Achtes Kapitel.

[260] Nana und Fontan hatten einige Freunde zu einem fröhlichen Abendessen in ihrem neuen Hauswesen eingeladen. Es war dies im vierten Stockwerk eines Hauses der Véron-Straße in Montmartre.

Die Sache war ohne vorherige Verabredung eines gemeinschaftlichen Haushaltes in der ersten Freude der Honigwoche geschehen. Am Tage, da sie ihre Verehrer hinausgeworfen hatte, sah Nana, daß alles um sie her zusammenbrach. Mit einem Blick übersah sie die Lage; die Gläubiger drängten sich in ihrem Vorzimmer und mengten sich in ihre Herzensangelegenheiten. Sie sprachen davon,[260] alles versteigern zu lassen, wenn sie nicht vernünftig sein wolle. Um alle Zänkereien wegen der paar Scherben ein Ende zu machen, beschloß sie, ihnen alles zu überlassen. Überdies war ihr die Wohnung am Boulevard Haußmann mit ihren großen vergoldeten Zimmern zuwider. In ihrer Zärtlichkeitsanwandlung für Fontan träumte sie von einem hellen, kleinen hübschen Zimmerchen, ganz wie in den Zeiten, da sie noch Blumenmacherin war und ihre Wünsche nicht über einen Schrein mit Spiegeltüren und über ein Bett mit blauen Ripsvorhängen hinausgingen.

Sie verkaufte binnen zwei Tagen im geheimen, was sie an Schmuck und kleineren Wertsachen hinausschaffen konnte, dann verschwand sie mit einer Summe von zehntausend Franken in der Tasche spurlos, ohne der Hausmeisterin ein Wort zu sagen. Die Männer würden sich nicht mehr an ihre Röcke hängen. Fontan benahm sich sehr artig, er ließ sie nach ihrem Belieben schalten. Er handelte sogar als guter Kamerad, indem er ihren zehntausend Franken jene siebentausend hinzufügte, die er sich erspart hatte. So mieteten sie zwei Zimmer in Véron-Straße und lebten von ihrer Barschaft.

Anfangs ging alles prächtig. Es war am Abend der heiligen drei Könige, als sie ihre Freunde zu Gaste luden. Madame Lerat traf mit Ludwig als erste ein. Da Fontan noch nicht zu Hause war, erlaubte sich die Tante, Befürchtungen hinsichtlich der Zukunft auszudrücken.

Oh, Tante! Ich liebe ihn so sehr! rief Nana, die Hände an die Brust drückend.

Das Wort machte einen ganz außerordentlichen Eindruck auf die Lerat. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Die Liebe geht über alles, sagte sie im Tone der Überzeugung.

Dann erging sie sich in Lobpreisungen über die neue[261] Wohnung. Nana zeigte ihr das Schlafzimmer, dann das Speisezimmer und zuletzt die Küche. Die Wohnung sei nicht groß, aber sehr freundlich mit ihrer neuen Tünche und den Tapeten.

Madame Lerat blieb mit Nana im Zimmer, während Ludwig in der Küche der Haushälterin zusah, wie sie das Huhn briet. Die Lerat sagte, sie wolle auf die Vergangenheit nur zurückkommen, weil sie am Morgen den Besuch Zoés empfangen hatte. Die Kammerfrau hatte aus Ergebenheit für Madame auf ihren Posten ausgehalten, um dem Rückzug nach Möglichkeit einen Schein der Anständigkeit zu geben. Zoé war nicht beunruhigt wegen des rückständigen Lohnes, den sie von Madame zu fordern hatte. Madame werde sie schon bezahlen. Sie hielt allen Gläubigern stand und sagte, Madame sei verreist; eine Adresse war von ihr nicht herauszubringen. Um die Manichäer nicht auf die Spur zu bringen, versagte sie sich sogar das Vergnügen, Madame zu besuchen. Wenn sie heute früh zu Madame Lerat geeilt sei, so geschah dies nur, weil sich etwas Neues ereignet habe. Abends vorher waren mehrere Gläubiger erschienen: der Tapezierer, der Kohlenhändler, die Wäschelieferantin machten sich erbötig zu warten; sie wollten sogar Madame eine beträchtliche Summe vorstrecken, wenn sie ihre Wohnung wieder beziehen und vernünftig sein wolle. Die Lerat wiederholte nur die eigenen Worte Zoés. Ohne Zweifel steckt ein Herr dahinter.

Niemals, rief Nana aus. Saubere Leute, diese Lieferanten. Glauben sie etwa, ich werde mich verkaufen, um ihre Rechnungen zu bezahlen? Lieber will ich Hungers sterben, als Fontan betrügen ...

Dasselbe habe ich geantwortet, sagte die Lerat. Meine Nichte hat ein gar zu zartfühlendes Herz.

Aber Nanan war sehr verdrossen, als sie weiter vernahm,[262] daß La Mignotte versteigert und um ein Spottgeld durch Labordette für Caroline Héquet angekauft wurde. Das versetzte sie in Wut gegen die Gesellschaft.

Sie mögen sich einbilden, was sie wollen, sagte Nana; das Geld gibt niemals das wahre Glück. Für mich existieren diese Leute nicht mehr. Ich bin sehr glücklich.

Jetzt trat Madame Maloir ein, angetan mit einem jener seltsam geformten Hüte, deren Geheimnis sie allein besaß. Die Freude des Wiedersehens war groß. Madame Maloir erklärte, sie habe sich ferngehalten, weil die Pracht sie einschüchtere. Jetzt wolle sie sich wieder von Zeit zu Zeit einfinden, um eine Partie Bezigue zu spielen. Zum zweiten Male wurde die Wohnung besichtigt; in der Küche vor der Haushälterin, die das Brathuhn begoß, sprach Nana von Sparsamkeit, eine Zofe sei teuer, sie wolle lieber selbst ihre Zimmer in Ordnung halten. Der Kleine stand noch immer da und schaute mit blöden Augen auf die Bratpfanne.

Jetzt wurden Stimmen hörbar: Fontan war mit Bosc und Prulliére angekommen. Man konnte zu Tisch gehen; die Suppe war schon aufgetragen, als Nana zum dritten Male die Runde machte, um ihren Gästen die Wohnung zu zeigen.

Ah, Kinder, wie herrlich wohnt Ihr da, rief Bosc immer wieder. Das geschah aber nur aus Gefälligkeit für die guten Kameraden, die ihm ein Essen schenkten. In Wirklichkeit interessierte ihn die Wohnung wenig. Im Schlafzimmer brach er wieder in Rufe der Bewunderung aus. Gewöhnlich behandelte er alle Weiber als Kamele und der Gedanke, daß ein Mann sich eines dieser schmutzigen Geschöpfe auf den Hals laden könne, erregte in ihm die einzige Entrüstung, deren er in seiner Weltverachtung eines Trunkenboldes überhaupt fähig war.

Ei, die pfiffigen Leutchen, rief er, mit den Augen zwinkernd.[263] Sie haben alles im geheimen vorbereitet. Wahrhaftig, Ihr habt recht und wir werden öfter zu Euch kommen.

Jetzt ritt Ludwig auf einem Besenstiel herein. Prulliére sagte mit boshaftem Lächeln:

Schau, das Kindchen gehört schon Euch?

Die Frage war drollig; die Lerat und die Maloir platzten fast vor Lachen. Nana war keineswegs verletzt; sie lächelte vielmehr gutmütig und meinte: nein, es gehöre unglücklicherweise noch nicht ihnen bei den; sie hätte es wohl gewünscht, in ihrem und des Kindes Interesse. Aber sie würden vielleicht später eines bekommen. Fontan, der den guten Kerl spielte, nahm Ludwig in seine Arme und hätschelte ihn.

Das hindert ihn nicht, sein Väterchen zu lieben. Nenne mich Papa, kleiner Mistkerl!

Papa, Papa ... stammelte Ludwig.

Alle überhäuften das Kind mit Liebkosungen. Bosc, dem die Geschichte zu dumm wurde, beantragte, man solle zu Tisch gehen; das sei das einzig Ernste im Leben. Nana bat um Erlaubnis, Ludwig neben sich behalten zu dürfen. Das Essen war sehr lustig; nur Bosc fand sich belästigt durch das Kind, gegen dessen Angriffe er seinen Teller verteidigen mußte. Auch Madame Lerat störte ihn. Sie war zärtlich und flüsterte ihm allerlei geheimnisvolle Geschichten zu von sehr »feinen« Herren, die sie noch immer verfolgten; auch mußte er schon zweimal sein Knie wegziehen, weil sie es fortwährend drückte, wobei sie verliebte Blicke nach ihm warf. Prulliére benahm sich der Maloir gegenüber ohne alle Höflichkeit. Er vernachlässigte sie vollständig und bediente sie nicht ein einziges Mal. Seine Aufmerksamkeit war ausschließlich auf Nana gerichtet, deren Verhältnis mit Fontan er unbegreiflich fand. Sie hörten nicht auf, bei Tische sich zu küssen und zu liebkosen wie[264] die Turteltauben, und das wurde auf die Dauer langweilig. Gegen alle Anstandsregeln hatten sie bei Tische sich nebeneinander gesetzt.

Aber eßt doch, rief Bosc. Ihr habt ja später Zeit, wenn wir fort sind.

Doch Nana vermochte sich nicht zurückzuhalten. Sie befand sich in einem Liebesentzücken, mit geröteten Wangen wie eine Jungfrau und mit Augen, die von Glück und Frohsinn strahlten. Sie wandte keinen Blick von Fontan, überhäufte ihn mit Kosenamen – mein Hündchen, mein Wölfchen, mein Kätzchen – und wenn er ihr Wasser oder das Salzfaß reichte, neigte sie sich rasch zu ihm, um ihm im Fluge auf die Augen, auf die Nase, auf ein Ohr zu küssen. Wenn man sie ausschalt, begann sie heimlich mit allerlei Feinheiten das Spiel von vorne; sie suchte seine Hand zu erhaschen und zu küssen. Fontan tat sehr herablassend und ließ sich voll Würde anbeten. Seine große Nase zitterte in sinnlichem Behagen. Seine Bocksfratze, seine furchtbare Häßlichkeit machte sich breit unter der demütigen Anbetung dieses kräftigen, weißen, schönen Mädchens. Zuweilen geruhte er, einen Kuß zu erwidern, mit der Miene eines Mannes, der sich seines Wertes bewußt ist.

Ihr werdet auf die Dauer unausstehlich! rief Prulliére endlich aus. Pack dich, Fontan.

Er wechselte mit Fontan den Platz und setzte sich zu Nana. Allgemeiner Beifall lohnte diese Tat. Fontan schien sehr betrübt; Prulliére hingegen zeigte sich galant gegen Nana; er suchte unter dem Tisch ihren Fuß und erhielt dafür von der Dame einen ausgiebigen Stoß. Nein, meinte sie, mit ihm werde sie sich nicht abgeben. Im vorigen Monat habe sie einen Augenblick Gefallen an seinem hübschen Kopfe gefunden, jetzt aber verabscheue sie ihn. Wenn er es noch einmal wagen solle, unter dem Vorwande, daß[265] er seine Serviette aufhebe, sie zu zwicken, werde sie ihm ein Glas ins Gesicht werfen.

Der Abend verlief indessen sehr angenehm. Man kam schließlich auf das Varietétheater zu sprechen. Dieses Luder von Bordenave will nicht krepieren! Seine scheußlichen Krankheiten sind wieder ausgebrochen und peinigen ihn dermaßen, daß mit ihm nicht auszukommen ist. Gestern bei der Probe habe er immer auf Simonne geschimpft. Wenn der einmal abkratze, werde ihm niemand eine Träne nachweinen. Nana erklärte, sie werde ihn schön davonjagen, wenn er sich einfallen lasse, ihr eine Rolle anzubieten; sie wolle überhaupt nicht mehr Komödie spielen; das Theater wiege ihr liebes Heim nicht auf. Auch Fontan, der weder in dem gegenwärtigen, noch in dem nächsten Stücke beschäftigt war, fühlte sich sehr glücklich, daß er frei sei und die Abende am Kamin bei seinem lieben Kätzchen zubringen könne.

