücken!

Was kaum so reizend war sieht sie mit Grauen an.

Wie wälzt auf Rosen sich als wie auf Kohlen-Feuer,

Des Zephyrs Atem deucht ihr Pest,

Endymion ein Ungeheuer,

Die weite Welt ein Drachen-Nest.

Sie so betrübt zu sehn, das schmelzte Tartar-Herzen,

Der Faun bleibt ungerührt; er lacht noch ihrer Schmerzen,

Und leert den schalen Witz, den er bei manchem Schmaus

Gesammelt hat, bei diesem Anlaß aus;

Sieht sie auf ihren Arm sich stumm und trostlos stemmen,

Und eine Tränenflut, die nicht zu stillen war,

Den schönsten Busen überschwemmen,

Sieht's und erfrecht sich, der Corsar!

Durch Küsse ihren Lauf zu hemmen.

Sie stößt ihn weg, doch nur mit matter Hand.

Was hälf ihr gegen einen Zeugen

Von dieser Art ein stolzer Widerstand?

Es liegt zuviel an seinem Schweigen.

Der ungeduldige Sylvan

An dem schon alle Adern glühen,

Verspricht und droht zugleich. Sie sieht ihn schüchtern an,

Errötet, staunt, und sucht, was sie nicht hindern kann,

Zum wenigsten noch aufzuziehen.

Was soll sie tun? Hier ist die Antwort schwer;

Dem größern zu entgehn ein kleiners Übel leiden?

Um bösen Ruf und Ärgernis zu meiden

Erlaubt Caramuel wohl mehr.


Ein Umstand ist dabei, der ihr sich zu entschließen

Noch leichter macht. Ihr graut vor seinem Bart,

Dem weiten Maul, den rauhen Ziegenfüßen,

Dem Hörner-Paar, das ihm aus schwarzen Locken starrt.

Sie hofft von ihrer Schuld bei so verhaßten Küssen

Zum wenigsten die Hälfte abzubüßen,

Und ihrem zärtlichen Gewissen

Scheint keine Züchtigung für ihr Vergehn zu hart.[117]

Der Satyr preßt; es Hilft kein ekles Sträuben;

»Nur gutes Muts, Frau Feen-Königin!

Was schielt ihr so nach euerm Schäfer hin?

Vergeßt ihn itzt! wenn ich so glatt nicht bin,

So soll mir doch ein andrer Vorzug bleiben.«


Die Göttin seufzt, der Waldgott schwört

(Doch nicht beim Styx!) die Sache zu verhehlen;

Er zeigt sich seines Namens wert,

Und da zuletzt sie mehr zu quälen

Aurorens Ankunft ihm verwehrt,

Bedankt er sich, wie sich's gehört,

Und eilt, sein Glück den Brüdern zu erzählen.

Fußnoten

1 Nach den Worten des ehrlichen Fuchs-Jägers Western; wir erinnern uns nicht, in welchem Buch und Kapitel der Geschichte des Tom Jones.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 4, München 1964 ff., S. 100-118.
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Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

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