Camera lucida

[419] Camera lucida (Camera clara), ein von Wollaston 1811 erfundener Zeichnungsapparat, der seinen Namen dem Gegensatz zu dem ähnlichem Gebrauche dienenden Apparate verdankt, der Camera obscura (s.d.) heißt.

Ein Prisma von deltoidischem Querschnitte a b c d (Fig. 1) steht mit seiner horizontalen Kante a dicht vor dem nach unten blickenden Auge. Auf der Netzhaut des Auges entstehen zweierlei Bilder, die zum Teil ineinander übergreifen: 1. Das Bild eines in Sehweite befindlichen Zeichenblattes auf dem horizontalen Tische samt der Spitze des Zeichenstiftes; 2. das Bild eines abzuzeichnenden Objektes, dessen Licht von vorne (Richtung von x her) in das Prisma eintritt und durch zweimalige Totalreflexion an den schiefen Prismenflächen eine Ablenkung nach oben erfährt. Die Spitze des Bleistiftes hat den Umrissen des auf die Zeichenebene projizierten Bildes zu folgen.

Das Wollastonsche Prisma kann in weniger vollkommener Weise auch ersetzt werden durch eine geschliffene ebene Glasplatte (Terquem und Hofmann geben derselben eine schwache Versilberung), die unter 45° so gegen die vertikale Sehrichtung gestellt wird, daß die vom Objekt kommenden Strahlen an der Platte reflektiert nach oben zum Auge gehen und das von der Zeichenebene kommende Licht die Platte durchdringt. Sömmering empfahl einfach einen kleinen Metallspiegel in derselben Stellung, dessen Reflexion das Bild des Objekts auf der Zeichenebene entwirft, deren Bild gleichzeitig durch die am Spiegelchen vorbeigehenden Strahlen sichtbar wird. Beim Gebrauche der Camera lucida ist darauf zu achten, daß die Gegenstände ebenfalls in Sehweite vom Auge sich befinden, weil sonst die Zeichenebene nicht der Ort ihres durch Reflexion erzeugten Bildes ist. Sind die abzubildenden Gegenstände weiter entfernt, so kann man mit Hilfe einer passenden Konkavlinse von etwa 2025 cm Zerstreuungsweite, die man in den Gang der horizontal ankommenden Strahlen stellt, ein richtig entferntes Bild des Objektes erzeugen; für zu nahe Gegenstände ist eine Sammellinse zu verwenden. Eine solche Korrektion der Objektweite ist nicht nötig, wenn die Camera lucida vor das Objektiv eines Fernrohrs oder eines Mikroskops gebracht wird, weil die Bilder dieser Instrumente sich schon in Sehweite befinden. Für das stehende Mikroskop können die beschriebenen Apparate nur gebraucht werden, wenn man eine vertikal gestellte Zeichenebene anwendet. Um die Zeichenebene horizontal neben das Mikroskop legen zu können, sind andre Apparate notwendig, durch welche die vom Objekt kommenden Strahlen nicht eine Ablenkung um 90°, sondern eine seitliche Verschiebung erfahren. Fig. 2 erklärt das Prinzip der Camera lucida von Nachet. Das in O befindliche Auge erhält gleichzeitig Licht von der Zeichenebene in der Richtung von x her durch zweimalige Totalreflexion an den schiefen Prismenflächen a b und d c und vom Mikroskop M her mittels des kleinen, an das Prisma angekitteten Glaszylinders, der sich in der Verlängerung der Mikroskopachse befindet. Dieser und ein ähnlicher Apparat von Nobert sowie der Sömmeringsche Apparat sind näher beschrieben und abgebildet in [1]. Ueber eine sehr zweckmäßige Konstruktion der Camera lucida von Abbe zum Gebrauche beim Mikroskop (zu beziehen von Zeiß in Jena) vgl. [2].[419]


Literatur: [1] Müller-Pfaundler, Lehrbuch d. Physik u. Meteorologie, 8. Aufl., Braunschweig 1879, II, S. 347. – [2] Fricks physikal. Technik, Braunschweig 1895, II, S. 770.

Aug. Schmidt.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2 Stuttgart, Leipzig 1905., S. 419-420.
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