Was nützet mir ein schöner Garten –?

[103] »Ach, Uli –,« begann ich. Da legte er düstern Blickes die Hand auf meine Schulter. »I weiß!« – »Und läßt sich nichts dagegen tun? Es hieß doch immer, bis Ostern habe er Zeit mit dem Soldatwerden – und nun auf einmal will Hainlin schon Herbst nach Stuttgart – warum hat er's so eilig?« Mit großen Schritten ging Uli im Zimmer umher, blieb dann vor mir stehen und meinte dumpf: »Warum? Errate kann mr's. Wegen der Rosel!« – »Das vermut' ich auch. Bloß daß mir nicht klar ist, warum er gerade setzt die Rosel allein lassen will.«

Raunend, als ob ein Geheimnis zu wahren sei, fuhr Uli fort: »Warom? Weißt du net, daß der Vollendorf jetzt eine Wohnung gemietet hat, wo ihm d' Frau Kuttler mit dr Rosel die Wirtschaft führt?« – »Weiß ich! Und mein Vater sagt, dem armen Bolkendorf sei das zu gönnen – er habe so die beste Pflege.« – »Dees hat er! Dem Bolkendorf paßt es.« – »Der Rosel wohl auch! Sonst wäre sie nicht zu ihm gezogen. Na, und der Frau Kuttler? Mein Vater meint, für die sei's geradezu eine Erlösung, daß sie von ihrem Wüterich losgekommen ist und beim Bolkendorf den guten Unterschlupf hat.« – »Stimmt! Aber ...«

»Na ja, einen Kranken pflegen, ist keine leichte Sache. Aber mit der Zeit wird er ja wohl wieder gesund.«

»Ha no! Wenn der Bolkendorf schließli gsund ischt – ond wo er doch die Rosel so lang bei sich ghabt hat, na wird er sage,[104] er könn sie nimmer lasse, seine Frau soll sie werde.« – »Leicht möglich!« versetzte ich – »er ist ja verschossen in die Rosel. Aber sie! Wenn sie doch den Hainlin lieb hat! Dessen Frau möcht sie werden – das weiß ich ganz genau – wenn sie auch zurückhaltend ist. Sie kann ja gar nichts anderes wünschen. Oder bist du anderer Meinung?«

Bedenklich hatte Uli den Kopf gewiegt: »Lieb hat sie ihn – natürli! Aber graad deshalb!« – »Was denn?« fragte ich, obwohl ich ungefähr erriet, was ihm vorschwebte. Und Uli fuhr fort: »Graad deshalb! Weil sie ihn lieb hat, mag sie ihn net binde.« – »Binden? Na ja, gebunden wär' er, wenn er sie heiratet. Das geht ja gar nicht anders. Und so allerdings – hm! Du magst recht haben. Die Rosel ...« Und ich bedachte, was sie mir anvertraut hatte. Indessen wollte ich hören, wie sich Uli die Sache zurechtlegte. Stellte mich daher, als ob ich den Zusammenhang nicht recht begriffe: »Immerhin! Wenn Rosel den Hainlin lieb hat, und er sie auch – so gehören die zwei zusammen, und er soll sie einfach heiraten.«

Einen geringschätzigen Blick hatte Uli, als ob er sagen wollte: Du sprichst, wie du's verstehst! Und abermals lief er im Zimmer umher, überlegend, wie die Sache verständlich zu machen sei. »Ein – fach hei – rate? So spricht e Kindskopf! Heirate, dees ischt dorchaus net eifach! Zom Heirate ghört Geld! Hausrat muß mr habe, Wohnung muß mr miete, Frau ond Kinder nähre könne!« – »Kinder? Sie haben doch keine Kinder!« – »Bählämmle du! Freili hänt sie koine – aber wenn sie heirate, kriege sie min – desch – tens – sieben Kinder.« Ich merkte, daß ich rot wurde: »Na ja, natürlich! Aber ...« – »Nicks aber! Mach dir klar: Der Hainlin – wo sich doch selber kaum durchbringt – soll Brot schaffe für Frau ond – sie – ben Kinder! Und net bloß Brot! Die hänt ja au Kleider nötik – Schühle, Strümpfle[105] ond so Zeugs. Jetzt sag mr du: woher soll er's Geld nemme, dees alles zu zahle? he?«

»Er müßte dann allerdings eine Lehrerstelle annehmen – die was einbringt.« – Mit dieser Bemerkung brachte ich Uli in Harnisch. »Lährerstell? Ond dees sagscht du? Zom Präzeptor willscht ihn mache? Philischter du! Ein Genie wie Hainlin ond Schulmeischter werde? Ah bah!« Und er spuckte aus. – »Ich? Aber nein!« stammelte ich. »Ich denke nicht dran! Ich will ihn nicht dazu machen. Ich meine bloß: wenn er die Rosel heiraten will, wird ihm nichts übrig bleiben, als eben ... na ja!« – Wütend schrie mich Uli an: »Als Zucht – haus – auf – säher zu wer den im Latei-Zuchthaus, gelt?« – »Ich bin's ja nicht, der ihm das zumutet.« – »Ond die Rosel? Du meinscht, die wird ihm dees zumute?« – »Zumuten? Auch sie tut das nicht.« – »Also! Wenn sie's ihm net zumute will, na bleibt ihr nicks, als zu entsage! Die Heirat mit dem Genie muß sie sich aus dem Sinn schlage!«

