11. Die Säule der Drahomira.

[62] An dem Orte, wo sonst die Kirche St. Matthäi auf dem Hradschin zu Prag gestanden hat, und jetzt das Haus zur güldnen Kugel steht, wird eine alte Denksäule gezeigt, an welche sich eine Sage aus dem grauen Alterthume knüpft.

Der zwölfte Herzog Böhmens hatte ein Weib, Namens Drahomira, welche noch dem Heidenthume anhing, während ihr Sohn sich bereits zum Christenglauben bekannte. Als nun Wratislaw, der Herzog, starb und seine Söhne, Wenzeslaw und Boleslaw, noch unmündig waren, eignete sich Drahomira das Regiment zu[62] und ließ die Christen von ihrem heidnischen Anhange grausam verfolgen, wovon viel zu erzählen wäre. Als aber ihr Sohn Wenzeslaw heranwuchs, schirmte er kräftig das Christenthum. Darüber erzürnte sie sich eines Tages so heftig, daß sie einen Eid schwur, von dannen und nach ihres Vaters Grabe nach Saaz zu fahren und dort den alten Göttern zu opfern. Wie nun der Wagen an der Kirche zu St. Matthäi vorbeifuhr, hörte der Kutscher drinnen im Gotteshause das Meßglöcklein, sprang, weil er ein Christ war, vom Wagen, warf die Peitsche von sich und fiel auf die Kniee. Darüber begann das böse Heidenweib über alle Maßen wüthend zu lästern und zu toben, Gott und Christum zu verfluchen und alle Heiligen – und siehe, da that sich unter Blitzen und Donnerkrachen der Erdboden auf und schlang Drahomira sammt Rossen und Wagen in einen unermeßlich tiefen Abgrund hinunter. Aus dem Abgrunde aber schlugen Rauch und Feuerflammen und ein entsetzlicher Gestank verpestete die Luft; dann schloß sich die Kluft, und nur des Kutschers Peitsche blieb außen, der nun Gott inbrünstig dankte. Als die Priester und die Schaar der Andächtigen aus der Kirche traten, hörten sie in der Tiefe der Erde noch ein zeterndes Heulen. Lange Zeit ist hernach dieser Ort mit einem Zaune umgeben gewesen, wobei sich das Sonderbare zutrug, daß, wer über den Zaun schritt, an demselben Menschen wurde des Tages ein Zeichen des Fluchs gespürt, oder er fiel in eine weltliche Schande, so daß man später die Stelle mit einer Mauer umgab. Auch stellte man zum ewigen Gedächtniß eine[63] Säule dorthin, nahe dem Wirthshaus zum Weidenhof, und schrieb an diese die Kunde von dem Strafgericht des erzürnten Himmels.

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840, S. 62-64.
Lizenz:
Kategorien: