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Der Punsch stand schon auf dem Tisch, da wir ins Zimmer traten. Ein fremder Reisender ging finster und müde auf und ab; es war ein langer, hagerer, alter Mann. Auf den Stühlen umher lag Gepäck, auch bemerkte ich einen Frauenzimmershawl und Strohhut nebst weiblichen Handschuhen.
Als wir tranken, sagte der Fremde zum eintretenden Hausknecht, der das Gepäck holte: »Sagt meiner Gemahlin, wenn sie kommt, ich sei zu Bett. Wir reisen in aller Frühe fort.« –
Ich wollte auch nicht wieder ins kalte Gartenhaus zurück und bestellte mir für die Nacht ein Bett. Der Fremde ging fort. Wir tranken den Punschnapf leer unter allerlei Geschwätz. Das Feuer des Rums erquickte und durchglühte mich. Der Rotrock eilte darauf zu seinem Wagen, und, indem ich ihm hineinhalf, sagte er: »Wir sehen uns noch einmal wieder.« Damit rollte der Wagen weg.
Da ich ins Zimmer zurücktrat, war ein Frauenzimmer darin, welches den Schal, die Handschuhe und den Hut holte. Wie sich die junge Schöne nach mir umdrehte, verlor ich fast alle Besonnenheit. Es war Julie, die erste Geliebte, im Begriff, mit ihrem Gemahl, wie ich nachher erfuhr, eine Lustreise nach Italien zu machen. Sie war nicht minder erschrocken als ich.
»Um Gottes willen, ist es dein Geist, Robert?«
»Julie!« stammelte ich, und alle Wonnen der ersten Liebe wachten wieder auf bei diesem überraschenden Anblick. Ich wollte mich ihr ehrerbietig nahen. Ihre Augen waren voll Tränen, ihre Arme offen. Ich lag weinend an ihrem Busen.[25]
Erst als wir wieder zu uns selbst kamen, bemerkte sie, daß sie halb entkleidet war. »Hier ist nicht mein Zimmer!« sagte sie und warf sich den Schal um. »Komm, Robert, wir haben uns viel zu sagen.«
Sie ging. Ich folgte ihr in ihr Zimmer. »Hier können wir uns einander frei erzählen!« sagte sie, und wir setzten uns aufs Sofa. Nun ward denn erzählt. Ich lebte noch einmal im Fiebertaumel einer alten Liebe, die ich längst erloschen geglaubt hatte. Julie, durch ihren Starosten nicht glücklich, hing mit ehemaliger Seligkeit an mir. Sie war schöner, aufgeblühter als ehemals. Sie fand auch mich schöner, wie sie sagte. – Die Flamme der Leidenschaft wehte von Seele zu Seele in Küssen.
Ein Zauber, den ich unmöglich beschreiben kann, lag in Juliens Worten und Wesen. Alles von ehemals ward wieder hell; die erste Bekanntschaft auf dem Ball am Brauttage ihrer Schwester; die Empfindungen, welche uns damals bewegten, dann unser Wiedersehen im herzoglichen Schloßgarten, dann die Wasserfahrt mit unsern beiderseitigen Eltern, und wie wir im Elysium von Wörlitz Liebe gestanden, Treue schworen. Dann – doch genug: für uns gab es nur Vergangenheit, keine Zukunft.
Plötzlich ging die Tür auf. Der lange, hagere Mann trat herein mit der Frage: »Wer ist noch bei dir, Julie?!«
Wir sprangen erschrocken auf. Der Starost stand eine ganze Weile sprachlos, bleich wie eine Leiche. Dann mit drei Schritten fuhr er auf Julien zu, schlang ihre langen, kastanienbraunen Locken um seine Faust und schleuderte die Winselnde zur Erde und schleppte sie auf dem Boden herum, indem er rief. »Verräterin! Nichtswürdige!«
Ich wollte ihr zu Hilfe eilen. Er stieß mich mit gewaltiger Kraft zurück, daß ich rücklings zu Boden taumelte. Wie ich mich wieder aufraffte, ließ er die Unglückliche fahren und schrie mir zu: »Dich erdrossele ich!« In der Verzweiflung nahm ich ein Messer vom Tische und drohte, es ihm in die Rippen zu[26] stoßen, wenn er nicht schwiege. Aber der Wütende warf sich gegen mich, spannte meinen Hals zwischen seine Hände ein und drückte zu. Ich verlor die Luft. Ich fuhr in der Verzweiflung mit dem Messer nach allen Seiten um mich. Ich stieß es wiederholt gegen ihn. Plötzlich stürzte der Unglückliche nieder. Er hatte das Messer im Herzen.
Julie lag wimmernd am Boden neben ihrem ermordeten Mann. Ich stand da wie eine Bildsäule. »O«, dachte ich, »wäre es doch nur ein Traum, und läge ich erwachend auf dem Sofa meines Gartenhauses. Verflucht sei der Rotrock! Verflucht die Brieftasche! – O meine armen Kinder! O meine geliebte, unglückliche, fromme Fanny! – Nahe an den Schwellen meines häuslichen Paradieses werde ich zurückgeschleudert in eine Hölle, die ich nie kannte! – Ich bin Mörder!«
Der Lärmen im Zimmer hatte die Leute im Hause geweckt. Ich hörte fragen, rufen, gehen. Mir blieb nichts übrig als die Flucht, ehe ich entdeckt ward. Ich ergriff das brennende Licht, um mir zum Hause hinauszuzünden.
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Die Walpurgisnacht
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