Anästhetica

[183] Anästhetica (anästhetische Mittel), Substanzen, welche die Empfindungsnerven des tierischen Körpers entweder vollständig oder nur zum Teil so zu affizieren vermögen, daß äußere, auf den Organismus ausgeübte Eindrücke nicht mehr zur Wahrnehmung gelangen.

Hiernach hat man zwischen zwei Klassen von anästhetischen Mitteln zu unterscheiden: solchen, die eine allgemeine, und solchen, die eine lokale Unempfindlichkeit hervorrufen. Zu den edleren gehören z.B. Aether und Chloroform, zu den letzteren das Kokain. Die Bewußtlosigkeit erregenden Mittel, zu denen auch die hypnotischen oder Schlaf erregenden, wie Sulfonal, Chloral, zählen, gehören zumeist in die Klasse der organischen Verbindungen; die wichtigsten von ihnen sind, außer den bereits genannten, Morphin, daran reihen sich Methylenchlorid und Aethylnitrit. Neuerdings hat man mit einer ganzen Reihe von Substanzen Versuche angestellt, so mit Essigester, Jodäthyl, Aldehyd, Benzin, Amylen, Schwefelkohlenstoff, Bromoform, Jodoform u.s.w., ohne jedoch mit denselben bisher zu praktischen Resultaten gelangt zu sein. – Von den unorganischen Verbindungen haben das Bromkali und das Stickstoffoxydulgas (das sogenannte Lachgas) eine gewisse Bedeutung, letzteres namentlich in der zahnärztlichen Praxis. Auch Mittel physikalischer Natur, wie starke Kälte, rufen Anästhesie hervor, ihre Verwendung ist jedoch eine beschränkte. Die allgemeinste Anwendung bei chirurgischen Operationen hat bekanntlich das Chloroform gefunden; neuerdings kommt auch wieder die Aethernarkose zur Geltung, oder man verwendet eine Mischung von gleichen Teilen Aether und Chloroform. Absolute Reinheit der Präparate muß gefordert werden. Für diese Zwecke kommt ein Chloroformpräparat in den Handel, das Chloroform Pictet, das durch Ausfrieren des offizinellen Chloroforms gewonnen wird. Nach Versuchen von R. Anschütz wird reines Chloroform aus dem sogenannten Salicylidchloroform für dieselben Zwecke technisch dargestellt. Die Vorteile, die Patienten wie Aerzten aus dem Anästhetisieren erwachsen, sind bekannt, ebenso aber auch, daß das Operieren mit diesen Substanzen mit Vorsicht zu geschehen hat, da eine Narkose in gewissen Fällen mit Gefahr verbunden ist. Die Entdeckung der künstlichen Herbeiführung der Bewußtlosigkeit ward schon 1799 durch Davy beim Stickoxydul gemacht; aber erst dem Chemiker Charles Jackson zu Boston, der diese Eigenschaft beim Aether 1846 zuerst erkannte, blieb die praktische Verwertung derselben vorbehalten. Die in der Folge zahlreich angestellten Versuche führten ein Jahr später zur Auffindung des Chloroforms durch den Edinburger Simpson.

Bujard.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 183.
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