Hundsgemeinheit

[232] An einem Sonntag war's, nach Tische. Ich übte auf meiner Zither, während mein Vater schrieb und die Mutter in Haushaltsachen ausgegangen war. Da scholl die Wohnungsglocke, gleich darauf hörte ich, wie eine Baßstimme sprach, und Uli trat ein. Schmerzliche Spannung im Gesicht. Nachdem er meinen Vater wegen der Störung um Nachsicht gebeten hatte, reichte er mir düster die Hand.

»Ist etwas mit Hainlin?« fragte ich beklommen. – »Er will ons verlasse,« lautete die dumpfe Antwort. – »So ist es nichts mit seiner Anstellung?« fragte mein Vater. Ulis Auge sprühte Zorn, er schüttelte die Faust: »Den Denunziante, den hundsmiserable, wenn i den ausfindik mach –!«

»Denunziant?« stutzte mein Vater. »Herr Hainlin ist denunziert? Was soll er denn verbrochen haben? Und wer hat denunziert?« Aufgeregt fuhr sich Uli durchs Haar und lief mit großen Schritten umher: »Der Ssaubock hat's tan! Der ond die Linda! Hintertreibe will sie, daß Hainlin die Rosel kriagt. Dees neidige Huhn! Ond mit dem Ssaubock hält sie's neuerdings!«

»Und deshalb meinen Sie ...? Aber was ist denn eigentlich geschehn? Tatsachen, Herr Ritter! Nicht bloße Verdachtsmomente!« Uli blieb vor meinem Vater stehn: »Erschtens –[233] Tatsach! Ein anonymer Brief an die Polizei, der behauptet, in Bebehause hab Herr Hainlin mit seiner Flöt dem Standbild des Grafen Aeberhard 's Fingerle abgschlage! Aber dees ischt verloge! Herr Hainlin hat auf Ehrenwort erklärt, mit keinem Schritt sei er damals im Kloschter Vebehause gwä, vielmehr beim Herrn Guhl im Einsiedel. Alsdann hat Frau Schneckle zu Protokoll gebe, besagte Flöt sei damals auf Hainlins Bud glege, den ganze Taag –! Na hat die Polizei davon Abstand genomme, die Sach weiter zu verfolge.« – »Also!« sagte mein Vater – und mir fiel eine Last vom Herzen.

Doch Ulis Gesicht wurde aufs neue finster: »Jetzt kommt die andre Tatsach: Auch die Schulbehörde hat eine anonyme Denunziatio' erhalte. Hainlin hab e Schmähgedicht auf den ganzen Schulbetrieb gemacht und hab's veröffentlicht in der geheimen Schülerzeitong.« – »Und ist das Gedicht so scharf, daß es Herrn Hainlin als Lehrer unmöglich macht?« fragte mein Vater. Uli entgegnete spöttisch: »Im Ländle send mr halt – ond Herr Hainlin hat gesagt, da ghör d Schulmeischterei zur Staatsordnung.«

Ulis seelische Gespanntheit schien sich einigermaßen entladen zu haben, und er nahm Platz, – heller wurde seine Miene: »Den heutige Tag möcht i net weiter veronreinige mit so Hundsgemeinheit! Herr Hainlin bittet, wir sollten uns heut net weiter mit dem Schmutz da befasse. Feire möcht er mit uns den Abschied. Ond dazu soll i den Bruno einlade – ins Wengerthäusle! Wenn Sie's erlaube, Herr Wille, kommt dr Bruno glei mit – gelt?« – »Gewiß erlaub' ich's. Aber muß denn gleich geschieden sein? Und wohin will Herr Hainlin sich wenden?« – »Nach Bonn will er – da hat er nen Poschten in Aussicht als Hilfsbeamter der Universitäts-Bibliothek. Dabei könnt er sei Studium fortsetze – Germanischtik.«[234]

»Das freut mich für ihn. Und nun grüßen Sie Herrn Hainlin herzlich von mir. Ich hoffe, ihm noch die Hand drücken zu können. Ueber die Denunziationsgeschichte sagen Sie mir wohl später Näheres, Herr Ritter. Ihr Verdacht gegen Linda Kuttler interessiert mich natürlich. Sollte sie wirklich so bösartig sein?« – Mit bitterm Lächeln zuckte Uli die Achsel. Dann empfahl er sich in seiner höflichen Weise, und ich ging mit ihm. Als wir durch die Gassen schritten, wurde er wieder leidenschaftlich: »Der Ssaubock steckt dahinter! Aber dem werd i's eitränke! Wart', du Hundsgemeiner!«

Quelle:
Bruno Wille: Glasberg. Berlin [o. J.], S. 232-235.
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