3. Der Markgräfin Schleier,
oder
Die Gründung von Kloster-Neuburg.

[37] Auf dem Söller seines Schlosses auf dem nach ihm genannten Leopoldsberge stand der heilige Leopold, Markgraf von Oesterreich, und neben ihm sein frommes Ehegemahl, Agnes, Kaiser Heinrich des Vierten Tochter, am achten Tage nach ihrer Hochzeit. Das war im Jahre 1124. In voller Eintracht ihrer liebenden Herzen besprachen die Neuvermählten die Gründung eines Klosters, und waren nur noch unentschieden über den Ort, an welchem sie das dem Himmel geweihte Gebäude errichten lassen sollten.

Mit einem Male erhob sich während ihres Gespräches ein Windstoß und nahm der Gräfin den Schleier vom Haupte, durch die Lüfte ihn hoch empor und von dannen führend.

Die junge Markgräfin war bestürzt über diesen Verlust, denn sie hielt den Schleier sehr werth, doch suchte der Gatte sie freundlich zu trösten und eilte mit seinem Gefolge in den Wald, nach welchem der Wind den Schleier getragen hatte.[38]

Aber wie sie auch suchten im Walde, auf alle Bäume blickten, durch alle Büsche spähten, sie fanden den Schleier nicht.

Endlich kam er in Vergessenheit, und auch die damals besprochene Gründung eines Klosters, obgleich der Markgraf seiner Neuvermählten gelobt hatte, ein solches da zu gründen, wo der Schleier sich finde.

Acht Jahre waren schon vergangen, als einst der Markgraf im Walde jagte, da schlugen mit einem Male an einer heimlichen Stelle die Rüden laut an, und als der Markgraf, in der Meinung, daß sie ein Wild gestellt, hinzukam, fand er zu seiner größten Verwunderung an einem Hollunderstrauche den völlig wohl erhaltenen Schleier Agnesens hängen. Ein Wunder hatte ihn durch die lange Reihe von Jahren unversehrt bewahrt, und dieses Wunder bewegte den Markgraf, sogleich zur Gründung eines Klosters alle Anstalten zu treffen.

Und so erhob sich denn das weitberühmte Stift Kloster-Neuburg, das unter seinen vielen und kostbaren Schätzen den zum unvergänglichen Andenken in Metall gefaßten Hollunderbaumstamm, auf dem der Markgräfin Schleier hing, so wie diesen Schleier selbst als heilige Erinnerungszeichen der Fundation bewahrt, nicht minder eine kostbare Monstranz in Form eines Hollunderstrauches, dessen Blüthen durch Perlen nachgebildet sind, über welche ein zarter Schleier geworfen ist. Am Fuße dieser Monstranz, die man über 30,000 Gulden schätzt, kniet mit zwei Windhunden der heilige Leopold.[39]

Und in dem Kloster Neuburg ruhen auch die Gebeine des Stifters und der Stifterin mit denen ihrer Kinder.

So reich ist das Kloster begabt mit Gütern und vornehmlich Weinbergen, daß man es vordem nur den »rinnenden Zapfen« nannte. In einer dreifachen Kellergewölbreihe über einander ruhen in reicher Fülle, nach den Jahrgängen wohlgeordnet, die köstlichen Gaben des Weingottes, und ein Riesenfaß, das neunhundert und neunundneunzig Eimer hält, gibt vom dortigen Vorrath Zeugniß.

Das Faß, welches den tausendsten Eimer hält, steht als Spund oben drauf.

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840, S. 37-40.
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