Die Mönche

[42] Moines, venus vers nous des horizons gotiques,

Mais dont l'âme, mais dont l'esprit meurt de demain ......

Mes vers vous bâtiront des mystiques autels.

E. V.


Rubens, der Verschwender und Genießer, ist der Genius der flandrischen Lebenslust, aber Lebenslust ist nur das Temperament und noch nicht die Seele Flanderns. Vor ihm waren die ernsten Meister der Klöster, die Primitiven, die van Eyks, Memling, Gerard David, Roger van der Weyden, und nach ihm kam Rembrandt, der ernste Betrachter, der ruhelose Sucher der neuen Werte. Belgien ist nicht nur das heitere Land der Kirmessen, das gesunde sensuelle Volk ist noch nicht die flämische Seele. Grelle Lichter werfen starke Schatten. Jede starkbewußte Vitalität erzeugt ihr Gegenspiel, Absonderung und Askese, gerade die gesundesten, die elementaren Rassen – das Rußland von heute zum Beispiel – haben unter den Starken die Schwachen, unter den Lebensgierigen die Lebensleugner, unter den Bejahenden die Verneinenden. Neben dem aufstrebenden, fruchtbaren Belgien gibt es auch ein abgesondertes und verfallendes. Eine Kunst nur im Sinne Rubens' müßte alle die vereinsamten Städte verschweigen, Brügge, Ypern, Dixmude, durch deren lautlose Straßen die Rabenscharen der Mönche in langen Zügen hasten, in deren Kanälen sich die weißen stummen Schatten der streifenden Nonnen spiegeln. Mitten im Leben sind dort breite Inseln des Traumes, wo die Menschen zurückflüchten vor den Wirklichkeiten. Selbst in den großen belgischen Städten sind wieder solche Absonderungen der Stille, die Beguinagen,[42] jene kleinen Städte in der Stadt, wo sich alternde Frauen und Männer zurückgezogen haben, um klösterlich dem Irdischen zu entsagen. Nirgends ist ebenso wie die Lebenslust auch der katholische Glaube, nirgends ist das Mönchische ernster und stärker ausgeprägt als in Belgien, in demselben Belgien, wo die sinnliche Freude so lärmend und überschwenglich wird. Wieder enthüllt sich hier eine Polarität der Gegensätze: der materialistischen Weltanschauung steht schroff die spirituelle entgegen. Während die gesunden, starken, blühenden Massen das Leben laut und in ewiger Lust nehmen, steht abseits und versprengt eine andere kleine Schar, denen das Leben nur ein Warten zum Tode ist, deren Schweigen ebenso beharrlich ist wie der Jubel der anderen. Überall hat hier ernster Glaube seine schwarzen Wurzeln in der fruchtbaren, kräftigen Erde. Denn Religiosität bleibt immer lebendig in einem Volke, das einmal, und seien auch Jahrhunderte darüber hingegegangen, mit aller Anspannung seiner Kräfte um seinen Glauben gekämpft hat. Ein unterirdisches, geheimnisvoll tätiges Belgien ist dies, leicht dem flüchtigen Blick entfliehend, denn es lebt in Schatten und Schweigen. Von diesem Schweigen aber, von diesem abgekehrten, ernsten Sinn hat die belgische Kunst jene mystische Nahrung empfangen, die den Werken Maeterlincks, den Bildern des Fernand Knopf, des Georges Minne ihre geheimnisvolle Kraft geliehen hat. Auch Verhaeren ist an diesen dunklen Geländen nicht vorbeigegangen. Er hat als Schilderer des belgischen Lebens auch jene Schatten versinkender Vergangenheiten gesehen und seinem ersten Buch »Les Flamandes« im Jahre 1886 ein zweites, »Les Moines«, angereiht. Es ist, als ob er erst beide historischen Stile seiner Heimat hätte erschöpfen müssen, ehe er zu einem eigenen und[43] modernen gelange. Denn dieses Buch bedeutet seine Rückkehr, sein Bekenntnis zur Gotik.