Die anderen erschöpften sich in Bewunderung über das Glück der beide und schienen sie sehr darum zu beneiden. Man brach nun den Dreikönigskuchen. Die Bohne fiel der Madame Lerat zu, die sie dem Bosc ins Glas warf. Da riefen alle: Der König trinkt! Der König trinkt! Nana benutzte diesen Ausbruch allgemeiner Heiterkeit, um Fontan beim Kopf zu nehmen, ihn zu küssen und ihm allerlei ins Ohr zu flüstern. Prulliére schrie mit der beleidigten Miene eines hübschen Jungens, dies sei kein Spaß mehr. Ludwig war auf zwei Sesseln eingeschlafen. So verfloß der Abend. Man trennte sich erst gegen zwei Uhr morgens mit dem Versprechen, einander recht oft wiederzusehen.

Die ersten drei Wochen war dieses Leben sehr angenehm. Nana sah sich in die Zeit ihrer Anfänge zurückversetzt, da ihr erstes Seidenkleid sie so unsagbar glücklich gemacht hatte. Sie ging wenig aus, schwärmte für die Einsamkeit[266] und Einfachheit. Als sie eines Morgens ausging, um auf dem La Rochefoucauld-Markte Fische einzukaufen, fand sie sich plötzlich zu ihrer großen Überraschung Francis, ihrem ehemaligen Friseur gegenüber. Er war nett wie immer, trug feine Wäsche, einen tadellosen Überrock. Sie schämte sich, daß er sie auf der Straße im Schlafrock und Hausschuhen traf. Er benahm sich sehr taktvoll und war noch höflicher als früher. Er erlaubte sich keine Frage und tat, als ob er an Madames Reise glaube. Ach, Madame, hat so manchen unglücklich gemacht, als sie sich entschloß, zu reisen. Es sei ein Verlust für alle gewesen. Nana wurde nach ihrer ersten Verlegenheit neugierig und begann den Friseur auszufragen. Da sie von den Vorübergehenden gestoßen wurden, schob sie ihn unter ein Tor, wo sie mit dem Körbchen am Arme vor ihm stand und ihm zuhörte.

Was sprach man über ihre Flucht?

Mein Gott, die Damen, zu denen ich komme, sagten dies und jenes: kurz, ein riesiges Aufsehen.

Und Steiner?

Ach, Steiner ist sehr herabgekommen und wird ein übles Ende nehmen, wenn ihm nicht irgendein neues Unternehmen gelingt.

Und Daguenet?

Oh, dem geht es vortrefflich; er richtet sich allmählich ein.

Nana, die sich für die Vergangenheit immer mehr interessierte, öffnete den Mund, um nach jemanden zu fragen: doch der Name Muffat wollte ihr nicht recht über die Lippen. Francis lächelte; er erriet und kam ihr zuvor. Was den Herrn Grafen betreffe, sei es ein Jammer, wie sehr er nach ihrer Abreise gelitten. Er sei, wie ein ruheloser Geist, an allen Orten zu finden, die Madame ehemals zu besuchen pflegte. Endlich habe Mignon ihn bei sich eingeführt.[267]

Diese Nachricht brachte Nana zum Lachen, doch war ihre Heiterkeit im Grunde eine gezwungene.

Ah, er hält es jetzt mit Rosa? Nun, Francis, ich mache mir eigentlich nichts daraus ... Der Mensch hat sonderbare Manieren angenommen ... Nicht acht Tage wollte er fasten! Ach, ah! Und dieser Mensch schwur mir, daß er nach mir nie mehr ein Weib berühren wolle.

Sie war im Grunde wütend.

Rosa hat einen sauberen Patron erwischt, sagte sie. Ich begreife übrigens: sie wollte sich für das Rindvieh Steiner rächen, das ich ihr weggekapert hatte. Eine große Heldentat, einen Mann an sich zu locken, den ich hinausgeworfen habe.

Was das betrifft, erzählt Mignon die Sache ganz anders. Nach seiner Darstellung hätte der Graf Sie davongejagt und zwar in einer scheußlichen Weise mit Fußtritten.

Nana erbleichte.

Was? schrie sie, mit Fußtritten ...? Das ist denn doch zu stark ... Ich war es, mein Lieber, die ihn die Treppe hinabwarf, diesen Hahnrei. Denn er ist ein Hahnrei! Seine Frau macht ihn dazu mit aller Welt, selbst mit diesem Lumpen Fauchery. Und dieser Mignon, der auf den Straßen umherläuft, um seinem Weibe Männer zu bringen, weil sie niemand mehr mag, so mager ist sie ... Ist das ein schmutziges Pack ... Sie erstickte fast vor Wut. Dann fuhr sie, tief Atem holend, fort:

Sagen sie das ...? Nun gut, Francis, ich will die Leute aufsuchen. Wollen wir miteinander hingehen? Ja, ich will hingehen, und wir wollen sehen, ob sie den Mut haben, von Fußtritten zu reden ... Mir, die ich niemals von jemandem einen Schlag geduldet habe und auch niemals dulden werde ... Ich würde den Mann zerreißen, der es wagen würde, Hand an mich zu legen ...[268]

Sie besänftigte sich allmählich. Sie konnten reden, was sie wollten; in ihren Augen galten diese Leute nicht mehr als der Schmutz an ihren Schuhen. Sie würde nur sich selbst besudeln, wenn sie sich mit diesen Leuten weiter abgeben wollte. Sie hatte ihr gutes Gewissen und war dabei zufrieden. Francis wurde vertraulicher, und als er sie so in ihrem Hauskleide sich ganz als Hausfrau geben sah, erlaubte er sich, zum Abschiede ihr einige Ratschläge zu geben.

Sie haben unrecht, meinte er, einer Liebeslaune alles aufzuopfern; die Liebeslaunen verderben die Existenzen.

Sie hörte ihn gesenkten Hauptes an, während er als Kenner des Lebens sprach, den es schmerzt, ein so schönes Mädchen so verkümmern zu sehen.

Das ist mein Sache, sagte sie endlich, immerhin danke ich dir, mein Lieber.

Sie drückte ihm die Hand, die trotz ihrer Sauberkeit noch immer etwas fettig war, und ging auf den Fischmarkt. Die Geschichte von den Fußtritten ging ihr den ganzen Tag nicht aus dem Kopfe.

Sie sprach auch mit Fontan darüber und benahm sich auch da als starkes Weib, das sich von einem Manne nichts gefallen lassen würde. Fontan, als überlegener Geist, der er war, erklärte, daß alle vornehmen Männer Lümmel seien, die man verachten müsse. Von da ab war Nana von tiefster Verachtung für die vornehme Herrenwelt erfüllt.

Am Abend des nämlichen Tages gingen sie ins Varietétheater, um dem ersten Auftreten eines jungen Mädchens beizuwohnen, welches Fontan kannte. Die Rolle bestand aus zehn Zeilen. Es war nahezu ein Uhr nach Mitternacht, als sie nach Hause kamen. In der Rue der Chaussée nach Antin hatten sie einen Kuchen gekauft. Sie aßen ihn im Bett, weil es kühl war und es sich doch nicht lohnte, wegen[269] eines so einfachen Abendbrotes im Kamin Feuer anzuzünden. So saßen sie nebeneinander im Bett, die Decke über den Bauch hinaufgezogen, den Rücken an die Kissen gelehnt und aßen, wobei sie von der neuen Schauspielerin plauderten. Nana fand sie häßlich und ohne allen Schick. Fontan, der vorne lag, sagte nichts, sondern reichte ihr ein Stück von dem Kuchen, der auf dem Nachtkästchen zwischen Leuchter und Zündhölzchen lag. Es kam aber schließlich dennoch zu einem Streite zwischen ihnen.

Wie kann man von der nur reden? bemerkte Nana. Sie hat ja Augen wie Bohrlöcher und flachsfarbene Haare.

Schweig doch! sagte Fontan. Sie hat prachtvolles Haar und Augen voll Glanz und Feuer. Es ist doch sonderbar, daß die Weiber einander auffressen wollen. Er machte dabei eine verdrossene Miene, und als sie nicht nachgab, rief er schroff:

Schlafen wir, sonst nimmt die Geschichte eine üble Wendung. Mich soll niemand reizen ...

Er blies die Kerze aus. Nana war wütend und zankte weiter. Sie dulde nicht, daß man in diesem Tone mit ihr rede; sie sei gewöhnt, geachtet zu werden. Da er ihr keine Antwort gab, mußte endlich auch sie schweigen. Doch vermochte sie nicht einzuschlafen; sie warf sich hin und her.

Herrgott! rief er endlich, indem er wütend emporsprang. Wirst du ruhig liegen?

Ich bin nicht schuld daran, daß Brotstückchen im Bette sind, bemerkte sie.

Es waren in der Tat Brotkrümchen im Bett. Sie spürte sie überall, selbst unter den Schenkeln und wurde furchtbar davon gequält. Ein einziges Brotkrümchen im Bett genügte, um ihr den Schlaf zu rauben, sie kratzte sich blutig. Da man im Bette Kuchen gegessen, hätte man die Decke abschütteln sollen. Fontan war wütend und zündete die Kerze[270] wieder an. Nun stiegen beide, mit nackten Beinen und im Hemde, aus dem Bett, nahmen die Decke herab und fegten mit den Händen die Krummen fort. Fontan fröstelte, denn es war kalt im Zimmer; darum beeilte er sich, wieder ins Bett zu kommen, und als sie ihn bat, er möge sich doch die Fußsohlen abwischen, hieß er sie zum Teufel gehen. Endlich legte auch sie sich nieder. Kaum lag sie im Bett, als der Tanz wieder losging. Es waren noch immer Brosamen da.

Du hast sie auf den Fußsohlen wieder ins Bett gebracht, sagte sie. Ich kann es nicht aushalten ...

Sie erhob sich, um über ihn hinweg aus dem Bett zu steigen. Da verlor Fontan, der schlafen wollte, endlich die Geduld und versetzte ihr eine tüchtige Ohrfeige. Der Schlag war so stark, daß Nana im Moment betäubt auf den Kissen lag.

Oh, stöhnte sie mit einem tiefen Seufzer.

Er drohte ihr mit einer zweiten Ohrfeige, wenn sie es wage, sich noch einmal zu rühren. Dann wandte er ihr den Rücken, und in der nächsten Minute schnarchte er. Sie verbarg den Kopf in den Kissen und schluchzte still. Das ist eine Feigheit, seine Kraft so zu mißbrauchen. Allein sie fürchtete sich jetzt vor dem schrecklichen Ausdruck, den die drollige Fratze Fontans angenommen hatte. Aber allmählich verlor sich auch ihr Zorn, als ob die Ohrfeige sie beruhigt habe. Sie war von Achtung für ihn erfüllt und drückte sich an die Wand, damit er das ganze Bett für sich habe. Mit glühender Wange und mit tränenfeuchten Augen schlief sie endlich ein, niedergedrückt von grenzenloser Ergebenheit. Sie spürte keine Brosamen mehr. Als sie am Morgen erwachte, hielt sie Fontan in ihren Armen fest an ihre Brust gedrückt. Er werde das nie wieder tun, wie? Sie liebe ihn ja so sehr. Von ihm geohrfeigt zu werden, sei auch eine Wonne![271]

Jetzt begann ein neues Leben. Für ein Ja oder Nein hatte Nana ihre Ohrfeige. Sie gewöhnte sich bald daran und steckte es ruhig ein. Zuweilen schrie und drohte sie; dann preßte er sie an die Wand und sagte, er werde sie erdrosseln. Das machte sie nachgiebig.

