Entropie

[459] Entropie, ein Begriff der mechanischen Wärmetheorie und Energielehre. Wird einem beliebigen Körper von der absoluten Temperatur T = a + t (t Temperatur nach Celsius, a = 273°C.) eine Wärmemenge d Q zugeführt, so ergibt sich unter Voraussetzung des Clausiusschen Grundsatzes (s.d.), daß für die gewöhnlichen Zustandsveränderungen der Wärmetheorie (äußere Kräfte mit den inneren fortwährend im Gleichgewicht, Energiezufuhr von außen nur Arbeit dK äußerer Kräfte und Wärme dQ, Herkunft von dQ und Temperatur der Wärmequellen gleichgültig) der Ausdruck


Entropie

das vollständige Differential einer Funktion S derjenigen Größen darstellt (z.B. des Druckes p und des Volumens v), welche als Unabhängigveränderliche die Energie U (virtuelle Energie, Eigenenergie, s. Energie) des Körpers bestimmen und damit auch den »Zustand« desselben charakterisieren [24], S. 31, 43, 65, 68. Diese Funktion S wird die Entropie des Körpers genannt (warum? s. Aequivalenz der Verwandlungen).

Nach beliebigen Zustandsänderungen der angedeuteten Art hat man:


Entropie

und kehrt der Körper schließlich wieder in seinen Anfangszustand, d.h. zu den Anfangswerken der Größen, welche die Energie U bestimmen, zurück, so hat, wie U und T, auch die Entropie S wieder ihren Anfangswert, es gilt für jeden solchen Kreisprozeß mit Se = Sa:


Entropie

Diese Gleichung wird häufig als Ausdruck des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie für die fraglichen Zustandsänderungen angesehen (vgl. Clausiusscher Grundsatz). In allen[459] vorstehenden und folgenden Beziehungen ist Wärmeabfuhr als negative Wärmezufuhr aufzufallen. Wird bei irgend welchen Zustandsänderungen eines Körpers weder Wärme zugeführt noch entzogen, so bleibt wegen dQ = 0 nach 1. auch die Entropie S ungeändert (s. Adiabatische Zustandsänderung), weshalb solche Zustandsänderungen nach Gibbs auch als isentropische Zustandsänderungen bezeichnet werden. Bei Zeuner [17] heißt in 2.


Entropie

das Wärmegewicht für den betreffenden Uebergang, wobei 1/A = 424 das mechanische Wärmeäquivalent bedeutet. In der mechanischen Wärmetheorie werden die Zustandsänderungen u.a. derart graphisch dargestellt, daß die S als Abszissen, die T als Ordinären dienen, womit die isothermischen Kurven der Abszissenachse, die isentropischen der Ordinatenachse parallel laufen, und dem Carnotschen Kreisprozeß ein Rechteck mit Seiten parallel den Koordinatenachsen entspricht (s. Wärmetheorie, mechanische, und Kreisprozeß).

Nach Clausius wird der Quotient aus Wärmeaufnahme d Q (positiver oder negativer) und absoluter Temperatur T des betrachteten Körpers, dS = dQ/T, häufig auch dann Entropie des letzteren genannt, wenn die gewöhnlichen Voraussetzungen der wärmetheoretischen Ableitungen nicht erfüllt sind, dS im allgemeinen kein vollständiges Differential der U als Unabhängigveränderliche bestimmenden Größen darstellt und S, T nicht als Funktionen dieser Unabhängigvariabeln allein dargestellt werden können. Nach dem Begriffe der Temperatur (s.d.) kann die Wärme durch Leitung nur von wärmeren zu kälteren Körpern übergehen. Sei nun beim Wärmeübergange zwischen zwei Körpern dQ die Wärmezufuhr (positiv, Aufnahme) des Körpers von tieferer Temperatur T, dQ' = – dQ die Wärmezufuhr (negativ, Abgabe) des Körpers von höherer Temperatur V, dann hat man die Aenderung der Entropie für beide Körper zusammen:


Entropie

Da diese Summe wegen T' Entropie T positiv ist, so folgt für Wärmeübergänge zwischen beliebig vielen Körpern:


