Hainlin heiratet

[444] Spielten sich diese Schicksale im Kreise der Genossen ab, mit denen Hainlin Umgang hatte, so ging an einer andern Stelle seines Horizonts der Stern auf, der ihn fesseln sollte. Im Konzerthaus Bilse sah er unterm Publikum Neumann nebst Schwester, und als er ihnen an der Garderobe begegnete, kam es zu einem Gespräch, das beide Teile gern fortgesetzt hätten. Hainlin war einverstanden, als Neumann vorschlug, mitsammen in die Griechische Weinstube zu gehn.

Neumann benahm sich freundlich und burschikos, seine Schwester als stille Beobachterin, doch liebenswürdig. Der Reiz ihres Körperbaues wurde noch gehoben durch das dunkelseidene, mit Rot verbrämte Gewand. Im kühn geschlungenen Braunhaar glühte ein Granatschmuck. Die Farbe des sanft gerundeten Gesichts erinnerte an gelblichen Marmor, nur daß die Wangen von zarter Röte durchhaucht waren. Verstohlen betrachtete Hainlin das hellgraue Auge, das durch den Schleier dunkler Wimpern rätselhaft wirkte. Es ähnelte einem Waldsee, aus dem eine Nixe lugt und lauscht.

Von dem Pianisten, der hinreißend gewirkt hatte, ging das Gespräch zu Chopin über, und Neumann machte die Bemerkung: »Chopin? Mit dem treibt meine Schwester Götzendienst. Spielt ihn aber nicht übel – das muß ihr sonst mäkelnder Bruder anerkennen.« Hainlin verhehlte nicht, sein Heros sei der Himmelstürmer Beethoven, und dem gegenüber erscheine[445] Chopin weichlich. »Ich widerspreche durchaus nicht,« sagte Frau Marianka – »aber die träumerische Passivität, die Weiblichkeit, wie Sie sagen, hat auch ihr Recht. Sie, Herr Hainlin, sind ein Mann – ich glaube fast, ein geistiger Titan, der auf hohe Berge klimmt. Ich bin ein Weib, durch Leiden mutlos geworden – im trüben Winkel träum' ich bei meinem Chopin.«

Etwas beschämt durch ihre Nachgiebigkeit milderte Hainlin sein Urteil über Chopin und rühmte dessen Präludien und Tänze. Die Wärme, mit der er jetzt sprach, berührte die Geschwister wohltuend. Freudig horchten sie auf, als eine Wendung des Gesprächs verriet, Hainlin sei der Verfasser gewisser Aufsätze über Musik.

Mariankas Anmut und schwärmerische Hingabe hatte auf Hainlin, der sich sonst einsam fühlte, solchen Eindruck gemacht, daß er in seiner Kammer lange wachträumend lag. Mit Mariankas Worten beschäftigt, mit ihrer schmeichelnden Stimme und dem wehmütigen Lächeln ihres weichen Gesichts. Die Nixe des Waldteiches stieg vom dunkeln Grund als weiße Seerose empor, den Kelch öffnend, während der Mond mit leisem Klingen schien, und Nebelgebilde zwischen den Erlen brodelten. Dann wieder war die Seerose ein Marmorleib, kühl, doch voll heimlicher Glut – und diese Glut zu wecken, war bangsüße Lockung.