Oft sank sie auf einen Sessel hin und schluchzte fünf Minuten, dann vergaß sie alles wieder und flatterte singend und lachend durch die Zimmer. Das Schlimmste war, daß Fontan jetzt ganze Tage lang ausblieb und erst um Mitternacht heimkehrte. Er trieb sich in den Kaffeehäusern herum, wo er Kameraden antraf. Nana duldete alles zitternd und liebkoste ihn, denn sie fürchtete, er werde nicht wiederkommen, wenn sie ihm Vorwürfe mache. An gewissen Tagen jedoch, wenn weder die Maloir, noch die Lerat kam, langweilte sie sich zum Sterben. Sie war deshalb auch entzückt, als sie eines Tages auf dem Markte Satin begegnete, die ein Büschel Radieschen kaufte. Seit dem Abende, da der Prinz von dem Champagner Fontans getrunken, hatten sie einander aus den Augen verloren.

Wie, du bist's? Wohnst du in diesem Stadtviertel? rief Satin verblüfft, als sie Nana zu dieser Stunde auf offener Straße in Pantoffeln herankommen sah. Bist du denn in Not, mein armes Kind?

Nana blinzelte ihr zu, damit sie schweige, denn es kamen noch andere Frauen hinzu in schmutzigen Hauskleidern mit wirr herabhängenden Haaren. Sobald am Morgen der Mann fort war, den sie die Nacht über beherbergten, kamen alle diese Mädchen herbei, um ihre Einkäufe für den Tag zu machen. Es waren erschöpfte, schläfrige, übelgelaunte Gestalten, die einen jung und hübsch, die andern alt und scheußlich, in Lumpen gehüllt. Auf dem Fußsteige standen die Männer, um sie zu betrachten; doch sie kümmerten sich nicht darum, außerhalb der »Geschäftszeit« verachteten sie[272] alle Männer. Eben als Satin ihren Bund Radieschen bezahlte, kam ein junger Mann vorüber, irgendein verspäteter Beamter, und rief ihr zu: »Guten Morgen, Schätzchen!« Sie richtete sich mit einem Ruck auf und sagte mit der Würde einer beleidigten Königin:

Was fällt denn diesem Schwein ein?

Dann glaubte sie, ihn zu erkennen. Als sie vor drei Tagen um Mitternacht allein den Boulevard hinauf ging, hatte sie an der Ecke der Labruyére-Straße fast eine halbe Stunde ihm zugeredet, daß er sie begleite. Das empörte sie noch mehr.

Ist das nicht tölpelhaft, den Leuten am hellen Tage solche Dinge zuzuschreien! fuhr sie fort. Wenn man seinen Angelegenheiten nachgeht, will man doch respektiert sein, nicht wahr?

Nana kaufte ein Paar Waldtauben, dann gingen sie miteinander fort. Satin, die ganz in der Nähe in der Rochefoucauld-Straße wohnte, wollte Nana ihr Haus zeigen. Sobald sie allein waren, erzählte Nana ihr Liebesverhältnis mit Fontan. Die andere hörte sehr aufmerksam zu, wie Nana erzählte, die nun ihrerseits log, indem sie sagte, sie habe den Grafen Muffat mit Fußtritten davongejagt.

Oh, das ist gut! sagte Satin. Fußtritte, das ist sehr schick! Er hat gewiß nichts gesagt. Das ist so feige. Ich wäre gern dabei gewesen, um die Fratze zu sehen, die er machte. Du hast recht, meine Liebe, das Geld ist nichts. Wenn ich in einen Mann vernarrt bin, krepiere ich für ihn. Du besuchst mich, wie? Die Tür links. Klopfe dreimal, denn es gibt eine Menge Schweinekerle, die mich belästigen, und ich will nicht jeden einlassen.

Wenn Nana sich langweilte, suchte sie Satin auf. Sie war stets sicher, sie zu finden, da Satin niemals vor sechs Uhr ausging. Sie bewohnte zwei Zimmer, die ein Apotheker[273] ihr möbliert hatte, um sie vor den Verfolgungen der Polizei zu schützen. Aber bevor ein Jahr um war, hatte sie die ganze Einrichtung zertrümmert, die Sessel durchlöchert, die Vorhänge beschmutzt. Sie war von einer wahren Unsauberkeits- und Unordnungskrankheit besessen, und die Wohnung sah aus, als ob eine Rotte wütender Katzen darin hauste. Wenn sie manchmal, von Ekel vor sich selbst ergriffen, ein wenig aufräumen wollte, behielt sie alles, was sie anfaßte, in der Hand; bald eine Sessellehne, bald ein Stück von einem Vorhang. Es kam so weit, daß man in die Wohnung kaum eintreten konnte, weil ein ganzer Haufen Gerümpel vor der Tür lag. Sie ließ also alles stehen und liegen; ohnehin drohte der Hauseigentümer, sie hinauszuwerfen. Für wen sollte sie die Möbel instandhalten, für ihn etwa? Fällt ihr nicht ein! ... Wenn sie übelgelaunt das Bett verließ, versetzte sie dem Bett und den Schreinen wütende Fußstöße, um ihnen den Rest zu geben.

Nana fand sie fast immer im Bette. Wenn Satin ausgegangen war, um ihren Mundvorrat einzukaufen, war sie immer so matt, bis sie wieder hinaufkam, daß sie sich aufs Bett warf und wieder einschlief. Tagsüber schleppte sie sich müde umher, schlief bald auf diesem, bald auf jenem Sessel, und erwachte erst gegen sechs Uhr, wenn die Gaslichter angezündet wurden. Nana befand sich sehr wohl bei ihr inmitten dieses zerwühlten Bettes, der Waschbecken, die umherstanden, der Röcke, an denen noch der Straßenschmutz vom gestrigen Abend klebte. Da saß sie müßig und plauderte mit Satin, die im Hemde sich im Bette herumwälzte, die Beine in die Luft streckte und Zigaretten rauchte. Zuweilen ließ sie sich Absynth holen, um ihren Kummer zu vertreiben, wie sie sagten. Satin neigte sich im Hemd über das Treppengeländer und schrie die Bestellung der Tochter der Hausmeisterin hinunter, einem Mädchen von zehn Jahren[274] das den Absynth im Glase holte und dann die nackten Beine der Dame anstarrte. All ihre Gespräche gingen darauf hinaus, daß die Männer Schweinekerle seien. Nana war eigentlich furchtbar lästig mit ihren ewigen Fontan; sie konnte keine zehn Worte vorbringen, ohne darauf zurückzukommen, was er sprach, und was er tat. Aber Satin war sehr gutmütig und hörte geduldig ihre Geschichten an; wie sie ihren Fontan am Fenster erwarte, wie sie wegen eines angebrannten Ragouts stritten, wie sie dann stundenlang schmollten und sich endlich im Bett wieder aussöhnten. Das kam so weit, daß Nana ihr von allen Schlägen erzählte, die sie erhielt. Die vorige Woche erhielt sie solche Prügel, daß sie ein angeschwollenes Auge hatte. Gestern wieder, als er einen Pantoffel nicht fand, versetzte er ihr einen Stoß, daß sie auf den Nachtkasten fiel. Die andere war hierüber gar nicht erstaunt; sie blies den Rauch ihrer Zigarette in die Luft und meinte, daß sie sich in solchen Fällen niederdrücke, so daß der prügellustige Liebhaber mit der Hand durch die Luft fahre. Nana redete sich in ein wahres Entzücken über die Ohrfeigen hinein, die sie von Fontan erhalten; sie zergliederte sein Tun und Lassen haarklein bis auf die Art und Weise, wie er seine Schuhe ausziehe. Satin fand schließlich selbst Gefallen an Fontan und seinen Manieren; sie erzählte noch stärkere Geschichten dieser Art. So zum Beispiel, daß einmal ein Pastetenbäcker, mit dem sie liebte, sie dermaßen geschlagen, daß sie halbtot auf dem Boden liegen geblieben sei, ihn aber nur um so mehr liebte.

Dann kamen Tage, an denen Nana in Tränen zerfloß und erklärte, sie ertrage es nicht länger. Satin begleitete dann ihre Freundin bis zu ihrer Türe und blieb noch eine Stunde auf der Straße unten, um zu sehen, ob Fontan sie umbringe. Am andern Tage kamen dann wieder die Versöhnungsgeschichten.[275]

Die beiden Frauenzimmer wurden allmählich unzertrennlich; doch kam Satin nie zu Nana, weil Fontan nicht duldete, daß sie die Wohnung betrete. Sie gingen miteinander aus, und so kam es, daß Satin eines Tages ihre Freundin zu einer Dame führte. Es war jene Madame Robert, für die Nana eine gewisse Achtung empfand, seitdem diese es abgelehnt hatte, zu ihrem Essen zu kommen. Madame Robert wohnte in der Mosnier-Straße, einer neuen, stillen Straße im Europa-Viertel. In der ganzen Straße befanden sich keine Kaufläden; in den Häusern waren zumeist kleine, enge Wohnungen, die von gefälligen Damen bewohnt waren. Es war fünf Uhr. Längs der verlassenen Fußsteige hielten in der aristokratischen Stille der Straße vor den hohen, neuen Häusern die eleganten Wagen von Börsemaklern und reichen Kaufleuten, während einzelne Herren rasch vorübereilten und flüchtige Blicke zu den Fenstern hinaufsandten, an denen die Damen im Hauskleide warteten. Nana weigerte sich anfangs hinaufzugehen und meinte, sie kenne diese Dame nicht. Aber Satin drang in sie; man könne immer eine Freundin mitbringen, sagte sie. Sie wolle bei Madame Robert bloß einen Höflichkeitsbesuch machen. Sie habe sie gestern in einem Restaurant getroffen, und Madame Robert habe ihr das Versprechen abgenommen, sie zu besuchen. Nana ließ sich endlich überreden. Oben sagte ihnen eine schläfrige Magd, Madame sei noch nicht zurück. Sie führte die Damen in den Salon und bat sie zu warten.

Herrgott, das ist aber schick! rief Satin aus.

Die Wohnung war in ernstem, bürgerlichem Stil gehalten, Wände und Einrichtung mit dunklen Stoffen überzogen, alles mit der soliden Eleganz eines Kaufmannes, der sich mit Vermögen von den Geschäften zurückgezogen. Nana stand unter dem Eindruck dieser Behausung und erlaubte sich boshafte Bemerkungen über die Eigentümerin. Doch[276] Satin ereiferte sich darüber und erklärte, daß sie für die Tugend der Madame Robert einstehe. Man sehe sie immer nur in Gesellschaft ernster und würdiger Männer, die ihr den Arm reichten. Gegenwärtig habe sie einen ehemaligen Schokoladefabrikanten, einen sehr streng gesitteten Mann, zum Verehrer, der, entzückt von den anständigen Manieren in ihrem Hause, sooft er komme, sich anmelden lasse und sie »Mein Kind« nenne.

Doch, da ist sie ja, fügte Satin hinzu, indem sie auf eine unter der Uhr hängende Photographie zeigte.

Nana betrachtete einen Augenblick das Bild. Es stellte eine brünette Frau mit länglichem Gesichte und zu einem halben Lächeln gespitzten Lippen vor. Man konnte sie für eine Frau aus der guten Gesellschaft halten.

Merkwürdig, murmelte Nana, ich habe diesen Kopf schon irgendwo gesehen, weiß aber nicht mehr, wo. An einem anständigen Ort wird's nicht gewesen sein, gewiß nicht ... Also, fügte sie zu Satin gewendet hinzu, sie hat dir das Versprechen abgenommen, sie zu besuchen. Was will sie denn von dir?

