Berieselung [3]

[69] Berieselung mit städtischem Kanalwasser. Bei diesem Verfahren hat sich neuerdings eine vorhergehende mechanische Klärung als sehr zweckmäßig erwiesen; sie wird nunmehr fast überall durchgeführt [16], weil dadurch die Bodenporen besser offen gehalten und die Felder aufnahmefähiger werden.

Wird hierbei von der Ausnutzung des Düngerwertes im Abwasser abgesehen und das Hauptgewicht auf dessen Reinigung gelegt und der Boden unter Verzichtleistung auf nennenswerte landwirtschaftliche Erträge als intermittierendes Bodenfilter behandelt, so lassen sich die Abwasser von ein paar tausend Einwohnern auf 1 ha reinigen. Aber auch durch Berieselung[69] in Verbindung mit einer zweckmäßigen landwirtschaftlichen Betriebsweise lassen sich bei gründlicher Vorreinigung und günstigen Bodenverhältnissen die Abwässer von selbst bis zu 1000 Einwohner auf 1 ha Feldfläche verarbeiten (Charlottenburg).

Beim Betrieb der Rieselfelder hat sich gezeigt, daß die Heubereitung wegen des großen Wassergehaltes des Grases große Schwierigkeiten mit sich bringt, weshalb man in allerneuester Zeit auf den Berliner Rieselfeldern künstliche Trocknung des gemähten Grases versuchte. Ein Beispiel einer Rieselfeldanlage, bei der im Gegensatz zur Rieselfeldanlage der Stadt Freiburg i. B. (s. Bd. 1, S. 705) das Abwässer mittels eines Druckrohres durch vier verschiedene Auslaßstellen, an denen zur Vorreinigung des Wassers Entschlammungsbecken angelegt sind, auf die Felder gelangt, zeigt die Figur (S. 69) der Rieselfeldanlage von Bunzlau [18].

Der höchstgelegene Auslaß I erfolgt unter Vermittlung eines oben offenen Standrohres, das mit einem Ueberlauf versehen ist und als Druckregler dient. Durch ein weithin sichtbares Schwimmzeichen wird den Rieselwärtern der Wasserstand im Standrohr erkennbar gemacht.

Wo immer geeigneter, nicht zu teurer oder allzuweit von der Stadt entfernter Boden vorhanden ist, gebührt der Reinigung der Abwässer durch Rieselfelder oder durch intermittierende Bodenfilterung oder auch durch eine Vereinigung beider Verfahren unter sonst gleichen wirtschaftlichen Grundlagen vor andern Reinigungsverfahren der Vorzug. Die Anlage von Rieselfeldern ist demgemäß auch nicht zurückgegangen, und manche Orte, wie Dortmund und neuerdings Spandau, sind vom künstlichen Reinigungsverfahren der Kanalwässer auf das Berieselungsverfahren übergegangen.

Nach Röchling ([16] und Weil, Handbuch der Hygiene, Bd. 2, 1897) gab es in England 1895 42 Rieselfelder mit 5700 ha Fläche, auf denen die Abwässer von 3,6 Millionen Einwohner untergebracht wurden. Die größte Anlage für 188000 Einwohner war hiernach die von Leicester, die an 688 ha meist schweren Lehm- und Tonboden erforderte, während sich Birmingham bei 430000 Einwohner mit einer Rieselfläche von 496 ha begnügte. In Frankreich besaßen nach Imbeaux 27 Städte, darunter Paris, ausgedehnte Rieselfeldanlagen. Bekannt sind in Italien die Rieselfelder von Mailand.

In Deutschland besitzen Rieselfelder Berlin und viele seiner Vororte, Charlottenburg, Bielefeld, Brandenburg a. H., Braunschweig, Breslau, Bromberg, Danzig, Dortmund, Freiburg i. B., Magdeburg, Münster i. W. u.a.

Einen guten Ueberblick über die Wirtschaftsergebnisse gewähren die nachfolgenden aus [17] entnommenen Zusammenstellungen von größeren deutschen Rieselfeldern.

Ueberblick über die Wirtschaftsergebnisse.

Berieselung [3]

Die Beiträge sind berechnet aus den 4% Zinsen des für Grunderwerb und Herrichtung der Felder aufgewendeten Anlagekapitals, von denen die Ueberschüsse der aus den Feldern erzielten Einnahmen über die Kosten der Bewirtschaftung in Abzug gebracht wurden. Diese Ueberschüsse sind in Berlin und Dortmund negativ (–101000 und –5200 M); die Betriebsausgaben werden also nicht ganz durch die Betriebseinnahmen gedeckt.


Berieselung [3]

Die hier eingestellten Summen setzen sich aus den Betriebsausgaben des Pumpwerks und der Zuleitung sowie aus den 4% Zinsen ihres Anlagekapitals zusammen, während die Tilgung unberücksichtigt geblieben ist.


