Vierter Auftritt.

[97] Die Vorigen und Dandolo mit einem Papier in der Hand.


DOGE.

Ha, Freund Dandolo! willkommen!

Seht, wie finster ist sein Gruß.

Keine schwarze Wetterwolke,

Welche Hagelschauer trägt,

Wie sie stumm von ferne steht,

Droht so düster. – Nun, was gibt es?

DANDOLO.

Wie Ihr's saget: Hagelschauer.

CANARI.

Stets der alte Hiobsbote!

DANDOLO.

Ja, ein Hagelschauer ist's,

Der die Sicherheit der Stadt,

Der die Freude jedes Hauses,

Der die Ehre unsrer Namen,

Der den Ruhm der wohlbewährten

Alten Ordnungen des Staats

Niederschlägt, wie dürre Halmen!

DOGE.

Redet, gebt die bittre Neuheit

Uns nicht tropfenweis zu trinken.

DANDOLO.

Gnädiger Herr, ein einz'ger Mann

Spottet unsrer Macht und Vorsicht;

Füllt die Stadt mit Schrecken an.

Er bedroht in offner Fehde[98]

Zehner-Rath und Signoria. –

Abellino ist sein Name.

Urtheilt! eben diese Nacht,

Da die Rotte der Banditen

Ihren Untergang gefunden,

Schlug er furchtlos Aufrufzettel

An die Kirche von St. Marcus,

An das Thor des Arsenals,

Und bei der Rialto-Brücke,

Selbst an Euern Palast an.

CANARI.

Ei, das klingt mir fast, als spiele

Satan bei uns Karneval.

DANDOLO.

Wollt Ihr's, gnäd'ger Herr, gestatten,

Les' ich diesen Zettel ab.

DOGE.

Wie's beliebt.

DANDOLO lesend.

»Venetianer!

Leider sah die letzte Nacht

Unsre tapfern Bravo's Alle

Zu der Seufzerbrücke wandeln.

Alle starben heldenmüthig

Durch die Rache unsrer Feinde.

Darum aber zage Niemand.

Einer lebt noch, der bin Ich!

Wer mich anruft, soll mich finden;

Wer mich haschen will – den Dolch.

Kommt! – Ich sehne mich, die Schatten

Meiner Brüder in dem Blute[99]

Der Tyrannen zu versöhnen.

Mög' es Dog' und Signoria,

Zehner-Rath und Jeder wissen;

Keinen fürcht' ich.

Abellino.«

DOGE nach einiger Stille.

Ist der Blutmensch Abellino

Keinem Irrenhaus entlaufen:

So äfft uns durch ihn die Hölle.

Er, der gestern noch es wagte,

Gleichsam unter unsern Augen

Eine Mordthat zu vollbringen, –

Beispielloser Frevelmuth? –

Heute, mitten unter uns,

Ruft der Gaunerkönig höhnend,

Vor dem Angesicht Europa's,

Unsre Ohnmacht aus und Schande.

Tausend biet' ich der Zechinen,

Aus dem eignen Schatze, jedem,

Der das Ungeheuer tödtet.

Dandolo, – Canari, folgt mir,

Die Pregadi sind versammelt.

Euch, Herr Ritter, werd' ich bei mir

An der Tafel heut erwarten.


Mit Dandolo und Canari ab.


FLODOARDO allein.

Eine Handvoll rothen Goldes

Will er um das Wagstück bieten?

Und nicht mehr. – Gibt es nichts Beßres?

Ach, der Welt verwöhnter Sinn

Kennt nichts Edleres, als Gold.[100]

Was dem Menschen die Natur

Als ihr Schönstes angewiesen:

Leben, Liebe, Ruhm und Tugend ...

Alles wiegt – ein Goldstück auf.


Quelle:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Band 15, Aarau 1865, S. 97-101.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Das kanonische Liederbuch der Chinesen entstand in seiner heutigen Textfassung in der Zeit zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Victor von Strauß.

298 Seiten, 15.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon