Anis

[208] Anis (Fructus Anisi vulgaris) ist die aus zwei Teilfrüchtchen bestehende Spaltfrucht der im Oriente einheimischen, in vielen Ländern Europas, sowie in Südamerika, Indien und Japan im großen gebauten Anispflanze (Pimpinella Anisum L., Familie Umbelliferae, Dolden- oder Schirmpflanzen).

Die Frucht ist vom Stempelpolster und zwei kleinen Griffeln gekrönt, birnförmig oder rundlich-eiförmig, graugrün bis grüngelb, 3–4, seltener 6 mm [1] lang, 2 mm dick, und zerfällt nicht in ihre Teilfrüchte. Wie alle Umbelliferenfrüchte hat auch der Anis 10 Hauptrippen in Gestalt zarter, lichterer Streifen, in den dazwischenliegenden Tälchen sind 4–8 im Querschnitt elliptische Oelbehälter (Oelstriemen), an der ebenen Berührungsfläche der beiden Teilfrüchtchen einige größere, im ganzen etwa 30 Oelbehälter vorhanden. Die Oberfläche der Frucht ist durch zahlreiche kurze, angedrückte Borsten rauh. Das Keimnährgewebe erscheint im Querschnitt fast halbmondförmig [1], [2], [3], [8]. Die chemische Zusammensetzung [4] erhellt aus folgenden Zahlen (in Prozenten): Wasser 12,33, Stickstoffsubstanz 17,52, ätherisches Oel 2,24, Fett 9,58, Zucker 4,27, Stärke 5,13, stickstofffreie Extraktstoffe 26,18, Holzfaser 14,31, Asche 8,44; in der Trockensubstanz betragen ätherisches Oel und Fett 13,84%. Reine Ware soll einen Aschengehalt von 6,23% haben [9]; in der Regel ist er weit höher und kann bis 15% steigen. Der wertvollste Inhaltskörper ist das ätherische Anisöl (s.d.), das den Anis zu einem sehr beliebten, süßlich angenehm riechenden und schmeckenden Backwerkgewürz macht und auch im großen zur Likörfabrikation dargestellt wird. Die Ausbeute ist nach den einzelnen Sorten sehr verschieden (syrischer Anis 1,5–6%, deutscher 2,4%) und beträgt durchschnittlich 2%. Die erhaltenen Rückstände besitzen lufttrocken über 18% Stickstoffsubstanz und bis 20% Fett und sind daher noch für weitere technische Verwendung geeignet [4]. Von den zahlreichen Sorten des Anis sind folgende die wichtigsten: 1. kleinasiatischer Anis, besonders in Südosteuropa konsumiert; 2. spanischer Anis (von Alicante), graugrün, ziemlich groß, ölreich; 3. italienischer Anis (Albi, Midi, Puglieser Anis, Anis von Malta), die größten und wertvollsten Sorten; 4. französischer Anis, Anis von Touraine und Tours; 5. russischer Anis, dunkel, fast schwarzgrün, klein; 6. deutscher Anis, von Erfurt, Gotha, Magdeburg, Bamberg; 7. böhmisch-mährischer Anis.

Die größte Menge liefert Rußland. Der Preis des russischen Anis schwankt zwischen 4458 ℳ. per 100 kg.; italienischer notiert etwas höher. Im Handel kommt Anis meist stark verunreinigt vor, Doldenstielchen, Steinchen, Erde, Aniserde [2], [5], andre Umbelliferenfrüchte, Früchte der echten Hirse, sowie von Setaria glauca (wilde Borstenhirse) sind auch in besserer Ware reichlich enthalten. Auch schon extrahierter, des ätherischen Oels beraubter Anis wird unter gute Ware gemischt; die gefährlichste Fälschung bezw. Verunreinigung geschieht mit den giftigen Früchten des Schierlings (Conium maculatum), die rundlich sind, gekerbte Hauptrippen besitzen und sich durch den Gehalt des Alkaloids Coniin auszeichnen [1], [2], [6]. Nebst dem (sichersten) mikroskopischen Nachweis [1], [9], [10] wendet man auch eine Geruchsprobe an, indem kleine Mengen der gepulverten Ware mit Kalilauge zerrieben werden; das Auftreten des charakteristischen Geruches nach Mäuseharn zeigt die Anwesenheit von Schierlingfrüchten an (Coniinreaktion). Für den Transport ist noch zu beachten, daß feuchte Ware sich erhitzen und verderben kann, daher der Fabrikant nur gut verpackte Ware übernehmen soll [7]. Auch aus der Anisspreu (Doldenstielchen) wird ätherisches Oel gewonnen.


Literatur: [1] Hartwich, in Realencyklopädie der gesamten Pharmacie, 2. Aufl., Wien 1904, Bd. 1, S. 669. – [2] T.F. Hanausek, Die Nahrungs- und Genußmittel u.s.w., Kassel 1884, S. 325. – [3] J. Moeller, Pharmac. Post, 1892, Bd. 25, S. 24, und Pharmakognost. Atlas, Berlin 1892. – [4] J. König, Die menschlichen Nahrungs- und Genußmittel, Berlin 1893, S. 748. – [5] Chemiker-Zeitung 1892, 16, S. 1497. – [6] Pharmaceut. Centralh., 1878. – [7] Nobbe in Dammers Lexikon der Verfälsch., Leipzig 1887, S. 65. – [8] Beck, Flora von Niederösterr., Wien 1892, S. 625. – [9] A. v. Vogl, Die wichtigsten vegetab. Nahrungs- und Genußmittel, Wien 1899, S. 411–416. – [10] Tschirch-Oesterle, Anatomischer Atlas, Leipzig 1900, Taf. 14, Fig. 1–15, S. 51.

T.F. Hanausek.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 208.
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