Entropie

wobei die Summe auf alle beteiligten Körper zu erstrecken ist. Es kann also die Gesamtentropie aller an den Wärmeübergängen durch Leitung beteiligten Körper nur wachsen oder ungeändert bleiben, wenn nicht auf andre Weise eine Verminderung eintritt. Für den Fall nun, daß man sich dieselbe Größe, welche Clausius in bezug auf einen einzelnen Körper seine Entropie genannt hat, »in konsequenter Weise unter Berücksichtigung aller Umstände für das ganze Weltall gebildet« denke, glaubte Clausius dem Grundgesetz: Die Energie der Welt ist konstant, das zweite an die feste setzen zu können [1], II, S. 44: Die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu (vgl. Energie, Zerstreuung derselben). Wie man sich aber jene konsequente Berücksichtigung denken soll, hat Clausius weder in seinem 11 und 22 Jahre später erschienenen Lehrbuch der Wärmetheorie noch an sonstigem Orte gezeigt. Die von Gibbs, Planck u.a. gegebenen Erweiterungen des Entropiegesetzes haben sich nach manchen Richtungen genügend und besonders auf chemischem Gebiete nützlich erwiesen, ohne jedoch eine mathematische oder sonst befriedigende Grundlage für den Clausiusschen Schluß abzugeben.


Literatur: [1] Clausius, Abhandlungen über die mechanische Wärmetheorie, II, Braunschweig 1867, S. 1; auch I, Braunschweig 1864, S. 127. – [2] Grashof, Theoretische Maschinenlehre, I, Leipzig 1874, S. 78. – [3] Planck, Ueber den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie, München 1879. – [4] Helmholtz, Wissenschaftliche Abhandlungen, II, Leipzig 1882, S. 958; III, Leipzig 1895, S. 92. – [5] Duhem, Le potentiel thermodynamique, Paris 1886. – [6] Clausius, Die mechanische Wärmetheorie, I, Braunschweig 1887, S. 110, 203, 220. – [7] Planck, Ueber das Prinzip der Vermehrung der Entropie, Wiedemanns Annalen 1887, XXX, S. 562; XXXI, S. 189; XXXII, S. 462; 1891, XLIV, S. 385; s.a. 1892, XLVI, S. 162. – [8] Wald, Die Energie und ihre Entwertung, Leipzig 1889. – [9] Gibbs, Thermodynamische Studien, Leipzig 1892, S. 1, 40, 60 u.s.w. – [10] Groß, Ueber den Satz von der Entropie, Wiedemanns Annalen 1892, XLVI, S. 339, 517; 1893, XLVIII, Verhandl., S. 773, 12. – [11] Mach, Zur Geschichte und Kritik des Carnotschen Wärmegesetzes, Sitzungsber. d. Wiener Akademie 1892, Abt. Ha, S. 1589. – [12] Poincaré, Thermodynamik, Berlin 1893, S. 79, 150. – [13] Kirchhoff, Vorlesungen über mathematische Physik, IV, Theorie der Wärme, Leipzig 1894, S. 60. – [14] Berthelot, Le princip du travail maximum et l'entropie, Comptes rendus etc. 1894, CXVIII, S. 1378. – [15] Winkelmann, Handbuch der Physik, II, 2. Hälfte: Wärme, Breslau 1896, S. 421. – [16] Mach, Die Prinzipien der Wärmelehre, Leipzig 1896, S. 269. – [17] Zeuner, Technische Thermodynamik, I, Leipzig 1900, S. 29, 39, 51, 59, 65. – [18] Wiedeburg, Zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, Wiedemanns Annalen 1901, V, S. 514 (s.a. 1902, VI, S. 576). – [19] Helmholtz, Vorlesungen über Theorie der Wärme, Leipzig 1903, S. 202, 241. – [20] Planck, Ueber die mechanische Bedeutung der Temperatur und die Entropie, Festschrift für Boltzmann, Leipzig 1904, S. 113. – [21] Bryan, The law of Degradation of Energie as a fundamental principle of thermodynamics, ebend., S. 123. – [22] Planck, Vorlesungen über Thermodynamik, Leipzig 1905, S. 74. – [23] Chwolson, Lehrbuch der Physik, III. Die Lehre von der Wärme, Braunschweig 1905, S. 485, 512. – [24] Weyrauch, Grundriß der Wärmetheorie, I, Stuttgart 1905, S. 31, 43, 65, 68, 84. – S.a. Clausiusscher Grundsatz, Disgregation.

Weyrauch.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 459-460.
Lizenz:
Faksimiles:
459 | 460
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon