Erster Gesang

Singe, scherzende Muse, die großen heroischen Thaten,

Und den kläglichen Tod von einem unsterblichen Kater;

Welcher den schwarzen Cocytus beschifft und seine Gebeine,

Gleich den Gebeinen der Helden, mit Marmor bedecket gesehen.


Du, o holde Rosaura, die du das Ende des Lieblings

Fast drei Stunden beweint; (wie öfters weinet so lang' nicht

Um den Tod des podagrischen Manns die buhl'rische Wittwe!)[9]

Holde Rosaura, beseele dies Lied mit dem siegenden Auge,

Welches so viele Herzen entflammt, und lächle der Muse

Würdige Kühnheit in's Herz, wenn sie die Stygischen Wasser

Unter sich brausen hört, und zu den traurigen Schaaren

Wandelnder Schatten sich mischt, die Charons Ueberfahrt fordern!


Mitten in einem veralteten Schloß am Ufer der Elbe

Wohnte der ehrliche Raban mit seiner Nichte Rosaura.

Artiger war kein Fräulein umher, als seine Rosaura;

Holder waren die Grazien nicht, und schöner nicht Venus,

Als sie, vom Schaume des Meers noch tröpfelnd, die Fluthen herausstieg,

Zärtlich liebte die Nichte den Onkel, und was sie nur wünschte,

War zu ihrem Befehl; doch wünschte das Fräulein nur wenig,

Welches d'rum mehr noch das Herz des häuslichen Alten ihr neigte.

Einsam im Zimmer, zufrieden mit sich, durchlebte sie Tage,

Nicht vom Neide getrübt, noch von dem Stolze verdunkelt.

Mit ihr wohnten in einem Gemach zwei gesellige Thiere,[10]

Cyper, ein fleckiger Kater, und ein geschwätziges Papchen,

Welches über das Weltmeer kam, und seiner Gebiet'rin

Manche Stunde, so gut wie ein leerer Stutzer, verplaudert.


Eben hatte der weichende Winter von stürmischen Schwingen

Seine letzten Schauer von rieselndem Hagel geschüttelt;

Ueber sanft wallende bunte Tapeten und Veilchen und Tulpen

Fuhr im Triumph der Frühling daher; und Pandions Tochter

Stammelte schon gebrochene Versuche zu mächtigen Liedern

Unter halbgrünendem Laub; als an dem östlichen Himmel

Blutroth sich Aurora erhob, und schneidende Lüfte

Vor ihr her das einsame Schloß lautheulend umbrausten.

Daß die murrende Magd zum Vorrath des Holzes hinabstieg,

Und von Neuem wohlthätige Feuer die Ofen erhitzten.

Jetzt kam Cyper über das Dach. Er hatte die Nacht durch

Einsame Böden durchirrt, und Legionen von Ratten

Aus einander gejagt; mit ihrem rinnenden Blute[11]

Seinen zähnvollen Rachen genetzt, und trunken von Siegen

Ueber die todten Leichname her sich brüllend gewälzet.

Leise schlüpft' er zum Zimmer hinein, als eben die Zofe

Brausendes Wasser geholt, mit sanftem Chinesischen Tranke

Ihre Gebiet'rin zu wecken. Doch als sie das gnädige Fräulein

Schlummernd noch fand, da fiel auf's Neu' der rauschende Vorhang

Wieder über das seidne Bett, und schleichend verließ sie

Ihrer Fräulein Gemach. Von Abenteuern ermüdet,

Legte nun Cyper sich hin dicht an den glühenden Ofen;

Streckte die Löwenklauen von sich, und sank bald geruhig

In den süßesten Schlaf. Die phantasirenden Sinne

Schweiften in güldenen Träumen umher. Er sah die Gestalten

Schöner Katzen versammelt um sich, und hörte die Seufzer,

Welche vom moosigen Dach, von alten verwachs'nen Gemäuern,

In vertraulicher Nacht um seinetwegen erschollen,

Und dann dünkt' ihm, er läge Rosauren vertraulich im Schooße,[12]

Würde von ihrer marmornen Hand liebkosend gestreichelt,

Und vom hölzernen Junker und zierlichen Fähndrich beneidet.