Berieselung [3]

[70] Wird auch die Tilgung des Anlagekapitals für Pumpwerk und Zuleitung mit berücksichtigt, so erhöhen sich die jährlichen Reinigungskosten der Städte Berlin, Breslau, Braunschweig und Magdeburg noch um 0,20 bis 0,30 ℳ für 1 Einwohner, und zwar entfällt der höhere Betrag auf Berlin wegen der großen Länge der Zuleitungen.

Die Kosten sind ersichtlich in hohem Grade von den örtlichen Verhältnissen abhängig.

Aber wenn sich auch die wirtschaftlichen Ergebnisse der Rieselfelder im allgemeinen verschieden gestalten müssen, so liegt in manchen Städten die Schuld an ungünstigen Gesamtergebnissen doch zum Teil auch daran, daß die Anpassung der Anlage an den Boden und an die Abwasseranlagen in einer wirtschaftlich und technisch nicht günstigen Weise erfolgt ist. Man hat es namentlich versäumt, die allerdings erst in neuester Zeit ausgebildete und mit der Berieselung als gleichwertig erkannte Reinigungsmethode der intermittierenden Bodenfilterung und die künstliche biologische Reinigung (s. Kläranlagen) zum Vergleich mit heranzuziehen. Eine Mitheranziehung dieser Reinigungsmethode, die auf andauernde Regenzeit und besonders große Abwassermengen beschränkt werden könnte, würde in manchen Fällen zu einem besonders günstigen wirtschaftlichen Ergebnis eines Rieselfeldes beizutragen vermögen.

Beim Erfordernis langer Zuleitung und beträchtlicher Hubhöhe des Abwassers können für ein Rieselfeld von vornherein Mehrkosten bedingt sein, die sich unter sonst gleichen Verhältnissen bei andern Reinigungsarten nicht im selben Maße geltend machen. Das Vorhandensein solcher Umstände sollte zu besonderer Vorsicht bei der Wahl der Abwasserreinigungsart mahnen.

Neuerdings werden die gereinigten Abwässer der Rieselfelder auch noch zur Beschickung von Fischteichen benutzt. Beispiele dieser Art sind auf Berliner Rieselfeldern anzutreffen [1], [4].


Literatur: [1] Gerhard, P., Fischwege und Fischteiche, Leipzig 1904. – [2] Henneking, C., Die Abwasserreinigung mittels intermittierender Bodenfilterung in Nordamerika. Heft 12 der Mitteilungen der Kgl. Prüfungsanstalt 1909. – [3] Ingenieurwerke um Berlin, Denkschrift des Berliner Bezirksvereins deutscher Ingenieure, Berlin 1906. – [4] Oesten, A., Die Nutzbarmachung der städtischen Abwässer für die Fischzucht. Ges. Ing. 1899. – [5] Dunbar, Leitfaden für die Abwasserreinigung, 2. Aufl., München 1912. – [6] Geißler, Das Charlottenburger Rieselfeld und seine wirtschaftliche Bedeutung. Ges. Ing. 1909. – [7] Imbeaux, L'assainissement des villes, Paris 1901/02. – [8] Backhaus, Allgemeiner Wirtschaftsplan für die Rieselgüter der Stadt Berlin, 1905. – [9] Salomon, H., Die städtische Abwasserbeseitigung in Deutschland. Abwässerlexikon Bd. 1, 2 und I. Ergänzungsband. Jena 1911. – [10] Bredtschneider, A. und Thumm, K., Die Abwasserreinigung in England. Mitteilungen aus der K. Wasserprüfungsanstalt, Heft 3, Berlin 1904. – [11] Büsing, F.W., Die Städtereinigung, Heft 1 und 2, Stuttgart 1897 und 1901. [12] Füller, Sewage Disposal, New York 1912. – [13] Imhoff, Taschenbuch der Kanalisationsingenieure, 2. Aufl., Leipzig 1912. – [14] Reichle, C., Die Behandlung und Reinigung der Abwässer. Dissertation, Leipzig 1910. – [15] Schiele, A., Abwasserreinigung von Gewerben und gewerblichen Städten unter hauptsächlichster Berücksichtigung Englands. Berlin 1909. – [16] Frühling, A., Die Entwässerung der Städte. Handbuch f. Ingenieurwissensch., 3. Teil, Bd. 4, Leipzig 1910. – [17] Friedrich, Kulturtechnischer Wasserbau, 3. Aufl., Berlin 1913. – [18] Gürschner und Benzel, Der städtische Tiefbau, 3. Teil, Städteentwässerung, 1910.

F. Brix.

Rieselfeldanlage der Stadt Bunzlau.
Rieselfeldanlage der Stadt Bunzlau.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 69-71.
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