Ein Chopin-Abend, den man verabredet hatte, gestaltete sich für Hainlin zum Ereignis. Pochenden Herzens ging er hin, noch im Banne seiner Träumerei. Auf das nasse Straßenwetter wirkte wohlig der warme Salon mit der bunten Ampel, der Samt weicher Sessel, rings die Blumen und das üppige Blattgewächs. Außer Marianka und ihrem Bruder war eine junge hübsche Dame anwesend, Neumann machte ihr den Hof. Traulich plauderten die zwei Paare, deren jedes fast für sich blieb. Den Imbiß bot ein kaltes Büfett, von gutem Geschmack[446] zusammengestellt. Als nach dem Tee Herr Neumann Sekt perlen ließ und Mariankas weiße Hände über die Tasten des Flügels huschten, wurde die Stimmung ein bang süßes Erschauern: Chopin waltete, der Zauberer. Es war, als harfe einsame Sehnsucht zum Wimmern einer Dachtraufe – dann blaute Sommernacht – ein Park im Mondschein, und auf dem Strahl des Springbrunnens gaukelt eine Glaskugel. Was huscht aus dem Schatten blühenden Gesträuches? Ein bleiches Weib – nackten Armes hebt sie einen blinkenden Dolch zum Monde ...

Hainlin saß neben Marianka, um ihr die Noten zu blättern. Leise wiegte sie den Kopf, Hainlin anlächelnd, als ob sie mit ihm tanze. Und es verfing sich seine Seele in ihre Seele – ähnlich einem Nachtschmetterling, der in ein erleuchtetes Gemach geraten, die Wände entlang taumelt und bedenklich ums Licht schwirrt.

Dann saßen Marianka und Hainlin beisammen auf dem Sofa. Mokka nippend, sprachen sie leise von ihren Schicksalen. Marianka gestand, ihr sei ein Stein vom Herzen, nun die Scheidung von ihrem Manne endlich Rechtskraft habe. Was sie gelitten, solle jetzt verschwiegen bleiben – denn diese Stunde offenbare ihr, daß es noch ein Glück gebe. Gerührt ergriff Hainlin ihre Hand, eine samtweiche, kleine Hand, und hielt sie zwischen seinen Händen, was sie dankbaren Blickes geschehen ließ.

»Woran denken Sie?« hauchte Marianka, »erzählen Sie mir von sich! Wenn Herzen aneinander Anteil nehmen, solcher Zusammenklang ist doch die heiligste Musik.«

Und es berichtete Hainlin von seiner Jugend, schilderte sein Albdörfle, das Leben im Kloster Maulbronn und im Tübinger Stift, verschwieg auch nicht seine trauervolle Liebe zu Rosel.

»Ein Jüngling liebt ein Mädchen,« lächelte Marianka wehmütig – »das hat einen andern erwählt – der andre liebt eine[447] andre und hat sich mit dieser vermählt ... Es ist eine alte Geschichte. Rosel ist also nicht mal glücklich mit dem andern? Du lieber Himmel! Die Menschen werden genarrt von einem Dämon, der ihnen, wo sie das Glück ergreifen können, Bedenken einflößt, allerlei Wenn und Aber, so daß sie die günstige Stunde versäumen. Hinterher heißt es: Was du in der Minute ausgeschlagen, bringt keine Ewigkeit zurück.«

Hainlin schwieg beklommen, er fühlte, daß ein Schicksal sich entscheiden wolle. »Nun?« fragte Marianka leise – ein Schmeicheln war in ihrer Stimme, fast ein Flehen.

»Ich?« fragte er verwirrt – »wenn mir das Glück endlich einmal hold wär, ich möcht's schon fest halten.« Sie reichte ihm ihre Hand, er drückte seine Lippen darauf – und es war, als flüstre sie: »Liebling!«

Herr Neumann nahm am Flügel Platz, um seine Dame, die etwas singen sollte, zu begleiten. So hatte das trauliche Geplauder ein Ende – konnte auch nicht wieder aufgenommen werden, da man hinterher gemeinsam an einem Tischchen Früchte aß. Nur durch Blicke und anspielende Worte drückten Hainlin und Marianka ihr Einverständnis aus.