Eitle Gedanken! Er sollte nicht mehr die Höhlen der Ratten,

Noch die Geliebten, Minzchen, besuchen! er sollte nicht wieder,

In Rosaurens Armen gewiegt, sanftschnurrend entschlummern!

Eine der Furien, welche das Herz der wildesten Xanthippe

Mit der brennenden Fackel zum Zank mit dem Eh'mann entflammet;

Wollte die Oberwelt jetzt mit der finstern Hölle vertauschen,

Und flog, scheußlich und schwarz, auf einer stinkenden Wolke,

Bei Rosaurens Fenster vorbei. Ihr plauderndes Papchen

Saß im drähternen Haus, und rief laut schimpfend: Du Scheusal!

Als die schlangenhaarige Furie bei ihm vorbei flog.

Auch die Furien tragen den Stolz im scheußlichen Busen,

Schön zu seyn, zum Mindesten schön für der Hölle Bewohner.

Selbst Alekto war Dame genug, voll Zorn zu entbrennen,

Daß sie der Vogel für häßlich geschimpft. Wie leicht, o Verweg'ner,

(Sagte sie bei sich selbst) kann dich Alekto bestrafen![13]

Deinen verräth'rischen Hals könnt' ich im Zorne dir umdrehn,

Oder mit dieser höllischen Fackel zu Asche dich brennen!

Aber du bist zu klein für einer unsterblichen Göttin

Eigene Hand! Geh', schimpfe mich mehr im Magen des Katers,

Der hier schläft, und welchem ich dich zum Opfer bestimme!


Rasend für Wuth begab sich Alekto zum schlafenden Kater;

Hauchte mit Mordsucht ihn an, und sprach mit gleißenden Worten:

Ist es möglich? du schnarchst hier ruhig unter dem Ofen,

Edler Murner, du Zierde der Kater; und hast es vergessen,

Daß dich die Ehre zu herrlichen Thaten, zu Siegen gerufen,

Welche vor dir kein Kater erstritt? – Verwandter der Tiger,

Willst du die Schaaren allein der fliehenden Mäuse verfolgen,

Und mit tapferer Klau' langschwanzige Ratten nur würgen?

Durstet dich nicht nach edlerem Blut? O siehe, wie trotzig

Sitzt der Liebling Rosaurens in seinem güldenen Käfich,

Schimpft nach seinem Gefallen dich aus, und waget oft selber[14]

Flüche wider die holde Rosaura, worüber sie lächelt,

Und ihn mit gütigem Blick und Schmeicheleien belohnet,

Da sie indeß dich, Cyper, vergißt. O leide nicht länger,

Da der geschwätzige Vogel die Gunst des Fräuleins dir raube,

Und den männlichen Laut von deiner Stimme verspotte,

Wenn er so oft dich lächerlich macht! Den Plauderer schützet

Nur sein Käfich umsonst! Wie mancher Canarienvogel

Ward von deinen tapferen Ahnen im Käfich zerrissen!

Würge denn du auch den plaudernden Spötter und streu' im Triumphe

Seine Federn, worauf er stolzirt, in alle vier Winde!


Also sagte die höllische Göttin. Der Kater erwachte,

Sah mit funkelnden Augen umher und brüllte nach Blute.

Wie ein Blitz sich vom hohen Olymp in die Felder hinabreißt

Und den blühenden Baum zerschmettert, worunter der Schäfer

Oft auf seinem harmonischen Horn die Auen ergötzet:

So riß Cyper sich auch, den Nebenbuhler zu tödten,[15]

Unter dem Ofen hervor, und sprang so behend wie ein Panther

Auf den goldenen Käfich. Der Vogel sinket vor Schrecken

Auf den Boden des Käfichs; doch hätt' ihn Cyper unfehlbar

Voller Mordsucht gewürgt, wenn nicht der ehrliche Raban

Auf das wilde Geschrei dem Vogel zu Hülfe geeilet.