»Wenn man's so ansieht, dann allerdings ... Ach ja! So ist das Leben! Die Wasserscheide ...« – »Wasserscheide?« meinte er befremdet, und ich wurde verlegen, war ja in Versuchung, mich zu verplappern – während mir Rosel Verschwiegenheit auferlegt hatte – »Ich – ich stelle mir zwei Bäche vor, die – die können nicht zusammenkommen – weil ... weil ne Wasserscheide dazwischen ist ...« Uli nickte – das Bild schien ihm einzuleuchten. »Ond dees ischt graadezu tragisch, daß sie net zusammekomme – obwohl sie sich lieb hänt, als wäre se füreinander bestimmt.« – »Ach ja, es ist hart!«

»Ond noch tragischer – daß jetzt dr Hainlin – graad weil er's so guet mit ihr meint – daß er jetzt wünsche muß, sie soll den Bolkendorf bekomme – weil der e braver Kerl ischt, bei dem sie versorgt wär.« – »Oh! Ich hätte nie geahnt, daß es so[106] schwer sein kann zu heiraten. Früher dacht' ich mir die Sache ganz einfach: wenn einer heiraten will, sieht er sich ne Masse Mädchen an und – die ihm am besten gefällt, die wählt er sich. Weil doch die Leute sagen: die Braut ist seine Auserwählte ... Aber jetzt sehe ich ein, die Sache ist anders. Ach, der arme Hainlin! Grämen wird er sich.« – »Grämen ja! Aber e sendimendaler Weichling ischt er dooch net! Wie i den Hainlin kenn, beißt er die Zahn z'samme ond denkt: Jetzt, Jörgle, gilt's! Deiner Rosel derfscht net im Weg sein! Gang still bei Seit! Ongebunde soll sie sein! Ongstört soll sie die Sach überlege – onbeeiflußt sich entscheide – so oder so!« – »Hast recht, Uli! So wird er denken! Aber woher weißt du das alles? Hat dir Hainlin Andeutungen gemacht?«

»Nicks hat er gsagt! I tu mir die Sach so z'sammenreime. Eins aber steht bombefescht: Nach Stuggart will er jetzt, weil ihm der Bolkendorf in die Quer kommen ischt.« – »Ach ja!« seufzte ich – »der Bolkendorf! Und daran bin ich schuld!« – »Schuld? Du meinscht das abgerissene Bändel?« – »Allerdings! Das hat die ganze Geschichte angestiftet! Daß ich zu Bolkendorf gekommen bin – und daß er durch mich die Rosel kennen gelernt hat.« – »Schicksal!« brummte Uli.

»Und wir?« fuhr ich beklommen fort – »was fangen wir an? Sollen wir nicht zum Kandidaten gehn und es mit 'ner Bitte versuchen?« Uli blickte mutlos: »Helfen wird's nicks. Aber freili – schuldig sind mr's ihm – zu sage, wie mr's meine.« – »Ja, sagen wollen wir's!« – »Gänget mr!« Und Uli machte sich zum Ausgehen fertig.

Er hatte bereits die Schülerkappe auf, als er zu einem Schlußwort vor mich hintrat: »Noch eis. Mach dir klar, wie dem Hainlin zumut wär, wenn er jetzt – da blieb! Wenn er alsdann beobachte müßt, wie dr Bolkendorf auf seim Schmerzelager[107] – wie er's Aug auf die Rosel gerichtet hält, glühend ond bittend, daß sie ihm soll bleibe! Ond wie die Rosel alsdann denkt: Der guete Mann! Leiden muß'r, weil'r für Mueter ond für mi eigstande ischt! Dank sind wir dem schuldik! Zudem tut er schwärme für mich! Ond jetzt, den soll i verlasse? Dees bring i net übers Herz, onrecht wär's! Für waas denn au? Auf mei Jörgle kann i dooch net warte, der kann nimmer heirate!« – Ich nickte: »Ja! so wird sie denken!«

»Ha, freili!« fuhr er düster fort. »Ond den Gedanke soll dr Hainlin älleweil in ihrem Gesicht lesen? Vielleicht bildet er sich au noch ei, er hab sich z' schäme – weil halt jedes Baureknechtle sei Mädle heirate kann, er aber, dr Hainlin, wagt dees net! Weil'r sich selber im Weg steht!« – »Stimmt! Er steht sich selber im Wege.« – »Ueber sein Genie kommt der net hinweg! Drum bleibt'r einsam. Mag die Rosel – so tut'r denke – mag sie dem Bolkendorf ghöre! Dulde will i's, ihr zulieb! Aber für sich sollen die zwei sein! I gang fort – ganz auf mei Stüble – ond pfeif auf meiner Flöt:


Was nützet mir e schöner Garte,

Wenn andre drin spaziere geh'n

Ond pflücke mir die Rösle ab,

Daran i meine Freude hab.«


Quelle:
Bruno Wille: Glasberg. Berlin [o. J.], S. 103-108.
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