Was sie von mir will? Ein wenig plaudern, einen Augenblick beisammen sein, die reine Höflichkeit ...

Nana blickte Satin scharf an, dann schnalzte sie mit der Zunge. Ihr war schließlich die Sache gleichgültig. Da aber diese Dame sie warten ließ, erklärte sie, daß sie gehen wolle. Beide gingen.

Am folgenden Tage erklärte Fontan, daß er nicht zum Essen kommen werde. Nana ging daher zeitig zu Satin und bot ihr ein Essen in irgendeinem Restaurant an. Die Wahl des Restaurants war eine schwierige Frage. Satin brachte Auskochereien in Vorschlag, die Nana anwiderten. Endlich entschloß man sich für Lauras Restaurant in der Märtyrer-Straße, wo man für drei Franken an der allgemeinen Tafel speisen konnte.[277]

Da sie sich langweilten und mit ihrer Zeit nichts anzufangen wußten, gingen sie zwanzig Minuten zu früh hin. Die drei Säle waren noch leer. Sie nahmen an einem Tische Platz in dem gleichen Saale, wo Laura Eisenfuß in einem hohen Zahlpult thronte. Diese Laura war eine Dame von ungefähr fünfzig Jahren mit überquellenden Formen, die sie nur mit vieler Mühe in Gürtel und Mieder einzuzwängen vermochte. Es kamen zahlreiche weibliche Gäste, die sich vor dem Zahlpult auf die Fußzehen stellten, um die Besitzerin vertraulich auf den Mund zu küssen, während dieses Ungeheuer mit zärtlich feuchten Augen allen diesen Liebesbeweisen entgegen zu kommen suchte, um keine eifersüchtig zu machen. Die Aufwärterin hingegen war eine große, magere Person mit verwitterten Zügen und schwarzumränderten, glühenden Augen. Die drei Säle füllten sich rasch. Es mochten etwa hundert weibliche Gäste da sein, die ohne Wahl nebeneinander an den Tischen Platz nahmen. Die Mehrzahl dieser Damen war nahe an die Vierzig von ungeheurer Körperfülle, entstellt vom Laster, mit schlaffen Lippen. Hie und da erschienen auch junge, schlanke Mädchen, die keusche Mienen mit schamlosen Gebärden vereinigten, junge Geschöpfe, durch Gäste der Laura in irgendeiner Schänke aufgespürt und hieher gebracht, wo diese Gesellschaft von alten, dicken Weibern ihnen förmlich den Hof machte, als ob es lauter Männer seien und ihnen manchen Leckerbissen bezahlten. Herren waren nur in geringer Zahl vorhanden, vielleicht zehn bis fünfzehn, die sich angesichts dieser beherrschenden Flut von Weiberröcken recht bescheiden betrugen, mit Ausnahme von vier jungen Leuten, die, wie es schien, gekommen waren, um sich hier einen Ulk zu machen, und sich offenbar sehr behaglich fühlten.

Die Kost ist gut? fragte Satin.

Nana nickte zufrieden. Man bekam hier ein reichliches[278] Essen wie in den Provinzhotels der guten alten Zeit: Blätterteigpasteten, Huhn mit Reis, Bohnen im eigenen Saft, Vanillecreme. Die Damen schwärmten besonders für Huhn mit Reis, von dem sie nicht genug nehmen konnten und das ihnen so trefflich mundete, daß sie sich darnach mit der Hand vergnügt den Mund abwischten. Anfänglich fürchtete Nana, irgendeine ihrer alten Freundinnen hier zu treffen, die sie dann mit allerlei neugierigen Fragen quälen könnte. Doch beruhigte sie sich bald; sie sah keine Bekannte in dieser bunten Gesellschaft, wo abgeschossene Kleider und fragwürdige Hüte mit reichen, modernen Toiletten in der Verwandtschaft der nämlichen moralischen Verderbtheit sich freundschaftlich untereinander mengten. Einen Augenblick wurde Nanas Aufmerksamkeit durch einen jungen Mann mit kurzem, geringeltem Haar und schamlosem Gesicht gefesselt, der einen ganzen Tisch von dicken Dirnen unterhielt. Nana glaubte zu bemerken, daß die Brust des jungen Mannes anschwoll, so oft er lachte.

Schau, das ist ja ein Mädchen! rief Nana erstaunt aus.

Satin, die sich eben den Mund mit Huhn vollstopfte, blickte auf und murmelte:

Ja, ich kenne sie ... Sehr schick! Man reißt sich um sie.

Nana machte eine Gebärde des Ekels. Sie begriff es noch nicht. Indes sagte sie ruhig, über Geschmack und Farben lasse sich streiten, weil man nicht wissen könne, was man selbst eines Tages lieben werde. Sie aß mit philosophischer Ruhe ihren Creme und bemerkte, daß Satin mit ihren keuschen, blauen Augen unter den Insassen der benachbarten Tische einen wahren Aufruhr anstifte. Besonders eine schöne, blonde Dame in der Nähe war Feuer und Flamme geworden und auf ihrem Sitze unruhig, daß Nana eben eine Bemerkung machen wollte, als eine neu Eintretende ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.[279]

Sie erkannte in dieser Dame Frau Robert. Diese nickte der Aufwärterin vertraulich zu und lehnte sich dann an Lauras Zahlpult. Die beiden küßten einander wiederholt. Nana fand diesen Zärtlichkeitsbeweis von Seite einer vornehmen Dame höchst drollig, umso mehr, als Madame Robert keineswegs bescheiden aussah, im Gegenteil. Sie blickte nach allen Seiten des Saales und plauderte leise mit der Wirtin. Laura hatte sich wieder gesetzt und thronte da mit der Majestät eines alten Götzenbildes des Lasters, dessen Antlitz grün und abgenützt ist von den Küssen der Getreuen; zwischen ihren mit Leckereien gefüllten Tellern, herrschte sie über ihre Kundschaft dicker Weiber als eine der dicksten inmitten dieses Wohlstandes einer Gasthausbesitzerin, der der Lohn einer vierzigjährigen Arbeit war.

Madame Robert bemerkte plötzlich Satin. Sie verließ sofort das Zahlpult, eilte herbei, tat sehr erfreut und bedauerte unendlich, daß sie tags vorher nicht zu Hause gewesen. Satin schien sehr glücklich und wollte der Robert durchaus an ihrer Seite Platz machen; doch diese beteuerte, daß sie bereits gegessen habe. Sie sei bloß gekommen, um zu sehen, wer da sei. Sie stand hinter Satins Sessel, stützte sich auf die Schultern des Mädchens und fragte:

Wann werde ich Sie sehen? Wenn Sie frei wären ...

Nana vermochte das übrige nicht zu hören; doch war sie wütend über dieses Gespräch und brannte vor Verlangen, dieser »rechtschaffenen« Dame ihre Meinung zu sagen. Doch der Eintritt einer Gesellschaft nahm ihre Aufmerksamkeit von neuem in Anspruch. Es kamen elegante Damen in großer Toilette, mit Brillanten geschmückt. Sie kamen zu Laura, die sie sämtlich duzten, ergriffen von dem Geschmack an der Verderbtheit, behangen von Diamanten im Werte von hunderttausend Franken. Sie kamen, weil sie die Laune hatten, inmitten dieser vor Neid vergehenden armen Mädchen[280] ein Essen für drei Franken einzunehmen. Als sie unter lautem Geschwätz und Gelächter, gleichsam ein Stück Sonne mitbringend, eintraten, wandte Nana lebhaft den Kopf und erkannte zu ihrem Verdruß unter ihnen Lucy Stewart und Maria Blond. Fast fünf Minuten neigte während der ganzen Zeit, welche diese Damen mit Laura plauderten, Nana das Gesicht auf den Teller herab und beschäftigte sich eifrig damit, Brotkügelchen zu formen. Als sie endlich aufblicken konnte, sah sie zu ihrem Erstaunen den Sessel neben sich leer. Satin war verschwunden ...

Wo ist sie denn? fragte Nana ganz laut.

Die hübsche blonde Person, die vorhin Satin fast verschlungen hatte, lächelte mit halbverdrossener Miene, und als Nana, ärgerlich über dieses Lächeln, sie drohend anblickte, sagte sie mit gedehnter Stimme:

Nicht ich, die andere hat sie Ihnen genommen.

Nana begriff, daß man sich über sie lustig mache und schwieg. So saß sie eine Weile, um ihren Zorn nicht merken zu lassen. Im Hintergrunde des anstoßenden Saales hörte man die laute Stimme Lucy Stewarts, die einen ganzen Tisch voll kleiner Dirnen traktierte. Es war sehr heiß, die Aufwärterin trug ganze Stöße schmutziger Teller durch die Säle, die von dem starken Dufte des Reishuhnes erfüllt waren. Die erwähnten vier jungen Leute unterhielten sich damit, einem halben Dutzend Mädchen feine, schwere Weine einzuschenken, um ihnen einen Rausch anzutrinken und sie zu allerlei unflätigen Reden zu bringen. Was Nana jetzt am meisten verdroß, war, daß sie für Satin das Essen bezahlen mußte. Ist das eine Dirne, die sich traktieren läßt und dann mit der ersten besten davonläuft, ohne auch nur zu sagen: Ich danke. Es waren wohl nur drei Franken, aber die Sache verdroß sie dennoch, denn Satins Benehmen war ekelhaft. Sie warf ihre sechs Franken der Laura hin, die sie[281] in diesem Augenblick mehr verachtete als den Schmutz der Gosse.

Auf der Straße ward ihre Wut noch größer; wahrhaftig, sie läuft dieser Vettel Satin nicht nach. Ihr Abend war verdorben, sie ging langsam nach Hause und schimpfte unterwegs besonders auf diese Frau Robert. Die hat Ursache, die »Vornehme« zu spielen. Ja, vornehm in den Schmutzwinkeln! Nana war jetzt sicher, diese Person im »Schmetterling« gesehen zu haben, einer schmutzigen Kneipe der Fischerstraße, wo sie von Männern zu dreißig Sous zu haben war. Und die bezaubert Bürochefs durch ihr anständiges Benehmen; die wagte es, Essen abzulehnen, zu denen man sie einlädt ... Die spielt die Tugendhafte.

Nana war zu Hause angekommen. Zu ihrer Überraschung fand sie die Wohnung beleuchtet. Fontan war verdrießlich nach Hause gekommen, weil auch er von dem Freunde verlassen worden war, der ihm das Essen bezahlt hatte. Er hörte gleichgültig ihre Erklärungen an. Sie fürchtete, Schläge zu bekommen, weil sie so spät kam. Sie hatte ihn nämlich erst um ein Uhr nach Mitternacht erwartet. Sie nahm zu einer Lüge ihre Zuflucht und sagte, sie habe die sechs Franken mit Madame Maloir ausgegeben. Er reichte ihr mit vieler Würde einen Brief, der für sie eingelangt war, und den er ruhig aufgemacht hatte. Es war ein Brief von Georges, der noch immer in Fondettes eingesperrt war und seinem Schmerz allwöchentlich in einem liebeglühenden Briefe Luft machte. Nana war entzückt von diesen Briefen, besonders wenn gefühlvolle Redewendungen und Liebesschwüre darin vorkamen. Sie las solche Briefe jedem vor. Fontan kannte den Stil Georges und wußte ihn nach seinem Werte zu schätzen. Diesen Abend fürchtete sie so sehr eine Szene, daß sie Gleichgültigkeit heuchelte; sie durchflog das Schreiben mit gelangweilter Miene und warf es dann auf[282] den Tisch. Fontan war inzwischen an das Fenster getreten und trommelte einen Marsch auf den Scheiben. Es war ihm zu früh, zu Bette zu gehen, und er wußte nicht, was er mit seinem Abend anfangen solle. Plötzlich wandte er sich um und sagte:

Wie wär's, wenn man diesem Burschen sogleich antworten würde?