Die nächsten Tage waren für Hainlin voll seelischer Unrast. Marianka beschäftigte ihn fortwährend. Störte ihm den Schlummer, verwirrte seine Gedanken, wenn sie sich zur Arbeit sammeln sollten, ließ ihn aufspringen, als hab' er etwas zu suchen. Ungeduldig seufzte er, es war ihm, als solle jemand kommen. Auf der Flöte blies er schmachtende Weisen, brach aber plötzlich ab und ging auf die Straße. Ein bewußtes Ziel hatte er nicht, fand sich aber bald vor dem Hause, wo Marianka wohnte. Er schwankte, ob er sich damit begnügen solle, zu den Fenstern hinaufzublicken, oder ob er einen Besuch wagen dürfe. Die Aufwartung, die er am Tage nach dem Chopin-Abend[448] gemacht hatte, war insofern verfehlt, als bloß Neumann ihn empfangen hatte. Als Hainlin nun zum andernmal die Klingel gezogen hatte, öffnete das Stubenmädchen und erklärte mit etwas spöttischem Bedauern, die gnädige Frau sei abermals abwesend, auch Herr Neumann. Aber dann machte ihm Neumann einen Gegenbesuch und brachte von seiner Schwester folgende Zeilen: »Wohl ohne Beteuerung glauben Sie mir, lieber Freund, daß ich recht betrübt war, Sie beide Male zu verpassen. Und nun kommt auch noch ein Brief von meinem Rechtsanwalt, der mich in Vermögensangelegenheiten nach Kattowitz ruft. In einer Woche aber bin ich zurück, und dann – nicht wahr? soll unsre Musik jubeln: Krone des Lebens –« Hainlin kannte dies Goethewort und ergänzte den Gedankenstrich: »Krone des Lebens, Glück ohne Ruh, Liebe, bist du!« Bangfroh pochte ihm das Herz. Aus dem Gespräche mit Neumann, das er auf Marianka zu lenken wußte, erfuhr er etliches über ihren Lebensgang: Die Geschwister waren auf einem schlesischen Gute, dann in Kattowitz aufgewachsen – ihr Vater, frühzeitig Witwer, war Direktor einer Kohlengrube gewesen – Geldinteressen hatten Mariankas Verheiratung mit einem Großkaufmann zustandegebracht – sein rücksichtsloses Benehmen hatte die Ehe gestört – der Scheidungsprozeß war völlig zu Mariankas Gunsten verlaufen. Und nun würde sie – wie Neumann sagte – ihre von Schwermut angewelkten Blütenblätter abtun, um sich zu neuer Frische zu entfalten.

Plötzlich in der Rolle eines gern gesehenen Freiers, nutzte Hainlin die vom Schicksal gewährte Atempause, um sich über sein Herz klar zu werden. In einem Briefe an Rosel schilderte er offen, was vorgefallen war, und fragte gradezu, ob es ihr schmerzlich sein würde, wenn er heirate. Rosels unverzügliche Antwort lautete: Daß es ihr schmerzlich sei, könne sie nicht[449] leugnen – er aber solle sich keine Vorwürfe machen; wofern solche überhaupt am Platze seien, habe sie selber die Schuld. Sei doch von ihr zuerst der Bund verleugnet, der zwei Herzen seit der Kindheit verschmolzen halte. »Verleugnet« sei nicht ganz das rechte Wort – treue Liebe zu ihrem Jörgle hege sie noch immer, und einzig das Schicksal sei's, wodurch ein Schein von Untreue entstehe: »Frau Bolkendorf bin i worden, hab mir halt keinen Ausweg gewußt – doch mein Herz bleibt stets bei Dir! Kann man denn nicht einen Menschen lieben von ganzer Seele und zugleich noch einen andern? Darum hab ich meinem Manne gesagt: Tu nicht an mir zweifeln! Wenn der liebe Gott für jedes seiner zahllosen Kinder unzerstückelte Liebe hat, dürfen auch wir, zum Bilde Gottes geschaffen, nach solcher Liebe streben. Und Dir, Jörgle, gilt das gleiche. Heirate Du Deine Marianka! Sei glücklich mit ihr! Behalt aber e bißle lieb Deine Dich segnende Rosel.«

Diesen Brief netzte Hainlin mit Tränen einer seltsam schmerzlichen Freude. Leichter war ihm das Herz – wußte er doch nun, daß er Marianka heiraten dürfe, ohne in Widerspruch mit sich zu geraten. Als er zu ihr kam und sie allein fand, und als aus ihrem Auge zärtliches Verlangen blühte, umfing er sie wortlos.

