Tote trösten

[126] O Nacht, wie warst du sonst so heilig schön!

Am Erdenbusen lag der Mondenschein;

Es war sein Traum ein silberzart Getön;

Und Ruheglocken summten aus den Höhn ...

O Nacht, und nun? Wie schaurig kannst du sein!


Da lieg ich lahm, zerschmettert mein Gebein;

Im Abgrund lieg ich, finster, ganz allein.

Ich stöhne, zitternd strecken sich die Arme:

Ist droben keiner, der sich mein erbarme?

Ist ausgeloschen aller Sterne Schimmern?

Ich höre nur dein monotones Wimmern,

Du Unrastseele, ewger Jude Wind!


Stumm sei und stolz mein zuckender Mund!

Was mich gestürzt in den schwarzen Schlund,

Keinem Atmenden werd es kund!

Sie schlafen; oder ihr Schwelgen lacht.

Was kümmert sie's, wenn ein Grübler wacht

Und sich quält mit der schwarzen Nacht!


Nur Toten

Sei mein Flehen entboten.

Sie lassen sich rufen, sie neigen[127]

Dem hilflos Einsamen ihre Huld,

Haben für all sein Beichten Geduld

Und können wie Grüfte schweigen.


Nun denn, mein Vater! komm aus deinem Grabe,

Aus meinem Herzen komm und laß dich schaun!

Liebernstes Angesicht, sieh her! Dein Knabe,

Er ist's, er liegt in Zweifel und in Graun

Und möchte schluchzend sich dir anvertraun.

Auch du, Großmutter mit den Silberlocken,

Du weise Frau, die gütig mich gekos't,

Wenn vor der Welt mein Kinderherz erschrocken,

Dein großes blaues Auge sei mein Trost!


Wohlan, ihr Treuen, laßt euch klagen

Und mein Geheimnis sagen ...

Doch nein, nicht sagen! nur mit Schweigen spricht

Die Seele, wo sie heiß aus Tiefen bricht.

Und ihr, dem Schattenreiche eigen,

Liebt ja das Stumme und versteht mein Schweigen.

Ich spüre eure milden Augensterne;

Ihr Schauen dringt ins Tiefste mir und fühlt,

Was hier im Busen glüht und zuckt und wühlt.

Wie lieg ich unter diesem Blick so gerne,

Der mich wie Tau benetzt und meine Wunde kühlt.
[128]

Bin ich genesen? Wieder heilig schön

Dünkt mich die Nacht. Die feierlichen Glocken

Ersummen abermals in Himmelshöhn,

Als möchten sie mir neues Hoffen locken.

Und horch, was zwitschert schüchtern sacht?

War's nicht der Lerche Morgenlaut?

Ich glaube gar, noch einmal wacht

Ein Blütentag mir auf. Es graut, es graut!

Quelle:
Bruno Wille: Der heilige Hain. Jena 1908, S. 126-129.
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