Gewöhnlich schrieb er die Antworten an Georges; er tat sich auf seinen Stiel viel zu gute. Er fühlte sich geschmeichelt und glücklich, wenn Nana nach Beendigung des Briefes, den er laut diktierend schrieb, ihm um den Hals fiel, und sagte, kein zweiter vermöge, solche Dinge zu erfinden. Das endete dann immer mit einer glücklichen Liebesszene.

Wie du willst, erwiderte sie auf seine Frage. Ich will inzwischen den Tee bereiten, dann gehen wir zu Bett.

Nun setzte sich Fontan und breitete Papier, Tinte und Feder vor sich aus. Dann krümmte er den Arm und stützte das Kinn auf den Tisch.

Mein Herzchen! begann er laut.

Nun schrieb er, den Kopf auf die Hände gestützt, nahezu eine Stunde, sich immer laut vordiktierend und beifällig lachend, wenn er eine besonders zärtliche Redewendung gefunden zu haben glaubte. Nana sah ihm stillschweigend zu und trank indessen zwei Tassen Tee. Endlich war der Brief fertig, und Fontan las ihn laut vor, wie man auf dem Theater liest, mit lebhaften Gebärden.

Es gab in dem Briefe »köstliche Stunden, die man in La Mignotte verlebt, Stunden, deren Erinnerung wie ein zarter Duft zurückgeblieben«; dann »Schwüre der ewigen Treue für diesen Liebesfrühling«. Am Schlusse war der heiße Wunsch ausgedrückt, »das Glück noch einmal zu beginnen, wenn dies überhaupt möglich sei«.[283]

Das habe ich getroffen, wie? sagte Fontan in triumphierendem Tone.

Doch Nana benahm sich diesmal ungeschickt; sie war noch immer argwöhnisch und beging den Fehler, ihm nicht unter lauten Rufen der Bewunderung um den Hals zu fallen. Sie fand den Brief gut, weiter nichts. Das verdroß ihn. Wenn sein Brief ihr nicht gefalle, meinte er, könne sie einen anderen schreiben. Und sie küßten diesmal einander nicht, sondern saßen kühl an beiden Enden des Tisches. Sie schenkte ihm eine Tasse Tee ein.

Ist das eine Schweinerei! rief er, den Tee kostend. Hast du denn Salz hineingetan?

Nana zuckte die Achseln. Dadurch wurde er noch wütender.

Das wird heute eine schlimme Wendung nehmen, sagte Fontan.

Nun brach der Zank los. Es war erst gegen zehn Uhr; so konnte man am besten die Zeit totschlagen. Fontan schleuderte Nana alle erdenklichen Schmähungen und Beschuldigungen ins Gesicht, eine nach der anderen, ohne ihr zur Verteidigung Zeit zu lassen. Sie sei schmutzig, dumm, gemein, treibe sich überall umher. Dann warf er sich auf den Geldpunkt. Er gebe keine sechs Franken aus, wenn er auswärts speise. Er lasse sich ein Essen bezahlen, sonst begnüge er sich mit der einfachen Hausmannskost. Und noch dazu für diese alte Kupplerin Maloir, die er hinauswerfe, wenn sie sich noch einmal zeigen sollte! Da würden sie weit kommen, wenn jeder für sich alle Tage sechs Franken ausgeben wolle!

Ich fordere vor allem Rechenschaft! rief er. Gib das Geld her; ich will sehen, wie weit wir sind.

Sein schmutziger Geiz war in ihm erwacht. Nana beeilte sich ganz erschrocken, das Geld zu holen, das sie noch im[284] Schranke hatten. Bisher benützten sie die Kasse gemeinschaftlich; jeder nahm, was er brauchte.

Wie? rief er, nachdem er gezählt hatte, wir haben kaum siebentausend Franken von siebzehntausend, und leben doch erst seit drei Monaten beisammen? Das ist nicht möglich.

Er lief zu dem Kasten und hob das Schubfach heraus, um es bei Lampenlicht zu durchsuchen. Aber es waren nur sechstausendachthundert und einige Franken da. Nun brach das Unwetter los.

Zehntausend Franken in drei Monaten! heulte er. Herrgott, das ist zu viel! Was hast du mit dem Gelde angefangen? Sprich! Das Ganze wandert zu deiner Tante, wie? Oder kaufst du dir vielleicht Männer? Letzteres ist wahrscheinlicher ... So rede doch!

Ach, du mußt deshalb nicht wüten! Die Rechnung ist bald gemacht, sagte Nana. Du hast die Möbel nicht gerechnet und die Wäsche, die ich anschaffen mußte. Das Geld geht rasch weg, wenn man sich neu einrichtet.

Er forderte Erklärungen, wollte sie aber nicht anhören.

Jawohl, viel zu rasch, erwiderte er etwas ruhiger, ich habe die gemeinschaftliche Wirtschaft satt bekommen, liebe Kleine ... du weißt, diese siebentausend Franken gehören mir. Ich behalte sie denn auch für mich. Ich sehe, daß du eine Verschwenderin bist und habe keine Lust, mich von dir ruinieren zu lassen. Jedem das Seine.

Und er schob das Geld in die Tasche. Nana sah ihn verblüfft an; er aber fuhr selbstgefällig fort:

Ich bin nicht so blöde, Tanten und Kinder auszuhalten, die nicht die meinigen sind. Es hat dir beliebt, dein Geld auszugeben, das ist deine Sache. Mein Geld aber heißt: ›Rührmichnichtan!‹ Wenn du eine Hammelkeule brätst, will ich die Hälfte bezahlen; am Abend werden wir immer abrechnen.[285]

Nana war empört; sie konnte sich nicht enthalten, auszurufen:

Du konntest aber meine zehntausend Franken verzehren, schmutziges Schwein ...

Statt jeder weiteren Diskussion versetzte er ihr über den Tisch hinweg eine mächtige Ohrfeige, indem er sagte:

Noch einmal das Wort!

Trotz der Ohrfeige wiederholte sie das Wort, und er stürzte sich nun auf sie und bearbeitete sie mit Händen und Füßen.

Das Ende war, daß sie sich wie gewöhnlich auskleidete und weinend zu Bett ging. Er schnaufte nach der großen Anstrengung. Dann schickte auch er sich an, zu Bett zu gehen; da bemerkte er auf dem Tische den Brief, den er an Georges geschrieben hatte. Er faltete ihn sorglich zusammen und sagte, mit drohender Miene zum Bette gewendet:

Der Brief ist sehr gut; ich will ihn selbst auf die Post tragen, weil ich die Launen nicht mag ... Und hör auf zu ächzen. Das geht mir an die Nerven.

Nana, die bisher still geweint hatte, hielt den Atem an. Als auch er sich niederlegte, warf sie sich schluchzend an seine Brust. In dieser Weise endigten diese stürmischen Szenen immer; sie zitterte, ihn zu verlieren; sie empfand ein an Feigheit grenzendes Bedürfnis, ihn zu besitzen. Er stieß sie zweimal von sich, doch die warme Umarmung des bittenden Mädchens erweckte das Verlangen in ihm. Er spielte den guten Jungen, ohne sich aber zum Zeichen der Versöhnung herbeizulassen: er ließ sich liebkosen und erobern wie ein Mann, um dessen Gunst zu werben der Mühe lohnt. Dann wurde er von einer Angst erfaßt, er fürchtete, Nana spiele Komödie, um den Kassaschlüssel wieder in die Hände zu bekommen.[286]

Ich meine es im Ernst, Kleine, sagte er, das Geld bleibt bei mir.

Ja, ja; fürchte nichts; ich will arbeiten, erwiderte sie, an seinem Halse langsam einschlummernd.

Von diesem Abend angefangen wurde ihr Zusammenleben immer schwieriger. Es regnete Ohrfeigen und Nana wurde unter diesen Schlägen geschmeidig wie feine Leinwand. Dabei sah sie blühend aus und wurde immer schöner. Prulliére ward verliebter als je, stellte ihr hartnäckig nach und kam oft, wenn er Fontan nicht zu Hause wußte. Er drückte sie in einen Winkel, um sie zu umarmen; doch sie wehrte sich rot vor Scham, und fand es schändlich, daß er seinen Feind betrügen wolle. Prulliére war wütend über dieses Benehmen und fand, daß sie blöd sei. Wie konnte sie sich an einen solchen Pavian hängen? Denn Fontan mit seiner riesigen, ewig zitternden Nase ist ein wahrhaftiger Pavian. Ein scheußlicher Kerl, der sie noch zu Tode prügeln wird.

Mag sein, ich liebe ihn so, wie er ist, sagte sie mit der Ruhe einer Frau, die eingesteht, daß sie einen abscheulichen Geschmack hat.

Bosc begnügte sich damit, bei ihnen so oft wie möglich zu speisen. Er zuckte die Achseln über Prulliéres Benehmen. Ein hübscher Junge, aber ohne allen Ernst. Bosc hatte mehrmals solchen stürmischen Szenen beigewohnt, wo Fontan Nana ohrfeigte. Das störte ihn nicht im Essen; er fand es ganz natürlich. Um ein Mittagessen geschenkt zu bekommen, erging er sich in Lobpreisungen über ihr häusliches Glück. Er erklärte, er sei Philosoph, habe auf alles verzichtet, selbst auf den Ruhm. Zuweilen blieben Prulliére und Fontan nach dem Essen bei Tische und erzählten einander in ihre Sessel zurückgelehnt, mit lauter Stimme und lebhaften Gebärden ihre theatralischen Triumphe. Das[287] dauerte oft bis zwei Uhr nachts; inzwischen saß Bosc stillschweigend da und leerte langsam die Kognakflasche. Was ist von Talma übrig geblieben? Nichts. Nun denn, so möge man ihn in Frieden lassen: der ganze Schauspielerruhm ist eitel Dunst.

Eines Abends fand er Nana in Tränen aufgelöst. Sie streifte ihr Jäckchen ab, um ihm Rücken und Arme zu zeigen, die schwarz und blau geschlagen waren. Er betrachtete ruhig ihre Haut, ohne jede Versuchung, die Lage zu mißbrauchen, wie dieser Schwachkopf Prulliére getan haben würde, und sagte dann leise:

Meine Tochter, wo es Weiber gibt, da gibt es Schläge, so hat, glaube ich, Napoleon gesagt ... Wasche dich mit Salzwasser. Das Salzwasser ist für diese Dingerchen von ausgezeichneter Wirkung. Du wirst noch mehr bekommen; beklage dich nicht, so lange du deine Knochen heil beisammen hast. Ich sehe, es gibt einen Braten, da lade ich mich ein.

Madame Lerat war weniger philosophisch. Sie stieß ein lautes Geschrei aus, wenn sie die blauen Flecke auf dem Rücken ihrer Nichte sah. Man werde sie noch töten; das dürfe nicht länger so fortdauern. Die Wahrheit war, daß Fontan die Lerat hinausgeworfen und ihr verboten hatte, sich in seinem Hause sehen zu lassen. Wenn er kam, mußte sie durch die Küche flüchten, und das demütigte sie furchtbar. Sie wurde darum auch nicht müde, über diesen abscheulichen Menschen zu schimpfen. Sie warf ihm hauptsächlich vor, daß er keine Erziehung genossen und mit anständigen Frauen nicht umgehen könne.

Oh, das sieht man gleich, sagte sie zu Nana, er hat nicht das geringste Schicklichkeitsgefühl. Seine Mutter muß ein gemeines Weib sein. Widersprich mir nicht. Ich spreche nicht meinethalben so, obgleich eine Person meines[288] Alters Anspruch auf Achtung hat. Aber, wie fängst du es an, seine widerwärtigen Manieren zu ertragen? Ohne mir zu schmeicheln, ich habe dir stets die besten Lehren erteilt, denn wir waren anständige Leute, unsere ganze Familie, Gott sei Dank.

