Sechster Auftritt.

[67] Iduella und Rosamunde von der andern Seite.


IDUELLA.

Eine wunderliche Laune!

Oder was hat dich verstimmt?

Was getrieben, die Gesellschaft

So ganz plötzlich zu verlassen?

ROSAMUNDE.

Kann ich's sagen? Schmerz und Wehmuth, –

Wunderbare Bangigkeit

Hat mich jählings überfallen.

Kaum, nur kaum vermocht' ich, mich

Lauten Weinens zu erwehren.

War's die Allmacht der Musik?

Waren es Erinnerungen,

Die, mit ihren Geisterzungen,[67]

In den Klängen jener Saiten

Da zu meiner Seele sprachen? ...

Aber mir ist wieder wohl,

Und ich athme leicht und heiter.

IDUELLA.

Ja, wie Rosen nach dem Regen,

Wenn, vom Thau der Wolken schwer,

Sie das Köpfchen hangen lassen ...

Zittert da nicht noch ein Tröpfchen

Thränenthau dir in den Wimpern?

Nicht doch! fröhlich, liebe Seele!


Ihre Hand nehmend.


Fort, wir müssen uns zerstreun.

Weißt Du keine Neuigkeit?

ROSAMUNDE.

Keine.

IDUELLA.

Aber ich!

ROSAMUNDE.

Die wäre?

IDUELLA forschend.

Daß der schöne Florentiner

Bald aus Padua ... Du wendest

Mir den Rücken zu? Du hörst nicht?

ROSAMUNDE abgewandt.

Nein, ich will nichts von ihm hören.

IDUELLA.

Nicht? Wie sprichst du, Wunderbare?

Nichts von Deinem Retter hören?

ROSAMUNDE.

Weil du meiner spottest, weil du ...[68]

IDUELLA.

Spotten? Nennst du Warnen Spott?

ROSAMUNDE.

Und warum mich ewig warnen?

Ich erkenne deine Liebe, ...

Treue, liebe Iduella, ...

Deine Mühen sind umsonst!

IDUELLA.

Rosamunde, das klingt herbe.

Du, die ich in zarter Kindheit

Oft in meinem Arm gewiegt;

Du, für die ich hundert Nächte,

Hundert schlummerlos durchwachte;

Du, an der selbst deine Mutter

Fester, zärtlicher nicht hing, ...

Alle meine Müh'n umsonst?

ROSAMUNDE sie mit Heftigkeit umarmend.

O, vergib mir, Iduella,

Freundin, Mutter ... o, vergib mir!

Darf ich ... möcht' ich dich denn täuschen?

Sollt' ich selber mich belügen?

Ach, du weißt es! Alles kennst du;

Ich vermag's ja nicht zu ändern.

Quäle meine Seele nicht!

IDUELLA.

Also weihst du eigensinnig

Dich dem bodenlosen Abgrund?

ROSAMUNDE.

Bin ja glücklich, o sehr glücklich![69]

IDUELLA.

Wie ein Trunkner, der im Taumel

An des Abgrunds Rande jauchzt. –

ROSAMUNDE liebkosend.

Laß mich dulden – schweigen hoffen.

IDUELLA.

Hoffen? Armes Kind, was hoffen?

ROSAMUNDE.

Weiß ich's selber?

IDUELLA.

Mit dem Mutterherzen red' ich

Zu der theuern Tochter Herz;

Doch vielleicht ist's allzuspät.

Deine Seele glüht im Fieber

Der gewalt'gen Leidenschaft.

ROSAMUNDE.

Glaub es nicht. O, meine Freundin!

Wie der kalte Spiegel deine

Lieben, frommen Züge, will ich

Deine Lehren in mich fassen.

IDUELLA.

Flodoardo floh verstoßen

Von Toskana zu uns her:

Nichts vom Erbtheil seiner Väter

Folgte dem Verbannten nach.

Er ist arm! – Ich sage arm!

Und ihn nähret nur das Brod,

Was sein Degen ihm verdient.

ROSAMUNDE.

Mindert das des Ritters Werth?[70]

IDUELLA.

Seinen Werth nicht; wohl dein Hoffen!

Wähnst du, daß die edle Tochter

Eins der alten Wahlgeschlechter,

Daß die Nichte, daß die Erbin

Eines Herzogs von Venedig

Ihren Trauring am Altare

Einem armen Kriegsmann ...

ROSAMUNDE.

Frevle nicht an meiner Seele;

Denn sie liebt das Heil'ge rein.

Sprach ich von Altar und Trauring?

Oder gar vom Hochzeitschmucke

Aus ostindischem Gewebe,

Und mit Kanten von Brabant?

Nie sei davon wieder Rede!

Was Geburt und Stand gebieten,

Weiß ich, und verehr' ich schweigend.

Fest nur ruht des Staates Bau

Auf dem Felsengrund der Sitte. – –

Doch im Reich der Seelen scheidet

Nicht des Ranges Machtgebot;

Da thront Gott allein als Vater;

Und die Geister stehn verbrüdert.

Auch von diesem Reich, o Freundin,

Bin ich hier schon Bürgerin.

