8. An Weyhnachten

[23] 1720.


Blut und Wunden,

Haben uns mit Gott verbunden;

Denn Er ehrte unser Blut.

Er ließ sich damit vermählen

Und zu denen Menschen zehlen;

Das macht unsern Schaden gut.


Wer erzittert,

Daß er seinen Gott erbittert;

Springe itzt voll Freuden her,

Und erseh, in dieser Wiegen,

Gott den armen Menschen liegen:

Seine Hand ist nicht zu schwer.


Diese Hände

Segnen aller Erden Ende;

Diese sind dieselbe Statt,[23]

Wo Er aller Menschen Seelen,

Die Ihn zum Erlöser wehlen,

Treulich aufgezeichnet hat.


Diese Augen

Müssen zur Gesundheit taugen,

Wem die Sünde weh gethan,

Sehe auf zu dieser Schlangen,

Und, voll Glauben und Verlangen,

Ihre holden Augen an.


Diese Ohren

Lassen sich für uns durchbohren

An des Vaters Gnaden-Thür;

Und der König der Geschlechte

Wird dadurch zu einem Knechte,

In dem irdischen Revier.


Diesem Munde,

Welcher sonst zu aller Stunde

Seinen Vater für uns bat,

Schmekket itzt, nach Menschen-Weise,

Eine gar geringe Speise;

Weil er Durst und Hunger hat.


Dieser Othen,

Welcher dermaleins den Todten

Lebens-Geister geben kan,

Scheinet itzund kaum zu wehen,

Und soll noch dazu vergehen,

Beym Beschluß der Lebens-Bahn.


Diesen Füssen,

Die sich kaum zu regen wissen,

Muß des alten Drachen Wut

Annoch in die Fersen stechen,

Bis sie sich vollkommen rächen

An dem Kopf der Schlangen-Brut.
[24]

Diese Thränen,

Welche sich nach Labung sehnen,

Werden für der Menschen Schuld

Sich noch oftermals ergiessen

Und gleich einem Blut-Strom fliessen

Von der ewigen Geduld.


Dieser Rükken

Wird sich zu dem Creutze bükken,

Wann die Leidens-Zeit regiert,

Und der Ruthen Schläg empfinden,

Welche unsre Bosheit binden

Und ein Mord-Kind führen wird.


Aus der Seiten

Werden in den letzten Zeiten

Blut- und Wasser-Ströme gehn,

Uns zu waschen und zu heilen,

Uns Erquikkung mitzutheilen,

Die wir so verlassen stehn.


Dieses Herze

Reget sich mit Müh und Schmerze,

Und wie sacht es itzo schlägt,

So durchdringend wird es brechen,

Und die armen Herzen rächen,

Die der Seelen-Feind erlegt.


Neu-gebornes

Und von Ewigkeit erkornes,

Auserwehltes Gnaden-Kind!

Höre, wie die Menschenkinder,

Die entblösten armen Sünder,

Ueber Dir erfreuet sind.


Sie umfangen

Voller Liebe Deine Wangen,

Ja sie küssen Deinen Mund:[25]

Dein noch unverständlichs Lallen

Muß den Seelen süsse schallen,

Die der Schlangen Zahn verwundt.


Sie erheben

Dein kaum angegangnes Leben,

Sie sind voller Glaubens-Lust:

Daß Du in den Gnaden-Zeiten

Ihnen solch ein Spiel bereiten

Und ein Kindlein werden mußt.


Herzens-Knabe,

Aller Erden Gut und Haabe

Ist nur Unflat gegen Dich:

Du kanst mit ganz wenig Blikken

Millionenmal erquikken;

Wirf auch einen Blik auf mich.


Laß beyzeiten

Alle andre Eitelkeiten

Mir aus den Gedanken gehn.

Will sich fremde Lust erregen

Und zur Sünde mich bewegen;

Laß mich auf Dein Kripplein sehn;


Da Du König,

Dem die Erde unterthänig,

Und der Himmel eigen ist;

So gar elend, und auf Wegen

Die kein Mensch betreten mögen,

Bey uns eingewohnet bist.


Holde Hände,

Nehmt mich auf am letzten Ende;

Denn ich werde nach euch sehn,

Wenn ich als ein Kind gen Himmel

Aus dem furchtbaren Getümmel

Dieser Erden werde gehn.
[26]

Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 23-27.
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