Im Sommerwinde

[51] Es wogt die laue Sommerluft.

Wacholderbüsche, Brombeerranken

Und Adlerfarren nicken, wanken.

Die struppigen Kiefernhäupter schwanken;

Rehbraune Äste knarren.

Von ihren zarten, schlanken,

Lichtgrünen Schossen stäubt

Der harzige Duft,

Und die weiche Luft

Wallt hin wie betäubt.


Auf einmal tut sich lächelnd auf

Die freie sonnige Welt:

Weithin blendendes Himmelblau;

Weithin heitre Wolken zu Hauf;

Weithin wogendes Ährenfeld

Und grüne grüne Auen ...

Hier an Kiefernwaldes Saum

Will ich weilen, will ich schauen/

Unter zartem Akazienbaum,

Der vom muntern Wind gerüttelt

Süße Blütentrauben schüttelt.


O Roggenhalme hin und her gebogen!

Wie sanft sie flüstern, wie sie endlos wogen[52]

Zu blau verschwommenen Fernen!

Schon neigen sich und kernen

Viel Häupter silbergrün.

Andre blühn,

Duftend wie frisches Brot.

Dazwischen glühn

Mohnblumen flammenrot

Bei dunkelblauen Cyanen ...


Und droben wallen

Durch lichtes Blau

Wolkenballen,

Gebirgen gleich,

Halb golden und halb grau.

Frau Sonne spreitet

Den Strahlenfächer von Silberseide

Zur Erde nieder;

Dann taucht sie wieder

Aus schneeigem Wolkenkleide

Blendende Glieder

Und blitzt und sprüht

Verklärend Goldgefunkel

Auf Auen, wo lachend blüht

Vergißmeinnicht und gelbe Ranunkel

Und Sauerampfer ziegelrot ...
[53]

O du sausender brausender Wogewind!

Wie Freiheitsjubel, wie Orgelchor

Umrauschest du mein durstig Ohr;

Du kühlst mein Haupt, umspülst die Gewandung,

Wie den Küstenfelsen die schäumende Brandung/

O du sausender brausender Wogewind!

Nun ebbest du, so weich, so lind/

Ein Säuseln, Lispeln, Fächeln.

Bestrickte dich ein Sonnenlächeln?

Auch dein Gesäusel stirbt;

Dann/ lauschige Stille.

Nur noch die Grille

Dengelt und zirpt

Im Erlengebüsch, wo das Wässerlein träumt,

Von Lilien gelb umsäumt.

Ins Blaue weltverloren girrt

Inbrünstig die Lerche/ schwirrt

Taumlig vor Wonne

Zu Wolken und Sonne

Und girrt und girrt.


Da wird mir leicht, so federleicht;

Die dumpfig alte Beklemmung weicht.

All meine Unrast, alle wirren

Gedanken sind im Lerchengirren,[54]

Im süßen Jubelmeer ertrunken.

Versunken

Die Stadt mit Staub und wüstem Schwindel;

Versunken

Das Menschengesindel;

Begraben der Unrat, tief versenkt

Hinter blauendem Hügel,

Dort wo hurtige Flügel

Die emsige Mühle schwenkt ...


Friede, Friede

Im Lerchenliede,

In Windeswogen,

In Ährenwogen!

Unendliche Ruhe

Am umfassenden Himmelsbogen!


Weißt du, sinnende Seele,

Was selig macht?

Unendliche Ruhe!

Nun bist du aufgewacht

Zu heitrer Weisheit.

Gestern durchwühlte dein Herz ein Wurm,

Und heute lacht

Das freie Herz in den Sommersturm ...
[55]

Friede, Friede

Im Lerchenliede,

In Windeswogen,

In Ährenwogen!

Unendliche Ruhe

Am umfassenden Himmelsbogen!

Quelle:
Bruno Wille: Der heilige Hain. Jena 1908, S. 51-56.
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