Als das Paar zur ersten Aussprache gekommen war, mochte Hainlin Rosels Brief nicht verhehlen. Marianka las und gab ihn lächelnd zurück. War Schelmerei in ihrem Lächeln? oder eine Art Spott? »Ihr guten Kinder! Eine himmlische Liebe macht mich nicht eifersüchtig. Aber komm', Schatz! Jetzt zeig ich dir, wie Marianka liebt.« Und in weiche Arme zog sie ihn zu glühender Liebkosung.

Mit der Hochzeit wollte man nicht zögern – die Zurüstung erforderte wenig Umstände, da das Paar die vorhandene Wohnung beibehalten wollte. Marianka legte ihre Vermögensverhältnisse[450] dar – Hainlin war überrascht, eine so begüterte Braut zu haben. In die Freude, materieller Sorgen entrückt zu sein, mischte sich Verschämtheit darüber, daß er sich ernähren lassen solle von seiner Frau. Er verhehlte das nicht. »Aber, Schatzl!« schmollte Marianka – »also besser würde dir's passen, wenn ich arm wäre? Möchtest die Abhängigkeit von dir auf mich abschieben? Holla, Freundchen! Das Zeitalter der Frauenemanzipation hat begonnen – lange genug ist die Frau des Mannes Kreatur und Haremsdame gewesen – jetzt wird's anders! Ich habe jedenfalls den Ehrgeiz, mein Schatzl freizuhalten, und das muß er annehmen, sonst kommt etwas Herbes in mein Glück. Und gleich heute fahren wir aus, dich auszustaffieren zum Ehemann comme il faut. Hörst du? Oder soll ich deine Sklavin sein?« Unter ihren Schmeichelreden gab er nach und fühlte sich wie ein verhätscheltes Kind.

Sie schenkte ihm ein Portefeuille, gefüllt mit vielen Geldscheinen, ließ eine Droschke holen und fuhr mit ihm der Reihe nach zu den Geschäftsläden, wo Einkäufe zu machen waren. Beim Juwelier wurden ein paar Ringe erstanden – der für Hainlin bestimmte hatte einen gleißenden Diamanten. Einen Anzug aus Samt kaufte Marianka ihrem Verlobten – er sei ein Künstler, sagte sie, und müsse auch so aussehen – übrigens hebe sich sein Goldhaar vom glänzenden Schwarz wundervoll ab. Hainlin war wie berauscht von den Zärtlichkeiten, mit denen sie ihn überschüttete.

Die Hochzeit sollte so intim und still wie möglich sein. In Grünheide, einem Dörfchen, das Hainlin auf seinen Streifereien durch märkische Landschaft entdeckt und liebgewonnen hatte, fand sich der alte Pfarrer bereit, das Paar zu trauen. Neumann nebst seiner Freundin und Burdinski waren die Trauzeugen im Kirchlein, das auf einem Hügel am Werlsee lag.[451]

Nach der Feier gab es im Pfarrhause ein Frühstück, zu dem Marianka allerlei Gutes mitgebracht hatte. Eine Kahnfahrt erfolgte, zur Liebesinsel. War auch das Wetter spätherbstlich rauh, so glühte die Gesellschaft vom Sekt. Uebrigens wurde am Strande der Insel, zwischen gelbem Schilfrohr und hochstämmigen Erlen, Feuer gemacht, um Kaffee zu kochen. Burdinski, anfangs niedergeschlagen, weil Frau Klein noch immer in Untersuchungshaft saß, taute auf, zumal die Landschaft mit den Seen und moorigen Fließen, den Schilfmassen, Erlen und Kiefern an seine masurische Heimat erinnerte.