Eben hatte der häusliche Greis den knotigen Dornstock,

Seinen Feldstab, in zitternder Hand; kaum sah er den Kater

Ueber den Käfig geklammert, so schlug er mit männlichen Kräften

Seiner Nichte Liebling auf's Haupt. Die grausame Parce

Schnitt sein neunfaches Leben entzwei, und Cyper, entseelet,

Fiel vom Käfich, der Käfich auf ihn, und über den Käfich

Stürzte der Alte; vom donnernden Lärm erbebte das Zimmer!


Aengstlich erwacht die holde Rosaura vom wüsten Getümmel;

Fliegt im leichten Gewand zu ihrem Gemache, worin sie

Mit erstarrendem Blick das blutige Trauerspiel wahrnimmt.

Dreimal klang mit ängstlichem Schall die silberne Schelle[16]

Durch das hallende Schloß; doch eh' Lisette sich nahet,

Hilft das Fräulein dem Alten bereits in den sammeten Lehnstuhl.

Als er Athem geschöpft, erhub er zur weinenden Nichte,

Welche den Leichnam des Cypers erblickt, die donnernde Stimme:

Siehe, der Hund! Schon war er bereit, den Papen zu würgen!

Doch, potz Stern! ich habe noch Kraft in den Knochen! da liegt er

Todt der gierige Räuber! Er thut es nicht wieder, ich wette!

Also sprach er prahlend und stolz, und drohte noch dreimal

Mit dem knotigen Stock dem schon verblichenen Cyper.

Aber das Fräulein weinte laut; ihr Antlitz verbarg sich

Tief in ihr Schnupftuch, mit Thränen genetzt sie fiel in den Lehnstuhl.

Sage mir, Muse, die schmerzlichen Klagen des traurigen Fräuleins,

Und vergiß nicht das laute Geheul der Zofe Lisette,

Welche der Wiederhall ward von ihrem gnädigen Fräulein.

Armes Cyperchen! (seufzete laut die holde Rosaura)

Welch ein erbärmlicher Tod entreißet dich meiner Gesellschaft! –[17]

So unrühmlich fällst du dahin in der Blüthe des Lebens,

Todtgeschlagen, mit einem Stock, unedel und grausam –

Todtgeschlagen von dem, der dich mir selber geschenket!

Regt kein Leben sich mehr in dir? Und haben auf ewig

Deine grünen funkelnden Augen für mich sich geschlossen?

Werd' ich dir nicht mehr den Knebelbart streichen und nicht mehr im Dunkeln

Feuer dem seidenen Haar entlocken? und wirst du mich nicht mehr

Mit dem krummen Buckel, mit scherzenden Sprüngen ergötzen?

Also Rosaura. – Die Zofe fuhr fort: Du Krone der Kater,

O, wie vornehm sahest du aus! Ganz anders, wie Kater

Niedrer Bauern im Dorf! Dein rothes, schimmerndes Halsband

Wurde von allen Katzen im ganzen Umkreis beneidet.

O, wie artig ließ es dir nicht! Nun sollst du vermodern

Und das schöne Halsband mit dir? das niedliche Halsband,

Nein! ich nehm' es für mich! es soll nicht mit dir vermodern!

O, wie rinnet dein purpurnes Blut nicht über dein Haupt her!

Ja, du bist todt! Du bist es auf ewig, du armer Cyper!
[18]

Als sie dies sprach, erhub sich von Neuem der Fräulein Gewinsel,

Und der Alte weinete selbst. Er faßte die Nichte

Bei der Hand und führte sie weg vom traurigen Zimmer.

Und die Zofe heulete lauter: Der arme Cyper!

Und das Fräulein antwortete schluchzend: Der arme Cyper!

Cyper! rufte die Wand, und Cyper! Cyper! der Pape,

Welcher dem Feind im Tode vergab. Die Furie sah es

Voller höllischen Fröhlichkeit an, und stürzte sich zischend

Durch die verdunkelte Luft, und sank in die Fluthen des Orkus.


Quelle:
Just Friedrich Wilhelm Zachariä: Anthologie aus den Gedichten von J. F. Wilh. Zachariä, Hildburghausen/ New York 1850–55, S. 9-19.
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