Die Mönche sind für Verhaeren heroische Symbole großer Vergangenheiten. Schon in Kindheitstagen war ihr ernstes Bild seinem Blicke befreundet. Nahe am hellen Haus, wo er seine Jugend verbrachte, war ein Bernhardinerkloster in Bornheim, und oft hatte der Knabe den Vater zur Beichte begleitet, hatte erstaunt, mit kindischer Scheu, in den kühlen Gängen gewartet, zu denen kirchlicher Gesang mit den ernsten Tönen der Orgel majestätisch rauschte. Und mit ungeheurem frommen Schauer hat er bei ihnen an einem seligen Tag die Kommunion empfangen. Seitdem waren sie für ihn in all den gewohnten Wirklichkeiten das Fremde, das Schöne und Übersinnliche geblieben, das Überirdische seiner kindlichen Welt. Als er dann nach Jahren Flandern im Bilde der Gedichte schildern wollte, in all seinen leuchtenden und brennenden Farben, da wollte er auch dieses geheimnisvolle »clairobscure«, diesen ernsten Ton nicht entbehren. Auf drei Wochen zog er sich in das gastliche Kloster von Forges, nahe von Chimay, zurück, nahm teil an allen Zeremonien und Riten der Mönche, die ihm, in der Hoffnung, einen Priester zu gewinnen, vollen Einblick in ihr Leben gewährten. Aber Verhaerens innerliches Verhältnis zum Katholizismus war schon damals kein religiöses mehr, sondern mehr ein ästhetisches, eine dichterische Bewunderung für die edle Romantik des Ritus, eine moralische Pietät für das Vergangene. Drei Wochen blieb er. Dann flüchtete er hinaus, bedrängt von dem schweren Druck der lastenden Mauern, und schuf sich als Erinnerung in Versen das klösterliche Bild.

Auch dieses Buch wollte wohl nur ein malerisches,[44] ein beschreibendes sein. In runden Sonetten waren wie mit Rembrandts Radiernadel die halbdunkeln Ausblicke der Klostergänge festgehalten, die Stunden des Gebetes, das ernste Beisammensein der Mönche, das Schweigen zwischen den frommen Gesängen. Die Abende der Landschaft waren geschildert, ganz in den Bildern des Glaubens, die Sonne im Abendrote flammend wie der Wein im Kelche, die Kirchtürme als leuchtende Kreuze in den schweigsamen Himmel, das Klingen der Vesper, das die rauschenden Ähren ins Knien beugt. Die Poesie der Andacht und Ruhe lebte hier auf, die Harmonie der Orgel, die Schönheit der efeuumkränzten Gänge, das ergreifende Idyll des einsamen Kirchhofes, das leise Sterben des Priors, das trostbringende Gehen zu den Kranken. Mit tief leuchtenden Farben, mit der ernsten Ruhe des Gegenstandes war alles in den streng kirchlichen Rahmen gedrängt.

Aber das Malerische erwies sich hier als nicht zulänglich im Dichterischen. Das Problem der Religiosität ist ein zu sehr innerliches, als daß die äußere, und selbst die plastischste Form schon seine Seele anrührte. Ein so eminent Unsinnliches, ja das Symbol selbst aller Unsinnlichkeit, verlangt nach einer anderen als malerischen Durchdringung, das Beschreiben eines geistigen Problems kann nicht mehr schildernd sein, sondern wird Psychologie. So früh also schon wird Verhaeren vom Malerischen abgedrängt. Er versucht vorerst noch Plastik zu geben, dunkle Statuen von Mönchen, aber schon sind sie nur Typen eines Innerlichen, Symbole der Wege zu Gott. Verhaeren entwickelt in den Mönchen die Verschiedenheit der Charaktere, die selbst unter der Soutane noch wirksam sind, und zeigt damit die vielfachen Möglichkeiten der Religiosität. Der feudale Mönch, der Mönch aus altem Adel, will sich Gott[45] erobern, wie seine Väter einst ihr Schloß und ihren Wald mit Sporen und Schwert. Der »moine flambeau«, der Glühende und Inbrünstige, will ihn mit seiner Leidenschaft niederringen wie eine Frau. Der wilde Mönch, der wie aus einem Walde kommt, kann ihn nur heidnisch verstehen, ihn nur fürchten als Erzeuger von Blitz und Donner, während der sanfte Mönch, der wie ein Troubadour zärtlich und scheu die Gottmutter liebt, vor seinen Schauern flüchtet. Der eine will ihn erlernen mit den Büchern und in Beweisen, der andere aber versteht ihn nicht, weiß ihn nicht zu erfassen und findet ihn überall, in allen Dingen, als unablässiges Erlebnis. So stehen alle Charaktere des Lebens, die schroffsten Gegensätze, gebändigt nur durch die Regeln des Klosters, hart aneinander. Aber nebeneinander nur, so wie der Maler alle Farben und Dinge gleich liebt, wie er die Dinge, ohne sie nach Werten zu messen, nebeneinanderstellt. Noch ist nicht ein innerlicher Zusammenhang unter ihnen, noch nicht der Kampf der Kräfte, nicht die große Idee; und auch die Verse sind noch nicht frei, sondern gebunden durch die klösterlich strenge Zucht. »Il s'environne d'une sorte de froide lumière parnassienne, qui en fait une œuvre plus anonyme, malgré la marque du poète poinçonnée à maintes places sur le métal poli«, sagt Albert Mockel, der feinste ästhetische Kritiker, von dem Buche. Diese Unzulänglichkeit muß Verhaeren selbst gefühlt haben, denn im Bewußtsein, die Probleme nicht ganz dichterisch bezwungen zu haben, hat er beide Aspekte des Landes noch einmal gestaltet, beide Bücher noch einmal nach Jahren in anderer Form erneuert. »Les Moines« in der Tragödie »Le Cloître«, »Les Flamandes« in der großen Pentalogie »Toute la Flandre«.