Als man die Liebesinsel wieder verlassen hatte und an einem Landungssteg, der sich zufällig darbot, angelegt hatte, trat aus seinem Häuschen ein grauköpfiger Mann. Sein Pfeifchen schmauchend, grüßte er die Gesellschaft und ließ sich auf ein Gespräch ein. Er sei der olle Krause, sagte er, seines Zeichens ein Schiffer, aber zu seinem Handwerk nicht mehr recht tauglich. Immerhin wolle er demnächst wieder aus einen Spreekahn gehen, zu seinem Sohn; zum Steuern sei er ja noch zu brauchen. Das Haus hier wolle er verkaufen. Es sei ihm jetzt zu einsam – vor ein paar Wochen nämlich habe er seine Ehehälfte verloren. Mit einem Kauflustigen unterhandle er bereits – der wolle bloß zu wenig zahlen.

Hainlin bat, das Häuschen besichtigen zu dürfen – es war ein ganz schlichtes, doch gemütliches Heim mit hübschem Garten. Den Obstertrag rühmte der Alte. »Ha!« sagte Hainlin – »alleweil hat mich verlangt, Gärtner zu sein – jetzt bietet sich mir e Gärtle dar mit Häusle! Und ums Geld bin i net verlege. Meine Schriftstellerei hat mir e Sparkassenbüchle eingebracht. He, Marianka, waas meinscht? Soll i kaufe?« – »Wie es dir behagt, Schatzl! Mir ist's recht!« entgegnete sie, und Neumann blinzelte zustimmend; den Preis des Grundstückes hielt er für sehr bescheiden.[452]

»Abgemacht!« erklärte Hainlin – »ich bin also bereit, zu kaufen.« In Gegenwart des Pfarrers wurde die Anzahlung geleistet – Hainlin strahlte vor Freude. Als man nun das erworbene Grundstück im einzelnen betrachtete und – wie das so üblich – gleich Pläne zur Umgestaltung durchgesprochen hatte, scherzte Hainlin: »He, Burdinski! Denk emal! Ausgezogen bin ich heut, mir meine Frau zu hole – aber net bloß, daß ich die jetzt hab, e Fraule schön und klug und gut – dazu han i noch Eigentum gefunde, e Häusle mit Garte – e Hütte traulich am stillen See, wie im Märle von Undine, gelt?«

Der alte Pastor, den der Sekt etwas duselig gemacht hatte, wollte geistreich sein: »Saul, der Jüngling, Sohn des Kis, war ausgezogen, die verirrte Eselin zu suchen – und was fand er? Ein Königreich!«

»Hörst du's, Marianka?« witzelte Neumann – »mit dem Königreich ist diese Hütte gemeint – und wer folglich mit der verirrten Eselin?« – Der Pastor blickte unsicher: »Ich wollte bloß sagen, hier unser junger Ehemann sei geradezu ein Glückspilz!«

Der alte Fischer Krause horchte auf, und wie er begriff, was für eine Gesellschaft dies sei, streckte er Hainlin die Hand hin: »Ach so! Sie hebben Hochzeit jemacht! Da wünsch ich ooch Ilück!«

Inzwischen faselte der Pastor weiter: »Ach ja! Das Sprichwort von den zwei glücklichen Tagen bewährt sich hier – den einen hat man, wenn man's Grundstück kauft, den andern, wenn man's wieder los ist.«

»Na, ich danke!« lachte Neumann – »was zwi schen diesen zwei glücklichen Tagen liegt, dürfte folglich mit mancherlei Verdruß durchwachsen sein.« – Der entgleiste Pastor suchte einzulenken: »Ich meine bloß, das Sprichwort trifft insofern zu, als unser frischgebackener Ehemann, der hier die reizende[453] Hütte gekauft hat, den einen der beiden Glückstage erlebt – den andern aber hat heute der Verkäufer – hab' ich recht, Vater Krause?«