Nana erwiderte nicht und senkte schweigend den Kopf.

Früher, so fuhr die Tante fort, hattest du nur mit vornehmen Personen Bekanntschaft ... Ich habe erst gestern wieder mit Zoé darüber gesprochen. Auch sie begreift dich nicht. Wie? sagte sie, Madame, der der Herr Graf, ein so vornehmer Mann, auf einen Wink der Augen oder Finger gehorchte – Madame läßt sich von einem Possenreißer hinmorden? Ich erwiderte ihr, die Schläge seien noch erträglich, den Mangel an Schicklichkeitsgefühl aber könne ich nimmer ertragen ... Es ist nichts an ihm; ein häßlicher Kerl, dessen Porträt ich sicher nicht als Zierde in meinem Zimmer haben möchte. Und für einen solchen Vogel ruinierst du dich! ... Jawohl, du ruinierst dich. Du leidest Not, während reiche vornehme Herren, Mitglieder der Regierung, darnach streben, dich glücklich zu machen. Schlimm genug, daß ich dir alles dies erst sagen muß. Aber bei der ersten Schweinerei müßtest du ihn im Stiche lassen und ihm in dem stolzen Tone, der dir eigen ist und ihm sicherlich imponieren würde, zurufen: Mein Herr, für wen halten Sie mich?

Ach, Tante, ich liebe ihn.

Die Wahrheit war die, daß Madame Lerat seit einiger Zeit mit Besorgnis sah, wie ihre Nichte ihr nur mit vieler Mühe von Zeit zu Zeit ein Zwanzigsousstück geben konnte, um die Pension für den kleinen Louis zu bezahlen. Sie war ohne Zweifel bereit, sich zu opfern, das Kind bei sich zu behalten und bessere Zeiten abzuwarten, aber der Gedanke, daß Fontan sie hinderte, sie, den Knaben und dessen[289] Mutter, im Golde zu schwimmen, dieser Gedanke brachte sie dermaßen in Wut, daß sie die Macht der Liebe leugnete. Sie schloß daher mit folgenden Worten:

Hör mich an. Es wird der Tag kommen, an dem Fontan dir die Haut über die Ohren zieht; dann wirst du weinend an meine Tür pochen, und ich werde dich einlassen.

Nana befand sich in immer ärgeren Geldverlegenheiten. Fontan hatte die siebentausend Franken verschwinden lassen. Das Geld befand sich gewiß an einem sicheren Orte und sie wagte nicht, ihn darüber zu befragen; sie schämte sich vor diesem Vogel, wie die Lerat ihn nannte. Sie zitterte bei dem Gedanken, daß er glauben könne, sie harre nur wegen seiner paar Groschen bei ihm aus. Er hatte versprochen, zu den Bedürfnissen des Haushaltes beizutragen. Anfangs gab er jeden Morgen drei Franken her. Da trat er aber mit Forderungen auf. Für seine drei Franken wollte er alles haben: Butter, Fleisch, Früchte, kurz: was gut und teuer war. Wenn sie sich darüber eine Bemerkung erlaubte, daß man für drei Franken doch nicht den ganzen Markt zusammenkaufen könne, wurde er wütend, schimpfte sie ein nichtsnutziges Ding, eine Verschwenderin, ein dummes Vieh, das sich von den Händlern bestehlen lasse; überdies drohte er jeden Augenblick, sich anderwärts zu beköstigen. Nach Verlauf eines Monats vergaß er manchen Tag, die drei Franken auf den Tisch zu legen. Sie erlaubte sich, das Geld schüchtern zu verlangen; dann gab es solche Streitigkeiten, machte er ihr unter dem ersten besten Vorwande das Leben so sauer, daß sie es vorzog, auf ihn nicht mehr zu zählen. Wenn er kein Geld zu Hause gelassen und dennoch ein gutes Essen antraf, war er die Lustigkeit selbst, galant und zärtlich gegen Nana. Es kam so weit, daß sie glücklich war, wenn er kein Geld zu Hause ließ, obgleich es ihr hart genug ankam, das Haus beisammen zu halten.[290] Eines Tages gab sie ihm seine drei Franken zurück und sagte, sie habe noch das Geld von gestern. Er stutzte eine Weile, da er ihr doch auch gestern nichts gegeben hatte. Doch sie sah ihn mit ihren verliebten Augen an und küßte ihn zärtlich; da steckte er denn seine drei Franken wieder ein mit dem nervösen Zittern eines Geizhalses, der eine Summe, die er schon verloren gegeben, wieder erwischt hatte. Von diesem Tage an kümmerte er sich um nichts mehr. Er fragte nicht, woher das Geld komme, sondern schmollte, wenn er nichts als Kartoffeln vorgesetzt bekam und war lustig, wenn er ein gutes Essen vorfand. Dieser Stand der Dinge hinderte ihn nicht, ihr von Zeit zu Zeit Maulschellen zu versetzen; es geschah, um nicht aus der Übung zu kommen.

Nana hatte also die Mittel gefunden, dem Hausbedarf gerecht zu werden. An manchen Tagen herrschte ein wahrer Überfluß im Hause und Bosc holte sich zweimal wöchentlich einen verdorbenen Magen. Eines Abends bemerkte die Lerat im Weggehen, daß in der Küche ein reichliches Essen vorbereitet werde. Sie war wütend darüber, daß sie davon nichts essen dürfe, und fragte ihre Nichte schonungslos, wer denn all das bezahle? Nana, überrascht von dieser Frage, schwieg zuerst und begann dann zu weinen.

So, das ist sauber, sagte die Tante, die begriffen hatte.

Nana hatte sich ergeben, um Frieden im Hause zu haben. Es war übrigens die Schuld der Tricon, der sie in der Laval-Straße begegnet war, eines Tages, als Fontan wegen einer Schüssel Möhren wütend von Hause wegging. Die Tricon befand sich eben auf der Suche, und Nana sagte zu; da Fontan nie vor sechs Uhr kam, hatte sie ihren Nachmittag frei und brachte bald vierzig, bald sechzig Franken heim, zuweilen auch mehr. Sie hätte zehn und fünfzehn Louis haben können, hätte sie die Lage auszunutzen gewußt;[291] allein sie war zufrieden, wenn sie nur die Mittel erwarb, um die Bedürfnisse des Haushaltes zu decken. Am Abend vergaß sie dann alles, wenn Bosc genug zu fressen hatte, und Fontan, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, sich von ihr gnädig die Augen küssen ließ mit der überlegenen Miene eines Mannes, der um seiner selbst willen geliebt wird.

Indem sie also ihren Geliebten, ihr geliebtes Hündchen anbetete, mit umso blinderer Leidenschaft, als sie selbst die Kosten bezahlte, sank Nana wieder in den Schmutz ihrer Anfangszeit. Sie stieg wieder in die Straßen hinab wie zur Zeit, da sie als Backfisch mit ihren schlechten Schuhen das Pflaster trat auf der Suche nach einem Hundertsousstück. An einem Sonntagsmorgen begegnete sie Satin auf dem La Rochefoucauldmarkte. Sie stürzte sich wütend auf sie und machte ihr heftige Vorwürfe wegen der Madame Robert. Doch schlossen sie bald Frieden. Satin sagte ganz ruhig. Wenn man eine Sache nicht möge, sei das noch kein Grund, sie den andern verleiden zu wollen. Und Nana, die nicht begriffstützig war und dem philosophischen Gedanken huldigte, daß man nicht wissen könne, wie man endige, verzieh ihr. Da ihre Neugierde einmal erwacht war, befragte sie Satin sogar über gewisse Irrwege des Lasters, höchlich erstaunt, daß sie in ihrem Alter nach allem, was sie wußte, noch neues lernen könne. Und sie lachte, brach in Rufe des Erstaunens aus und fand die Geschichte drollig, obgleich ihr Geschmack sich dagegen sträubte; denn im Grunde war sie in allen Dingen, die gegen ihre Gewohnheiten gingen, von sehr bürgerlicher Natur. So kam es, daß Nana wieder zu Laura kam, um da zu essen, sooft Fontan in der Stadt speiste. Ohne sich im Essen zu stören, amüsierte sie sich über die Geschichten, Liebschaften und Eifersuchtsszenen dieser weiblichen Gäste. Doch versicherte sie,[292] daß sie durchaus keinen Geschmack finde. Die dicke Laura in ihrer mütterlichen Zärtlichkeit lud sie öfter ein, sie möge einige Tage in ihrer Villa zu Asnières zubringen, wo es Zimmer für sieben Damen gebe. Sie wies das Anerbieten zurück, denn sie hatte Furcht. Doch als ihr Satin beteuerte, daß dort nur feine Pariser Herren hinkommen und daß es Schaukel- und Tonnenspiel gebe, sagte sie für eine spätere Zeit zu.

Nana war um diese Zeit fortwährend bedrängt; sie brauchte Geld. Wenn die Tricon sie nicht rief, was nur zu oft geschah, wußte sie mit ihrem Körper nichts anzufangen. Dann begannen die hartnäckigen, langen Spaziergänge in Gesellschaft Satins durch alle schmutzigen Gäßchen unter dem trüben Gaslichte. Nana suchte die vorstädtischen Schenken wieder auf, wo sie ihre lasterhafte Laufbahn begonnen hatte; sie sah die dunklen Winkel der äußeren Boulevards wieder, die Ecksteine, auf denen sie schon mit fünfzehn Jahren von Männern umarmt worden zur Zeit, da ihr Vater sie mit Fußtritten nach Hause expedierte. Sie erschien mit Satin in allen Kaffeehäusern, auf allen Tanzunterhaltungen der entlegenen Stadtviertel; oder sie gingen langsam Straße auf, Straße ab, und stellten sich zuweilen vor den Haustoren auf die Lauer. Satin, die im Lateinviertel angefangen hatte, führte Nana dorthin, zu Bullier und in allerlei Wirtshäuser des Boulevards Saint-Michel. Doch es kamen die Schulferien, und das Stadtviertel leerte sich rasch. Sie kehrten dann wieder auf die großen Boulevards zurück; da hatten sie noch immer die besten Aussichten. So durchstreiften sie die ganze Stadt von den Höhen des Montmartre bis in die Niederungen des Observatoriums, an Abenden, wo es regnete und sie bis zu den Knöcheln im Moraste wateten, und an Abenden, da es so heiß war, daß die Kleider ihnen am Leibe klebten; da gab[293] es endlose Promenaden; sie wurden geschoben und gestoßen, hatten Zank und Streit, führten zuweilen einen Vorübergehenden in ein unsauberes Zim mer, das sie dann unzufrieden, fluchend verließen.