»Les Moines« war das letzte der beschreibenden[46] Bücher Verhaerens gewesen, das letzte, in dem er noch der außenstehende leidenschaftslose Betrachter der Dinge war. Aber schon hier ist zuviel Temperament in ihm, um zusammenhanglos und ungeordnet die Dinge zu betrachten, schon regt sich in ihm jene Lust und Freude an der Vergrößerung und Erhöhung durch das Gefühl. Nicht einzeln und versprengt sieht er die Mönche mehr, sondern in einer großen Synthese rafft er sie im Finale alle zusammen. Hinter ihnen sieht der Dichter eine Ordnung, ein geheimnisvolles Gesetz, eine große Gewalt des Lebens. Sie, diese einsamen Verzichter, verteilt in tausend Klöster der Welt, unkund einer des anderen, sind dem Dichter die letzten Reste einer großen vergangenen Schönheit, die um so grandioser ist, als sie schon den Sinn für unsere Zeit verloren hat. Die letzten Trümmer des sterbenden Christentums in der neuen Welt, in tragischer Einsamkeit, ragen sie zu unseren Tagen. »Seul vous survivez l'ancien monde chrétien mort!« ruft er in Bewunderung zu ihnen, den Erbauern des großen Hauses Gottes, die ihr Blut seit zwei Jahrtausenden hingeben für die ewig weiße Hostie. In Bewunderung ruft er sie an. Nicht aus gläubiger Liebe, sondern in Bewunderung für ihre furchtlose Energie und vor allem, weil sie für ein Totes und Verlorenes unerschrocken kämpfen, weil ihre Schönheit keinem mehr dient als sich selbst, weil sie einsam wie die alten Beffrois des Landes, die keinen mehr rufen, in unsere Zeit hineinragen. Wo alles den Zwecken dient, der Freude und dem Gold, stehen sie einsam, sterben ohne Schrei und ohne Klage, kämpfend gegen einen unsichtbaren Feind, sie, die letzten Verteidiger der Schönheit. Denn damals, in jener frühen Epoche, war für Verhaeren Schönheit noch identisch mit dem Vergangenen, weil er die Schönheit in den[47] neuen Dingen sich noch nicht entdeckt hatte; in den Mönchen feiert er die letzten Romantiker, weil er das Dichterische in den wirklichen Dingen, die neue Romantik, den Heroismus des Alltags noch nicht gefunden hatte. Als große Träumer liebt er sie, die »chercheurs des sublimes chimaires«, aber er kann sie nicht bestärken, nicht ihren Besitz wahren, denn hinter ihnen stehen schon die Erben. Die Dichter werden diejenigen sein – der Gedanke von David Strauß über die Religion klingt hier seltsam wider – die das sein müssen, was die Religion mit ihren Getreuen für die Vergangenheit war, die Bewahrer und ewigen Förderer der Schönheit. Sie – seltsam klingt hier die tiefste Absicht des späteren Verhaerenschen Werkes heraus – werden es sein, die ihren neuen Glauben über die Welt wie eine Fahne schwingen werden, sie, »les poètes, venus trop tard pour être prêtres«, werden Prediger sein müssen einer neuen Inbrunst. Alle Religionen, alle Gläubigkeiten zerschellen und sind vergänglich, Christus stirbt wie Pan, auch diese, die letzte und höchste Errungenschaft des Geistes muß vergehen.


