Gedenke mein!

[26] Gedenke mein, wenn Morgenrot die Tore

Zum Throngemach der Sonne leis erschließt;

Gedenke mein, wenn dir im Sternenflore

Die feierstille Nacht vorüberfließt;

Wenn bei der Freude Ruf die Pulse rascher fliegen,

Wenn Abendschatten dich in sanfte Träume wiegen.

O geh hinaus, zu lauschen,

Was Wälder heimlich rauschen:

Gedenke mein!


Gedenke mein, wenn das Gebot der Sterne

Aus diesem Arm dich unerbittlich wand;

Wenn mich das Heimweh in der kalten Ferne

Nach dir verzehrt, du einzig Heimatland.

Denk an mein Lebewohl, an unsre Zährenfluten;

Nicht Meere zwischen uns ersticken treue Gluten,

Und meines Herzens Schlagen

Soll zuckend noch dir sagen:

Gedenke mein!


Gedenke mein, wenn in der Erdenkühle

Ich träumend ruh, und eine Blume sprießt

Einsam und zärtlich aus dem Rasenpfühle;

Du ahnest, was die Knospe keusch umschließt.[27]

Dein Auge sieht mich nicht, doch soll geheimes Leben,

Ein treuer Schwestergeist, dem Blumenkelch entschweben

Und horch, in Nacht und Schweigen

Zu dir sich seufzend neigen:

Gedenke mein!

Quelle:
Bruno Wille: Der heilige Hain. Jena 1908, S. 26-28.
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