Der Sommer ging zu Ende, ein Sommer, reich an Gewittern und schwülen Nächten. Nach dem Essen, gegen neun Uhr, traten sie gewöhnlich ihren Marsch an. Auf den Fußsteigen der Liebfrauenstraße zogen endlose Reihen von Mädchen dahin, die alle sehr geschäftig mit aufgeschürzten Röcken den Boulevards zueilten. Es war die hungrige Schar des Bredaviertels, die mit der Abenddämmerung auf Beute auszog. Nana und Satin gingen immer die Kirche entlang durch die Le Peletier-Straße. Hundert Schritte vom Café Reich ließen sie, sobald sie sich dem Schauplatz ihrer Manöver näherten, die Schleppe ihrer Kleider fallen, die sie bisher in der Hand getragen, und nun ging der Marsch durch Staub und Dreck; vor den Kaffeehäusern wurde der Schritt noch verlangsamt. Da befanden sie sich in ihrem Elemente. Sie trugen die Köpfe hoch, plauderten mit lautem Gelächter und blickten von Zeit zu Zeit auf die Herren zurück, die ihnen folgten. Die Heiterkeit hielt bis elf Uhr an und wurde nur hie und da durch ein »Schmutziges Vieh« unterbrochen, das sie einem Unglücklichen an den Kopf warfen, der so ungeschickt war, sie zu stoßen oder ihnen auf die Fersen zu treten. Zuweilen ließen sie sich an dem Tische eines Kaffeehauses nieder, tauschten mit den Kellnern vertrauliche Grüße aus und nahmen von dem ersten besten eine Erfrischung an, was ihnen dann Gelegenheit bot, sich niederzulassen und den Schluß der Theater abzuwarten. Doch wenn die Nachtzeit vorrückte und sie nicht einen oder zwei Abstecher nach der La Rouchefoucald-Straße gemacht hatten, wurde die Jagd erbittert. Im Dunkel der Bäume der leeren Boulevards spielten sich häßliche Szenen ab; man[294] feilschte mit den Männern, derbe Worte und harte Püffe fielen, während ehrbare Familien, Vater, Mutter und Töchter, an derlei Begegnungen gewöhnt, ruhig vorbeizogen. Wenn sie dann zehnmal den Weg von der Oper bis zum Schultheater gemacht hatten und die Männer immer seltener wurden, stellten Nana und Satin sich auf den Boulevard der Vorstadt Montmartre-Straße auf. Hier waren bis zwei Uhr nachts Restaurants, Schenken und Speisehäuser offen und beleuchtet; vor den Kaffeehäusern drängten sich die Frauenzimmer. Es war dies der letzte beleuchtete und lebendige Winkel des nächtlichen Paris, der letzte offene Markt für den Handel auf eine Nacht, wo das Geschäft unter den Gruppen laut und ungeniert abgemacht wurde. So ging es von einem Ende der Straße bis zum andern wie in dem offenen Flur eines öffentlichen Hauses. Und an Abenden, wo sie leer heimkehrten, zankten sie miteinander. Die Liebfrauenstraße streckte sich lang und öde dahin; nur hie und da sah man den Schatten eines Frauenzimmers dahingleiten. Es war die späte Heimkehr des Viertels; arme Mädchen, verzweifelt über eine Nacht ohne Erwerb, zankten mit rauher Stimme mit irgendeinem verspäteten Trunkenbolde, den sie an einer Straßenecke anhielten.

Doch kamen auch ergiebigere Abende. Nicht selten erhaschten sie Louisdors von feineren Herren, die ihre Ordensabzeichen in die Tasche steckend, mit ihnen gingen. Satin hatte für diese Gattung eine feine Spürnase. An regnerischen Abenden, wenn Paris feucht und fad war, suchten diese Herren, wie sie wußte, die dunklen Winkel der Stadt auf. Und sie spürte den am besten gekleideten nach; sie erkannte das an ihren matten Blicken. Eine wahre Wut nach fleischlichem Genuß schien an solchen Abenden über die Stadt zu kommen. Wohl fürchtete sie diese Klasse ein wenig, denn die nobelsten Herren waren die ekelhaftesten.[295] Der Lack war bald abgestreift, und es kam das wilde Tier zum Vorschein mit abscheulichen Gelüsten und einer Verfeinerung des Lasters. Satin hatte auch gar keine Achtung vor den Herren, die im Wagen daherkamen; sie sagte, ihre Kutscher seien anständiger, weil sie die Weiber nicht mit Gedanken von der andern Welt umbringen. Die Verworfenheit der vornehmen Herren überraschte Nana, die noch gewisse Vorurteile hatte, von denen Satin sie befreite. Es gibt also keine Tugend mehr, pflegte sie in ernsteren Augenblicken zu sagen; von oben bis hinunter wälzt sich alles im Kote. Es müsse sauber zugehen in Paris von neun Uhr abends bis drei Uhr morgens; es sei ein erbaulicher Anblick, wenn man alle Häuser abdecken könne. Die kleinen Leute wälzten sich in den Lüsten bis über die Ohren, und gar viele Große steckten mit der Nase im Schmutz, noch tiefer als die andern. Dies vervollständigte Nanas Erziehung.

Als sie eines Abends kam, um Satin abzuholen, erkannte sie den Marquis Chouard, der mit kreidebleichem Gesicht und schlotternden Beinen die Treppe herabstieg, wobei er sich an dem Geländer festhielt. Sie hielt das Taschentuch vor die Nase, um nicht erkannt zu werden. Oben fand sie Satin in einer unbeschreiblichen Unordnung und fürchterlichem Schmutz; das Zimmer war seit acht Tagen nicht aufgeräumt worden; das Bett war schmutzig und in Unordnung; der Boden war bedeckt mit Weiberröcken, Töpfen und allerlei Gerümpel. Nana äußerte sich verwundert darüber, das Satin den Marquis kenne. Ach ja; sie kannte ihn; er war ihr oft genug lästig gewesen, zur Zeit, da sie noch das Verhältnis mit dem Pastetenbäcker hatte. Jetzt komme er von Zeit zu Zeit, doch sei er unerträglich; er beschnüffle alle schmutzigen Winkel, selbst ihre Pantoffel nicht ausgenommen.[296]

Jawohl, meine Liebe, selbst meine Pantoffel ... Oh, das ist ein alter Schweinekerl. Der verlangt Dinge von mir ...

Was Nana hauptsächlich beunruhigte, war die Aufrichtigkeit, mit welcher Satin diese niederen Ausschweifungen eingestand. Sie erinnerte sich ihres lustigen Lebens zu jener Zeit, da sie eine vornehme galante Dame war, während sie die Dirnen rings um sich her täglich dabei zugrunde gehen sah. Auch flößte ihr Satin eine heillose Furcht vor der Polizei ein. Sie war unerschöpflich in Geschichten über diesen Gegenstand. Früher hatte sie ein Verhältnis mit einem Agenten der Sittenpolizei, um von dieser Seite Ruhe zu haben; zweimal hatte er sie davor gerettet, ergriffen zu werden. Jetzt lebte sie in fortwährender Angst; denn wenn sie noch einmal erwischt würde, wäre sie verloren. Um eine Belohnung zu erhalten, fangen die Agenten so viel Frauen wie möglich zusammen; wenn die Ärmsten schreien, bekommen sie Ohrfeigen; die Agenten wissen, daß die Polizei sie unterstützt und belohnt, selbst wenn sie unter der Menge von ungefähr eine rechtschaffene Frau abfassen. Zur Sommerszeit besetzen ihrer zwölf bis fünfzehn die Boulevards und fangen an einem Abend bis dreißig Mädchen zusammen. Allein Satin kannte schon die Plätze genau; sobald sie nur die Nasenspitze eines Agenten erblickte, verschwand sie unter der Menge. Es herrschte eine solche Angst vor dem Gesetz, ein solcher Schrecken vor der Polizeipräfektur, daß manche dieser Mädchen wie gelähmt vor den Türen der Kaffeehäuser stehen blieben. Noch mehr fürchtete Satin die Anzeigen. Ihr Pastetenhändler war gemein genug, ihr, als sie ihn verließ, zu drohen, daß er sie angeben werde. Jawohl, es gibt Männer, die mit dieser Drohung ihre Mädchen zwingen, sie auszuhalten. Dann Weiber, die aus Neid gleich bereit sind, jede, die ein hübscheres Gesicht hat, anzuzeigen. Nana vernahm diese Dinge mit wachsendem[297] Entsetzen. Sie hatte immer vor dem Gesetz gezittert, vor dieser unbekannten Macht, dieser Rache der Männer, die sie vernichten konnte, ohne daß jemand in der Welt sie zu schützen vermochte. Saint-Lazare schwebte ihr vor wie eine Grube, wie ein finsteres Loch, in das die Frauen lebendig hineingeworfen werden, nachdem man ihnen die Haare abgeschnitten.

Sie sagte sich wohl, daß sie nur von Fontan zu lassen brauche, um Beschützer zu finden; vergebens sagte ihr Satin, daß die Agenten der Sittenpolizei eine Liste von Frauen und deren Photographien mit sich führen, und daß sie diese Frauen nicht berühren dürfen. Sie zitterte dennoch vor der Polizei; sie sah sich fortwährend bei den Haaren fortgeschleppt, am folgenden Tage zum Verhör gebracht und untersucht. Besonders die Untersuchung flößte ihr eine furchtbare Angst ein, ihr, die hundertmal ihr Hemd in die Luft geschleudert hatte.

An einem Septemberabend, als sie mit Satin auf dem Fischer-Boulevard umherspazierte, begann Satin plötzlich zu laufen, indem sie ihr zurief:

Die Polizeiagenten, fort, fort ...

Eine tolle Flucht entstand in der Menge; die Röcke flogen, manche wurden zerrissen. Da gab es Stöße und Geschrei. Ein Weib fiel zu Boden. Die Menge schaute mit rohem Gelächter zu, wie die Polizeiagenten den Ring enger schlossen. Inzwischen hatte Nana Satin aus den Augen verloren. Sie bebte am ganzen Körper und lief Gefahr, verhaftet zu werden. Da näherte sich ihr ein Mann, nahm sie unter den Arm und führte sie von den Augen der wütenden Polizisten weg. Es war Prulliére, der sie mitten in dieser Jagd erkannt hatte. Ohne ein Wort zu reden, bog er mit ihr in die Rougemont-Straße ein, die um jene Stunde ganz verlassen war. Sie war bleich und atemlos vor Schreck; er[298] mußte sie stützen, damit sie sich ein wenig erholen konnte. Sie hatte nicht einmal so viel Fassung, um ihm zu danken.

Du mußt dich erholen, sagte er. Komm zu mir hinauf.

Er wohnte nicht weit davon in der Hirtenstraße. Sie weigerte sich entschieden.

Ich will nicht, war ihre Antwort.

Da wurde er keck.

Mit aller Welt ja, mit mir nicht? sagte er. Warum denn nicht?

Ich mag einmal nicht.

Damit meinte sie, alles gesagt zu haben. Sie liebte Fontan zu sehr, um ihn mit einem Freunde zu betrügen. Die anderen zählen nicht, da sie kein Vergnügen dabei hatte und es nur aus Not tat. Angesichts eines solchen Eigensinns beging Prulliére eine Feigheit; er war eben verletzt in einer Eigenliebe eines hübschen Mannes.

Wie du willst, meine Liebe. Aber ich gehe nicht mit dir. Ziehe dich aus der Patsche, wie du kannst.

Und er verließ sie. Sie wurde wieder vom Entsetzen ergriffen und machte einen weiten Umweg, um nach Hause zu gelangen. Sie lief längs der Häuserreihen fort und erbleichte, wenn ein Mann sich näherte.

Am folgenden Tage begegnete noch unter dem Eindrucke der Schrecknisse des gestrigen Tages Nana, die sich zu ihrer Tante begab, Labordette in einem einsamen Gäßchen zu Batignolles. Anfangs waren beide in Verlegenheit. Labordette faßte sich zuerst; er freute sich über die Begegnung. Alle Bekannten seien noch immer verblüfft über Nanas Verschwinden. Man sehne sich nach ihr; die alten Freunde würden sie gerne wiedersehen. Schließlich nahm er einen väterlichen Ton an und hielt ihr eine Moralpredigt.

Offen gestanden, was du treibst, ist schon dumm. Man begreift eine Liebestorheit, aber dermaßen vernarrt zu sein[299] und dafür nichts als Ohrfeigen einzustecken ... Bewirbst du dich etwa um den Tugendpreis?

Sie hörte ihn mit verwirrter Miene an. Als er ihr aber von Rosa erzählte, die mit der Eroberung Muffats triumphierte, blitzte es plötzlich in ihren Augen auf.

Ach, wenn ich wollte ... murmelte sie.

