Erster Auftritt.

[181] Der Doge schläft in einem Lehnsessel.


ROSAMUNDE fächelt ihn mit der Hand, beugt sich beobachtend über ihn und entfernt sich wieder leise.

Ihm ist wohl! – Er schlummert süß.

Du, sein unsichtbarer Engel,

Kühl' im Traume ihm die Schläfen

Mit dem weichsten Veilchenkranz!

Ach, das harte, rauhe Leben

Flicht für ihn nur Dornenkronen.


Welche Nacht der finstern Schrecken

Mußte dieser Vielgeprüfte

Heute abermals bestehn!

Wer mag sein Entsetzen denken,

Als er, aus dem Schlaf gerissen,

Um sein Bett die Trauerboten

Mit erbleichten Wangen sah,

Und von schreckgelähmten Zungen

Dandolo's Ermordung hörte; –

Als er selber durch die Nacht

Zum Palast des Freundes flog,[181]

Und die blutbedeckten Hallen, –

Aber keinen Leichnam fand!


Sie geht zum Schlafenden, fächelt ihn und entfernt sich wieder.


Was will diese Zeit gebären?

Ungewohntes kündet sich.

Was soll jener Ernst verkünden

In den Mienen aller Menschen?

Was die wunderbare Stille,

Wie vor schweren Hochgewittern,

In der lebensreichen Stadt? –


Längs den Mauern, stumm wie Schatten,

Zieh'n die Leute durch die Gassen.

Jeder horcht und keiner spricht;

Und auf allen Gondeln schweigen

Zitherspiel und Rudersang.


Warum will mir Niemand sagen,

Wer dies stumme Graun gebot?

Leichter ist die Noth zu tragen,

Die man trägt, als welche droht.


Indem sie den Dogen wieder fächelt, erwacht er.


Du hier, meine Rosamunde?

Dieser Schlaf hat mich erquickt.

Könntest du doch, gleich den Mücken,

Auch die Sorgen weiter schicken.


Nein, auch das nicht! Du, noch gestern,

Selbst die schwerste meiner Sorgen,

Bist es heute schon nicht mehr.

Des Geschickes Schläge fallen

Schneller auf mein graues Haupt,[182]

Als im Hagelsturme Schloßen. –

Ein Schmerz will den andern tödten.

ROSAMUNDE.

Ach, wie bin ich doch so arm!

Könnt' ich doch, mit eignem Leben,

Eure hundert Wunden heilen,

Fröhlich böt' ich es dahin.

DOGE mit traurigem Lächeln.

Gäbest du dich, mir zu Liebe,

Auch dem Herzog von Savoyen?

ROSAMUNDE schaudernd.

Wenn es Euer Leiden endet ...

Ja, mein Oheim, ja dem Tode; ...

Und der Herzog ist mein Tod.

DOGE.

Still! Zu andrer Zeit davon!

Ist die Leiche Dandolo's

Noch nicht aufgefunden worden?

ROSAMUNDE.

Niemand weiß darum.

DOGE.

Der Satan

Hält erschrecklich mir sein Wort.

Sage! als du halbgenesen

Von der Ohnmacht warst, im Garten,

Bei der Mordthat Abellino's,

Hast du wirklich, mit Bewußtsein,

Deutlich, seinen Schwur verstanden,

Das er dich zur Braut gewählt?[183]

ROSAMUNDE.

Allerdings.

DOGE vom Lehnstuhl aufspringend.

Der ist im Stande,

Die Verheißung zu erfüllen!

Ja, buchstäblich hält er Wort.

Nun allmälig jagt auch mir

Der Banditenkönig Grausen

Durch die Seele. – Geh, mein Kind.

Geh; laß jetzt mich den Geschäften.

ROSAMUNDE küßt ihm die Hand und entfernt sich.

DOGE allein.

Welche unheilreiche Zeit!

Bin ich noch Venedigs Herzog?

Träum' ich einen schweren Traum?

Meine Nicht', um die ein Fürst

Bei mir wirbt, Banditenbraut?

Ich, das Haupt der Republik,

Bloß noch Schützling eines Gauners?

Dandolo, und du, Canari,

Blutig von mir weggerissen;

Ohne Macht ist das Gesetz,

Euch zu schützen und zu rächen.

Warum stehst du selbst noch länger,

Alter Eichstamm in der Wüste,

Und streckst deine dürren Aeste

Klagend zu den Wolken auf?

Stürz' auch du hinab zum Moder!

Krone, Mark und Wurzel hat[184]

Schon des Himmels Blitz zerrissen;

Und der Sturm dich längst entlaubt!


Quelle:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Band 15, Aarau 1865, S. 181-185.
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