Der Gefragte schien schwerhörig zu sein – wie ein Hörrohr hielt er die Hand – laut sprach nun der Pastor auf ihn ein: »Schließlich sind Sie doch froh, daß Sie se los sind! He?« – Erst blickte Schiffer Krause den Pastor stutzig an, dann paffte er aufgeregt aus seiner Pfeife und meinte: »Ob ick froh bin? Wie man's nimmt, Herr Pastor! Vadruß? Ja woll, den hat se mich dicke jemacht! Aber seit se nu fort is, fühl' ick mir doch so einsam – un möchte sie schon zurücke holen.«

Hainlin, der das auf die Hütte bezog – wie ja auch der Pastor – erklärte: »Aber, lieber Mann! Sie können sie ja behalten! Wenn ihnen der Verlust so schmerzlich ist.« – Krause blickte verdutzt – er begriff nicht. Neumann rief ihm ins Ohr: »Wenn Sie wollen, läßt sich die Sache wieder rückgängig machen.« – »Rückjängig?« stammelte Krause – »wenn se doch dot is!«

Zu einem schreienden Lachen verzog Neumann das Gesicht: »Seine Frau meint der Mann – und wir reden von der Hütte!« – »Aber, Krause!« lächelte der Pastor – »wir reden doch nicht von Ihrer Frau!« – »Nich? Hebben Se nich jesaacht, ick soll froh sind, det ick ihr los bin? Hebben Se nich von die zwee Ilückstage jesprochen?« – Neumann schlug auf den Schenkel: »Aus – ge – zeich – net! Auch in der Ehe gibt's zwei glückliche Tage! Den einen, wenn man seine Ehehälfte erworben hat, den andern, wenn man sie wieder los ist! Aus – ge – zeich – net!«

Zwischen Heiterkeit und Verlegenheit biß sich Marianka auf die Lippe, Hainlin, der gutmütig lachte, suchte die komisch zerrüttete Lage wiederherzustellen: »Ha freili, mir grauet vor der[454] Götter Neide! Ond wer weiß, ob mir, dem neuen Eigentümer dieses Gartenhäuschens, noch solch e froher Taag beschieden ist wie der heutige. Eins aber sag i dir, Burdinski: Wenn Frau Klein wieder in Freiheit ist, zieht sie mit den Kindern da heraus, sich zu erholen, gelt? Ond dees wird mir sicher ein Glückstag.« Burdinski hatte Tränen im Auge – die Lippen zusammengepreßt, schüttelte er dem Freunde die Hand.

So hatte Hainlins Ehe einen guten Anfang genommen. Doch auf heiteres Wetter folgt graues Gewölk: Als er eine Woche später vom Bahnhof Fangschleuse nach Grünheide ging, Angelegenheiten des gekauften Grundstückes zu erledigen, war ihm das Herz schwer, und er wußte nicht warum. Beunruhigte ihn vielleicht das Grundstück? Kam der Rückschlag auf die Freude des Kaufs?

Plötzlich sah er den Ring an seinem Finger blitzen – und mit diesem Blitz war ihm sein Inneres aufgehellt. »Verheiratet bischt!« sprach er zu sich – »ond net an Rosel!«

Wie Echo klang Neumanns Spottgelächter: »Aus – ge – zeich – net! Auch in der Ehe gibt's zwei glückliche Tage! Den einen, wenn man die Ehehälfte erworben hat – den andern, wenn man sie wieder los ist – haha!« – Scheu blickte sich Hainlin um – Kiefernstämme sah er, im rauhen Winde stöhnten die Wipfel.

Quelle:
Bruno Wille: Glasberg. Berlin [o. J.], S. 444-455.
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