7. Bey angetretener Regierung Graf Heinrich des Neun und Zwanzigsten[18] 1

1720.


Als der Mensch nach Gottes Bilde

Ehemals bereitet war,

O wie war er nicht so milde,

O wie sah er nicht so klar!

Seit er dieses Bild verloren,

Wird er fast verrükt geboren:

Was ihn glüklich machen kan,

Siehet er für schädlich an.


Was für unerhörte Sorgen

Macht man seinen Eltern nicht,

Von des Lebens ersten Morgen

Durch das ganze Jugend-Licht?

Mit wie vielem Flehn und Beten

Müssen sie uns nicht vertreten?

Sie bemühn sich ofte viel,

Und verfehlen doch das Ziel.


Wie viel tausend Eltern leben,

Welche um der Kinder-Zucht

Sich nicht viel Bemühung geben;

Und ihr Heil darinn gesucht,

Ihnen Lehrer zu benennen,

Deren Werth sie selbst nicht kennen,

Die man nur auf andrer Rath,

Und Bericht gewehlet hat.
[18]

Viele junge Leute laufen

In der Jugend-Hitze fort;

Und man lässet sie verschnaufen,

(Das ist ein gemeines Wort:)

Aber, seht! die meiste Jugend,

Sie versäumt die Zeit der Tugend,

Manchen, eh er ausgeschnaubt,

Hat ein jäher Tod geraubt.


So ist schwerlich zu errathen,

Ob der lieben Alten Schaar,

Die den Herrn um Kinder baten,

Ihr nicht selbst zuwider war?

Und ob der nicht glüklich heisset,

Den der Herr von hinnen reisset?

Eh er sich ins weite irrt,

Und der Welt recht inne wird.


Aber meine Sinnen blikken

Itzo in ein ander Feld

Da sich junge Pflanzen schikken,

Wies der Gärtner dienlich hält,

Welche ihm sein mühsam Frohnen

Mit der schönsten Bluhte lohnen;

Diese zeigen sattsam an,

Was ein treuer Gärtner kan.


Als ich auf dem Krankenbette

In der Ungewißheit lag,

Was ich zu erfahren hätte?

Kam ein aufgeklärter Tag:

Da mir eines Gärtners Name

Unverhofft zu Ohren kame,

Welcher seiner Pflanze Preiß

Jedermann zu sagen weiß.


Ihr beglükten Gärtners-Hände,

Deren Tage-Werk und That,[19]

Bis zu dem erwünschten Ende,

Sich geschikt erwiesen hat:

Wie mögt ihr den Thau von oben

Mit erfreutem Herzen loben,

Welcher ohne Maaß und Ziel

Auf die schöne Pflanze fiel.


Bruder, ich kan nicht verschweigen,

Daß der Pflanze Ruhm dir bleibt;

Die mit ausgespannten Zweigen

Alle Tage höher treibt,

Welche jedem, der sie liebet,

So viel schöne Hoffnung giebet,

Daß man Gott, den Segens-Mann,

Nicht genugsam loben kan.


Glüklich waren jene Stunden,

Welche ich im Nieder-Land,

Als ich dich am Rhein gefunden,

Deiner Freundschaft zugewandt.

Glüklich waren auch die Stunden,

Da wir uns getrost verbunden,

Daß es alle Menschen sähn,

Christi Wandel nachzugehn.


Wie der Anfang, war das Ende,

Du gingst unter Gottes Huld,

Und behieltest reine Hände

Von gemeiner Jugend Schuld;

Welches, die im Irrthum waren,

Mehr als allzuwohl erfahren.

Was die Welt erstaunen macht,

Hat dein Tage-Buch verlacht.


Endlich hat es sich geschikket,

Daß ich annoch zu Paris

Deinem Abschied vorgerükket,

Da es aller Orten hieß,[20]

Auch bey denen guten Leuten,

Welche uns als irrig scheuten,

Daß du gegen jedermann

Als ein wahrer Christ gethan.


Damals lobten wir den Meister

Der allein bewährten Kunst,

Der dich vor der falschen Geister

Und der schnöden Erde Gunst

Väterlich bewahren wollen,

Daß sie dich nicht reitzen sollen.

Denn dergleichen Wegefahrt

Ist entfernt von ihrer Art.


Wann sich andere ergötzten

Ueber allem, was geschehn,

Und sich dann zusammen setzten,

Es aufs neue zu besehn,

Kamst du von des Hofes Brause

Oefters mißvergnügt nach Hause.

Wende, sprachst du, meinen Blik,

Und das war dein größtes Glük.


Also ging es auf der Reise

Nach der werthen Mutter Sinn;

Und du folgetest der Weise

Deines ehrlichen Bonin.

Wo man seine Mutter ehret,

Und die Vorgesetzten höret,

Da weicht nach der Liebe Zwek

Alles Unvergnügen weg.


Darum wird im Regimente

Gottes Rechte um dich seyn.

Der sich sonst gehorsam nennte,

Fordert nun Gehorsam ein;

Und nach dem Vergeltungs-Rechte,

Sehen alle deine Knechte,[21]

Und wer Dir sonst zugethan,

Dich mit Ehrerbietung an.


Du hingegen kanst den Banden

Deiner Knechtschaft nicht entgehn;

Es ist noch ein Herr vorhanden,

Dem du mußt zu Dienste stehn:

Seine Fesseln sind gelinde,

Dieser Dienst bekommt geschwinde

Eine andere Gestalt,

Und wir, ewige Gewalt.


Diese Hoffnung wird dir bleiben,

Wann der andren Hoffnung fällt:

Die sich Gottes Hand verschreiben,

Sind schon selig in der Welt.

Wann sie alle Menschen hassen,

Wird der Freund sie nicht verlassen,

Dessen treue Liebes-Hand

Sich genau an sie verband.


In dem Freunde, lieber Bruder!

Sind wir ewig ungetrennt:

Durch Ihn führest Du das Ruder

Von dem ganzen Regiment,

Das Er Dir in deinem Leben

Zu bestreiten heimgegeben:

Und in Seinem Friedens-Schein

Wirst Du immer ruhig seyn.


Du mußt aber nicht vergessen,

Daß du für das grosse Heil,

So der Herr Dir zugemessen,

Ihme auch an deinem Theil

Ewiglich verbunden bleibest,

Und Sein Werk nicht läßig treibest:

Du mußt, bis zum letzten Schein,

Ein Bekenner Jesu seyn.
[22]

Wann Du nun genug gestritten,

Und dein Amt bewähret hast;

Wann Du hie und da gelitten,

Wird der Heiland dir die Last

Endlich von den Schultern heben:

Und nach einem harten2 Leben

Fällt Dir in der stolzen Ruh

Der Bekenner Erbtheil zu.

Fußnoten

1 Zu Castell.


2 Hier wird nicht sowol auf das allgemeine Christen-Leben, als auf die besonders harten und rauhen Umstände der Regierungs-Last eines Kindes Gottes gesehen, von welchen man sagen kan, daß sie ohne die besondre Handleitung der Gnade und Trost der Liebe unerträglich seyn würden; es wäre dann, daß man die Sache nicht verstünde, und sich nur wohl dabey seyn liesse.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 18-23.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die tugendhafte Sara Sampson macht die Bekanntschaft des Lebemannes Mellefont, der sie entführt und sie heiraten will. Sara gerät in schwere Gewissenskonflikte und schließlich wird sie Opfer der intriganten Marwood, der Ex-Geliebten Mellefonts. Das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel ist bereits bei seiner Uraufführung 1755 in Frankfurt an der Oder ein großer Publikumserfolg.

78 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon