[769] Bewegungslehre, geometrische. Die Aenderung des Ortes eines Gebildes in bezug auf ein angenommenes Raumsystem heißt Bewegung des Gebildes in diesem Raumsystem. Wird von den Ursachen der Bewegung abstrahiert, das bewegte Gebilde als ein geometrisches Gebilde betrachtet, so daß man nur von der Vorstellung der Bewegung an sich ausgeht, dann bilden die Untersuchungen der Beziehungen und der Vorgänge bei dieser Bewegung eine geometrische Disziplin, die früher Phoronomie [1] genannt wurde und jetzt geometrische Bewegungslehre [2] oder Geometrie der Bewegung [3] genannt wird.
Carnot [2] betrachtete die geometrischen Gebilde als undurchdringliche, geometrische Körper und gab zuerst die Definition dieser Disziplin in den Worten: ».... Hieraus entspringt eine Art von neuer Theorie über eine Klasse von Bewegungen, die weniger in das Fach der Mechanik als der Geometrie gehört. Diese geometrischen Bewegungen sind diejenigen, welche die verschiedenen Teile eines Systems von Körpern, ohne sich im Wege zu sein, nehmen können, und folglich, da sie gar nicht von der Wirkung und Gegenwirkung der Körper, sondern bloß von der Beschaffenheit ihrer Verbindungen untereinander abhängig sind, sich auch schon durch bloße Geometrie, unabhängig von den Regeln der Dynamik, bestimmen lassen.« Hiermit hat Carnot auch zuerst die kinematische Definition des Mechanismus (s.d.) gegeben. Die Benennung Geometrie der Bewegung ist in neuerer Zeit in Gebrauch gekommen, weil die Untersuchungen dieser geometrischen Bewegungen vermittelt! der neueren synthetischen Geometrie zu einer ergebnisreichen Erweiterung dieser Disziplin geführt haben, die, als Zweig der Mathematik betrachtet, auch Kinematik genannt wird, obwohl nach Ampères Definition die geometrische Bewegungslehre und ihre Anwendung auf die Mechanismen Kinematik (s.d.) heißt.
Literatur: [1] Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Riga 1786. [2] Carnot, L.N., Principes fondamentaux d'équilibre et du mouvement, Paris 1803, und deutsch: Weiß, Ch. H., Grundsätze der Mechanik vom Gleichgewicht und der Bewegung u.s.w., Leipzig 1805. [3] Schell, Theorie der Bewegung und der Kräfte, Leipzig 1879, Bd. 1, S. 144; Schoenflies, A., Geometrie der Bewegung, Leipzig 1886.
Burmester.