»Car il ne reste rien que l'art sur cette terre

Pour tenter un cerveau puissant et solitaire

Et le griser de rouge et tonique liqueur.«


In diesem großen Hymnus an die Dichtung offenbart sich schon die erste Abkehr Verhaerens vom Vergangenen, der erste Weg gegen das Zukünftige. Denn mit neuen und größeren Gefühlen ist hier die dichterische Idee verstanden als im Anbeginn. Dichtung ist Konfession für Verhaeren nicht nur im goethisch-individuellen Sinn, sondern auch im religiösen: als höchstes moralisches Bekenntnis.

So sehr in diesen beiden ersten Büchern das Bestreben lebte, das wirkliche Flandern zu schildern, innerlich[48] war doch eine stärkere Sehnsucht vom Gegenwärtigen zum Vergangenen zurückgeblieben. Jedes Temperament geht über die Wirklichkeit hinaus. Flandern war hier im Sinne eines Ideals geschildert, aber das Ideal ist in beiden Fällen noch nach rückwärts produziert. Die Schönheit hatte der junge Verhaeren in den Mönchen, den Symbolen der Vergangenheit, gesucht, die Kraft, das Lebensfeuer, in den alten flandrischen Meistern. Noch brauchte er das Kostüm des Vergangenen, um das Heroische und das Schöne im Gegenwärtigen zu entdecken, ganz wie unsere Dichter, die, wenn sie starke Menschen schildern wollen, ihre Dramen in die florentiner Renaissancezeit schieben, die, wenn sie Schönheit bilden wollen, ihren Menschen griechische Kostüme umlegen. Kraft und Schönheit, mit einem Worte das Dichterische in den wirklichen, den uns umgebenden Dingen zu finden, ist hier Verhaeren noch versagt, und darum hat er dieses Werk wieder verworfen. Mit Stolz fühlt man den ungeheuren Weg vom traditionellen Dichter zum wahrhaft zeitgenössischen in der Distanz der alten und der neuen Werke.

Wenn auch noch nicht mit Meisterhand geschieden, noch nicht im Lichte seiner Wirklichkeit, so war doch der innere Kontrast des Landes, das Ringen zwischen Körper und Seele, zwischen Lebensfreude und Todessehnsucht, Genuß und Verzicht, die Entscheidung zwischen Ja und Nein in dem Kontrast dieser beiden Bücher »Les Flamandes« und »Les Moines« schon enthalten. Und bei einem wirklich emotionellen Dichter konnte dieser Gegensatz kein rein äußerlicher bleiben, er mußte sich verdichten zum innerlichen Problem, zur persönlichen Entscheidung zwischen Vergangenheit und Zukunft. Zwei Weltanschauungen, beide ererbt im Blute, sind hier in einem Menschen bewußt[49] geworden und müssen – sie, die im Leben nebeneinander sich gestalten können – im einzelnen Kampf zur Entscheidung werden, Entscheidung durch Kraft oder durch ein Höheres, durch innere Versöhnung. Ein Kampf um die Weltanschauung bricht durch den konstanten Kontrast zwischen der Bejahung und Verneinung des Lebens in dem Dichter aus, ein Ringen, das zehn Jahre lang mit unerhörten Krisen sein künstlerisches und menschliches Erleben unterwühlte und hart bis an die Grenze der Vernichtung brachte. Die ganze Feindlichkeit des Landes scheint wie in einem Einzelkampfe tödlich und vernichtend in seiner Seele zum Austrag kommen zu wollen, Vergangenheit und Zukunft zu ringen um eine neue Synthese. Aber nur aus solchen Krisen, aus so mitleidlosen Kämpfen mit den eigenen Gewalten wachsen die großen Weltanschauungen und ihre neue schöpferische Versöhnung.[50]

Quelle:
Insel Verlag, Leipzig, 1913, S. 42-51.
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