Elektrisiermaschinen

[399] Elektrisiermaschinen heißen die Vorrichtungen zur fortlaufenden Erzeugung statischer Elektrizität aus der mechanischen Arbeit von Kurbelbewegungen. Man unterscheidet: die Reibungselektrisiermaschinen, die Dampfelektrisiermaschinen, die Influenzmaschinen. Zwar findet bei allen drei Formen eine Verbindung beider Arten der Elektrizitätserzeugung, durch Reibung und durch fernwirkende Verteilung (Influenz), statt; doch spielt bei den ersteren beiden Arten das Prinzip der Reibung, bei der dritten Art dasjenige der Influenz die Hauptrolle.

Die älteste Vorrichtung ist die um eine Achse drehbare Schwefelkugel O. v. Guerickes (1602–1686), die durch Reibung der trockenen Hand elektrisiert wurde. Später wurden kugelige und zylindrige Glasgefäße und besonders Glasscheiben als Isolatoren oder »Reiber« benutzt und mit Kienmayerschem Amalgam (1 Teil Zink, 1 Teil Zinn, 2 Teile Quecksilber) überzogene Lederkissen als »Reibzeug«, wozu als weitere Bestandteile der Maschine die Konduktoren kamen, ein positiver, mit Zuleitung und Saugkämmen versehen, der, wie man sich die Influenzwirkung des Reibers auf den Konduktor zuerst erklärte, die positive Elektrizität von der Glasfläche wegsaugt und an seiner Oberfläche aufspeichert, und ein negativer Konduktor, der (gewöhnlich mit der Erde in leitender Verbindung) durch Leitung die negative Elektrizität des Reibzeugs fortführt, der aber, wenn man umgekehrt den positiven Konduktor zur Erde ableitet, als eine Quelle negativer Ladung benutzt werden kann. In betreff weiterer Details der Konstruktion und deren Zweck s. die Lehrbücher der Experimentalphysik, z. B, [1].

Die Dampfelektrisiermaschine (Hydroelektrisiermaschine), von Armstrong 1845 erfunden, beruht auf der Beobachtung, daß bei der Reibung ausströmenden Dampfes am Rande der Oeffnung ein elektrischer Gegensatz zwischen dem negativ werdenden Kessel und dem positiven Dampfe sich ausbildet. Der Kessel wird isoliert aufgestellt, ebenso ein Konduktor mit Zuleiter und einem dem ausströmenden Dampfe zugekehrten Saugkamm. Verbindet man den Kessel leitend mit der Erde, so liefert der Konduktor positive Elektrizität, leitet man aber den Konduktor zur Erde ab, so kann man von dem Kessel negative Elektrizität beziehen. Die im Vergleich mit der Reibungsmaschine sehr kräftige Elektrizitätsentwicklung wurde seit der Erfindung der Influenzmaschine wieder in Schatten gestellt.

Die Influenzelektrisiermaschine wurde in zwei dem Prinzip nach übereinstimmenden, der Konstruktion nach abweichenden Gestalten nahezu gleichzeitig von Holtz [2] und von Töpler [3] erfunden. Die Vorläufer der Influenzmaschine waren die sogenannten Duplikatoren, Vorrichtungen, um vorhandene Ladungen dadurch zu verstärken, daß man ihnen die in beweglichen Leitern durch Influenz erzeugten gleichnamigen Elektrizitäten hinzufügt (vgl. [4] und [5]). Bei der Holtzschen Maschine wird eine rotierende Glasscheibe vor den Saugkämmen der Zuleiter zweier Konduktoren vorbeigeführt, während den Kämmen gegenüber auf der andern Seite der beweglichen Scheibe zwei Halbleiter (Papierbeläge, getragen von einer festen Glasscheibe), der eine positiv, der andre negativ geladen, durch Influenzwirkung aus den zugekehrten Kämmen die ungleichnamige Ladung auf die bewegliche Scheibe zum Ueberströmen bringen und die gleichnamigen Ladungen je nach dem anderseitigen Konduktor übergeführt aus dem dortigen Kamme auf die Glasscheibe überströmen. Je nach einer halben Umdrehung verstärken die entgegengesetzt geladenen Scheibenhälften die Influenzwirkung der benachbarten Papierbeläge und empfangen dabei je die entgegengesetzte Ladung, und zwar sowohl auf ihrer vorderen Seite von den Kämmen als auf der hinteren Seite von den in Spitzen auslaufenden Papierbelägen, deren Ladung selbst sich von einem kleinen Anfange an bis zu einem von dem Grade der Isolation der Maschine abhängigen Maximum verstärkt. Die mit Schleifkontakten versehene Töplersche Maschine ist sogar ohne jede anfängliche Zufuhr elektrischer Ladung selbst erregend, ist aber in ihrer anfänglichen Gestalt geringerer elektrischer Spannungen fähig. Weiteres über die Influenzmaschinen verschiedener Systeme s. [6], über die Töplerschen Maschinen mit vielen rotierenden Scheiben [7], über die Wimshurstmaschine [8], [9], [10].

Außer zu wissenschaftlichen Zwecken findet die Elektrisiermaschine Anwendung zur Erzeugung von Entladungsfunken beim elektrischen Gasanzünder und beim Minensprengen (vgl. [11] über Bornhards Zündelektrisiermaschine), bei der Momentphotographie (vgl. [12] über die Photographie fliegender Geschosse samt den Luftwellen); ferner in der Heilkunde zur Franklinisation, ferner zur Ozonerzeugung mittels der Ozonisierungsröhren (s. Ozon). Die großen Töplerschen Maschinen können sogar zur Stromerzeugung verwendet werden.


Literatur: [1] Müller-Pouillet-Pfaundler, Lehrbuch der Physik, 9. Aufl., Braunschweig 1888–90, Bd. 3, S. 160 ff. – [2] Poggend. Ann., 126,127, 130, 1865 u. 1867. – [3] Ebend., 125, 1865. – [4] Winkelmann, Handbuch der Physik, 2. Aufl., 4. Bd. S. 51 ff., Leipzig 1905. – [5] Müller-Pouillet-Pfaundler, Bd. 3, S. 181 ff. – [6] Ebend., S. 171 ff. – [7] Töpler, Elektrotechn. Zeitschr. 1886, Bd. 1, S. 56. – [8] Wimshurst, Phil. Magazine 1893, Bd. 36, S. 264, und Holtz, W., Die Priorität der Erfindung u.s.w., ebend. 1904, 17, S. 193–198. – [9] Schaffers, Compt. rend. 1894, Bd. 119, S. 535 bis 537, und 1904, Bd. 138, S. 354–355. – [10] Holtz, W., Meine erste Influenzmaschine u.s.w., Zeitschr. f. phys.u. ehem. Unterricht, 1905, Bd. 18, S. 140 ff. – [11] Müller-Pouillet-Pfaundler, Bd. 3, S. 277–279. – [12] Zeitschr. Prometheus 1894, Nr. 222 und 223.

Aug. Schmidt.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 399-400.
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