Als guter Freund bot er ihr seine Vermittlung an; doch sie lehnte ab. Dann versuchte er, sie an einem anderen Punkte zu fassen. Er erzählte ihr, daß Bordenave ein neues Stück von Fauchery studieren lasse, wo es für sie eine prächtige Rolle gebe.

Wie? ein Stück, in dem es eine Rolle für mich gibt? rief sie. Aber ... er ist ja in dem Stück beschäftigt und hat mir nichts davon gesagt.

Sie vermied es, Fontans Namen auszusprechen. Auch beruhigte sie sich bald. Sie werde nie wieder zum Theater gehen, meinte sie.

Labordette schien nicht überzeugt zu sein, denn er lächelte und drang weiter in sie.

Du weißt, daß du bei mir nichts zu befürchten hast. Ich werde Muffat vorbereiten, du kehrst zum Theater zurück, und der Graf kommt dir auf allen vieren gekrochen.

Nein! sagte sie energisch.

Damit verließ sie ihn. Ihre Selbstlosigkeit setzte sie selbst in Erstaunen. Ein nichtsnutziger Mann würde sich schwerlich in dieser Weise aufgeopfert haben, ohne es an die große Glocke zu hängen. Ein Umstand fiel ihr auf: Labordette gab ihr dieselben Ratschläge wie Francis ... Als Fontan am Abend nach Hause kam, befragte sie ihn wegen des neuen Stückes. Er war seit zwei Monaten wieder Mitglied des Varietétheaters; warum hat er ihr von dieser Rolle nichts gesagt?

Welche Rolle? schrie er sie an. Doch nicht die Rolle[300] der großen Dame, die darin vorkommt? ... Glaubst du denn gar, daß du Talent hast? Die Rolle würde dich ja zu Boden drücken ... Du bist komisch.

Sie war furchtbar verletzt. Den ganzen Abend verhöhnte er sie, indem er sie Madamoiselle Mars nannte. Je mehr er auf ihr herumtrat, desto ergebener war sie; es war ihr eine Wollust, das Leid ihrer Selbstlosigkeit durchzukosten, die sie in ihren eigenen Augen sehr groß und sehr verliebt erscheinen ließ. Seitdem sie sich mit anderen Männern abgab, um ihn zu erhalten, liebte sie ihn noch mehr. Er wurde ihr Laster, das sie sich bezahlte, ihr Bedürfnis, das sie nicht missen konnte, trotz aller Ohrfeigen. Fontan trieb schließlich Mißbrauch mit ihrer Gutmütigkeit.

Sie machte ihn nervös; er hatte einen wilden Haß gegen sie gefaßt, so sehr, daß er nicht mehr seine Interessen wahrnehmen wollte. Wenn Bosc ihm Vorstellungen machte, begann er zu schreien und zu wüten, ohne daß man wußte, weshalb: er kümmere sich nicht um sie, noch um ihre guten Essen; er werde sie hinauswerfen, um seine siebentausend Franken einer anderen zu geben.

Und so endete in der Tat ihr Verhältnis.

Als eines Abends Nana gegen elf Uhr nach Hause kam, fand sie die Türe ihrer Wohnung verriegelt. Sie klopfte an: keine Antwort. Sie klopfte noch einmal an: keine Antwort. Und doch sah sie unter der Türe einen Lichtstreif und hörte Fontan im Zimmer umhergehen. Sie klopfte nun länger an und verlangte wütend Einlaß. Endlich hörte sie Fontans Stimme.

Schmarrn! sagte er.

Sie pochte nun mit beiden Fäusten:

Schmarrn!

Sie pochte noch stärker, daß die Tür fast aus den Fugen ging.[301]

Schmarrn!

Und eine Viertelstunde hindurch erhielt sie auf ihr Pochen nur diese schändliche Antwort. Dann aber, als er sah, daß sie nicht müde werde zu pochen, öffnete er plötzlich die Türe, erschien mit gekreuzten Armen auf der Schwelle und rief mit brutaler Stimme:

Werden Sie endlich aufhören? ... Was wollen Sie denn? ... Gehen Sie und lassen Sie uns schlafen! Sie sehen doch, daß ich Gesellschaft habe.

Er war in der Tat nicht allein. Nana sah die kleine Schauspielerin vom Possen-Theater mit dem Flachshaar und den Bohrlöcheraugen. Sie war bereits im Hemde und machte sich inmitten der Einrichtung breit, die Nana bezahlt hatte. Doch Fontan tat einen Schritt auf den Korridor hinaus, spreizte seine langen, knochigen Finger auseinander und sagte:

Mach, daß du fortkommst oder ich erwürge dich!

Da brach Nana in ein nervöses Schluchzen aus. Sie fürchtete sich und entfloh. Diesmal war sie es, die hinausgeworfen wurde. In ihrer Wut erinnerte sie sich plötzlich an Muffat; aber sicher sollte nicht Fontan ihr vergelten, was sie dem Grafen getan.

Auf der Straße war ihr erster Gedanke, bei Satin zu übernachten, wenn diese niemanden bei sich habe. Sie traf Satin vor dem Hause, in dem sie gewohnt hatte; der Hausherr hatte auch sie auf die Straße geworfen und gegen alles Recht ein Quereisen an ihre Türe legen lassen, da sie doch ihre eigene Einrichtung hatte. Sie fluchte und schrie, sie werde ihn zur Polizei rufen lassen. Indes mußte sie, da es zwölf Uhr schlug, an ein Nachtlager denken. Und Satin, die es schließlich besser fand, die Schutzleute in ihre häuslichen Angelegenheiten nicht einzuweihen, führte Nana nach der Laval-Straße, zu einer Dame, die ein kleines möbliertes[302] Haus hielt. Man öffnete ihnen im zweiten Stockwerk ein schmales Zimmerchen, dessen Fenster auf den Hof ging.

Satin bemerkte wiederholt:

Ich wäre wohl zu Madame Robert gegangen, wo es für mich immer Platz gibt ... Doch mit dir kann ich nicht ... Sie wird lächerlich eifersüchtig ... Neulich hat sie mich geprügelt.

Als sie sich eingeschlossen hatten, brach Nana von neuem in Tränen aus und erzählte zum zwanzigsten Male die Niedertracht Fontans. Satin hörte sie teilnahmsvoll an, tröstete sie, war noch mehr entrüstet als sie selbst und schimpfte auf die Männer.

Oh, diese Schweine, diese Schweine! Siehst du, ich mag diese Schweine nicht mehr ...

Sie war Nana beim Auskleiden behilflich und zeigte sich als zuvorkommende und ergebene Zofe. Sie wiederholte schelmisch:

Gehen wir rasch schlafen, mein Kätzchen. Im Bett wird's besser sein ... Ach wie dumm von dir, daß du dir Kummer machst ... Ich sage dir, das sind Schweinekerle. Denke nicht mehr an sie ... Siehst du; ich liebe dich wahrhaft ... Weine nicht; tu es mir, deiner lieben Kleinen, zu Liebe.

Im Bett nahm sie sofort Nana in ihre Arme, um sie zu besänftigen. Sie wollte von Fontan nicht mehr hören. Sooft sein Name auf Nanas Lippen kam, unterdrückte sie ihn mit einem Kuß, einer Schmollmiene, die ihr allerliebst stand, der kleinen Satin, die mit ihrem aufgelösten Haar in kindlicher Schönheit und voll Zärtlichkeit an der Seite ihrer Freundin lag. In dieser süßen Umschlingung trocknete Nana allmählich ihre Tränen. Sie war gerührt und erwiderte Satins Liebkosungen. Um zwei Uhr nach Mitternacht brannte die Kerze noch; die Mädchen kicherten leise und tauschten Liebesworte aus.[303]

Plötzlich entstand lauter Lärm im Hause. Satin erhob sich, halbnackt wie sie war, und lauschte.

Die Polizei! sagte sie erbleichend. Wir sind geliefert!

Sie hatte oft genug von den nächtlichen Besuchen erzählt, die die Polizei in den Hotels macht; aber gerade diese Nacht, wo sie mit Nana notgedrungen hier Zuflucht suchte, hatte sie auf eine solche Überrumpelung nicht gerechnet. Bei dem Worte »Polizei« verlor Nana den Kopf. Sie sprang aus dem Bette und öffnete das Fenster mit der verstörten Miene einer Wahnsinnigen, die sich hinausstürzen will.

Glücklicherweise war der kleine Hof mit einem Glasdache versehen; draußen lief ein Gitter von geflochtenem Draht ringsumher. Sie zögerte keinen Augenblick, stieg auf das Fensterbrett und verschwand, mit fliegendem Hemde, die nackten Schenkel der Nachtluft aussetzend, draußen im Dunkel der Nacht.

Bleib! rief Satin entsetzt. Du wirst dich töten.

Da wurde an die Türe gepocht. Satin eilte zum Fenster und schloß dasselbe, dann warf sie die Kleider ihrer Freundin in einen Schrein. Sie hatte sich mit dem Schicksal, das ihrer harrte, rasch abgefunden. Wenn ich auf die Liste gesetzt werde – dachte sie – werde ich wenigstens Ruhe haben. Sie begann laut zu gähnen, unterhandelte eine Weile und öffnete dann ruhig die Tür.

Ein langer Mensch mit schmutzigem Barte trat ein.

Zeigen Sie Ihre Hände, sagte er. Ihre Hände sind nicht zerstochen; Sie arbeiten also nichts ... Kommen Sie mit mir.

Ich bin keine Näherin, ich bin Bandfärberin, erklärte Satin schamlos.

Dabei kleidete sie sich ruhig an, denn sie wußte, daß jede Auseinandersetzung unnütz war.[304]

Im Hause wurde lautes Wehgeschrei vernehmbar; ein Mädchen klammerte sich an die Türen und wollte nicht mitgehen. Eine andere, die mit ihrem Geliebten schlief, der sie in Schutz nahm, spielte die entrüstet ehrbare Frau und drohte, dem Polizeipräfekten einen Prozeß anzuhängen. Eine volle Stunde dauerte der Lärm, das Getrappel auf den Treppen, das Geschrei der Weiber. Ein ganzer Trupp Frauenzimmer wurde von drei Agenten fortgeführt, an deren Spitze ein Kommissar stand, ein blondes, sehr höfliches Männchen.

Dann war wieder alles still.

Nana war gerettet; niemand hatte sie verraten. Sie kehrte tastend und vor Kälte zitternd in das Zimmer zurück. Ihre Füße bluteten, zerrissen von dem scharfen Drahtgitter. Sie saß lange am Rande des Bettes und lauschte. Gegen Tagesanbruch schlief sie ein. Um acht Uhr erwachte sie, kleidete sich rasch an und verließ eiligst das Haus. Sie begab sich zu ihrer Tante. Als die Lerat, die eben in Gesellschaft Zoés ihren Milchkaffee nahm, sie in so früher Morgenstunde mit verstörter Miene, nachlässig gekleidet, eintreten sah, erriet sie sofort die Sachlage.

Aha, rief sie, sind wir soweit. Ich sagte dir doch, daß er dir die Haut über die Ohren ziehen werde. Komm nur, du wirst bei mir stets gut aufgenommen sein.

Zoé hatte sich erhoben und sagte respektvollen Tones:

Endlich ist Madame uns wiedergegeben ... Ich erwartete Madame.

Die Lerat wollte, daß Nana vor allem Ludwig sehe. Sie sagte, die Klugheit der Mutter sei für das Kind das größte Glück. Der Kleine, kränklich und blutarm, schlief noch. Nana neigte sich über sein bleiches, krankes Gesicht und schluchzte:

Mein Kind, mein armes Kind.[305]

Alle Torheiten der letzten Zeit tauchten in diesem Augenblicke in ihrer Erinnerung auf und schnürten ihr die Kehle zusammen.

Quelle:
Zola, Emile: Nana. Berlin, Wien 1923, S. 260-306.
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