Still, im heiligsten Gefühle

Lieb' ich, ohne Wünsch' und Ziele.

IDUELLA.

Mir ist schwer, dich zu verstehn;

Hast du selbst dich wohl verstanden?[71]

Doch ... nichts mehr davon ... nur Eins.

Stets vergaß ich eine Frage:

Ist des Ritters tapfre That

Würdig schon vergolten worden?

ROSAMUNDE.

Wer ein solches Heldenleben

In den Kauf für fremdes wirft,

Sage an, wie zahlt man dem?

IDUELLA verlegen.

Keine Zahlung ... aber doch ...

Wenn der Herzog ... selbst wenn du ...

ROSAMUNDE.

Ich? ... Mein Leben ist sein Gut. –

Als er aus dem Kampf in Corfu

Wieder zur Galeere kam,

Und er meine Banden lös'te, ...

Glänzend, wie ein Siegesengel

In der Cherubs-Herrlichkeit

Stand der Retter vor mir da.

Ach, ich wollte Dank ihm stammeln,

Konnt' es nicht ... doch er verstand mich ...

Und im Wahnsinn des Entzückens

Warf ich mich zu seinen Füßen,

Küßt' ich des Erlösers Hand,

Und des Mitleids Thräne glänzte

In des stolzen Siegers Augen.

IDUELLA.

Fast zuviel! Des Anstands Würde ...

Doch, nach so viel Schreckenstagen,

Nach so langen Todesängsten,

Solche plötzliche Errettung, –[72]

Alles das entschuldigt viel!

Glaub' indessen, daß auch jeder

Andere Soldat soviel

Und noch mehr geleistet hätte.

ROSAMUNDE.

Jeder? – O, wie irrst du sündlich!

Warum gab Andrés Doria

Corfu unserm Feind zum Raube?

Warum floh Pesaro nach?

Einzig Flodoardo trennte

Sich verwegen von der Flotte.

Lange kreuzt' er um die Insel

Mit der einzigen Galeere!

Nächtlich setzt' er Boten aus.

Dann, ... im letzten Augenblick,

Als der Zug gefangner Frauen,

Für den Sultan auserwählt,

Schon beim düstern Schein von Fackeln,

Durch das Thor der alten Burg,

Jammernd zum Gestade wankte; –

Alle mit gebundnen Händen,

Janitscharen links und rechts

In den Waffen; Allah brüllend ...

Da nun – jählings, ... welches Schauspiel!

Vor uns gaukelt, hart am Strande,

Eine breite Flammensäule;

Glühnde Wolken wirbeln auf.

Dieser Brand ... es war das Schiff,

Welches gen Konstantinopel

Uns Gefangne tragen sollte.

Todtenstille des Entsetzens[73]

Folgte jetzt. Der Zug hielt an.

Drauf vernahm man fernes Lärmen,

Schreien, Flintenschüsse, Jauchzen.

Und, wie wenn der Sturm von weitem

Durch die Wälder sich daherwälzt,

Wälzte sich die Schlacht heran.

Bald erblickt' ich mir zur Seite

Das Gefecht, der Säbel Wüthen;

Die gebrochnen Reihn der Türken;

Und – mit glühndem Angesicht,

Und mit einem Schwert voll Blutganz ...

Flodoarden über Leichen.

IDUELLA.

Er vollstreckte seine Pflicht.

ROSAMUNDE halblaut, aber mit Nachdruck.

Als er mit den Flammenblicken

Mich im Zug der Frau'n erkannte,

Schrie er laut: Victoria,

Die Erlauchte ist gerettet! –

Meinst du, oder meinst eu nicht;

War dies Alles seine Pflicht?

IDUELLA.

Kind, nichts mehr davon! – Wahrhaftig

Keine Silbe. Jedes Wörtchen

Ist ein Windstoß in die Gluten.

Kehren wir zum Saal zurück;

Oder plaudern And'res; oder,

Willst du lieber, bring' ich dir,

In den Garten die Guitarre.[74]

ROSAMUNDE.

Kannst du doch so gütig sein!

Ja, am liebsten die Guitarre!

Denn der Abend naht sich prachtvoll;

Hier, auf dieser Rasenbank,

Will ich, Liebe, deiner warten.

IDUELLA.

Sinn' indeß auf heitern Sang.


Ab.


ROSAMUNDE nach einer Stille, im Nachdenken.

Sinnen soll ich? – Ewig kann ich sinnen; –

Er nur ist's, den der Gedank' umkreis't.

Er ist fern! ... die flücht'gen Stunden rinnen,

Und das schöne Leben liegt verwais't.

Unbeglückt, o Frühling, bleibt dein Prangen,

Deines Odems Wehn ein Seufzer nur;

Jede Blume schmachtet im Verlangen,

Und im Brautschmuck trauert die Natur.

Fehlt die Sonne ihren goldnen Sphären:

O, so kann des Mondes blasse Pracht,

Kann das Sternenheer uns nicht gewähren,

Als – das dunkle Schauspiel einer Nacht!


Quelle:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Band 15, Aarau 1865, S. 67-75.
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