12. Die Prager Brücke und ihre Wahrzeichen.

[64] Seit undenklichen Zeiten ist die Prager Brücke weit und breit berühmt. Sie ist 1770 Fuß lang, 35 Fuß breit und hat 18 Schwibbogen. Als ihr Bau begann unter Kaiser Karl IV., war so wohlfeile Zeit, daß man für einen Silberpfennig ein Dutzend Eier kaufte; darum nahmen die Baumeister Eier und Wein unter den Kalk, dadurch der Mörtel so fest wurde, daß eher die Steine zu zerbrechen, als von einander zu trennen sind.

Diese Brücke zu bauen kostete einen Heller mehr, als die Kirche Slovan oder St. Emaus.

Das bekannteste Wahrzeichen der Brücke sind fünf kleine Enten an jeder Seite des breiten Brückenthurmes an der Altstadt, der auch sonst mit mancherlei Bildwerk geziert ist. Von diesen Enten hat das Volk ein Scherzwort: Wer nicht ehrlich geboren ist, kann nicht alle Fünfe sehen.[64]

Die Brücke selbst ist voll schöner, zum Theil erneuter und späterer Zeit angehörender Statüen, von denen die eherne des heiligen Nepomuk, des Schutzpatrons von Prag, von ganz Böhmen und von allen Brücken – die herrlichste und kostbarste neben dem ebenfalls metallenen und vergoldeten Crucifix ist.1

Ein zweites Wahrzeichen wird erblickt am Brückenthurme der Kleinseite nach der Altstadt zu. Da sieht man hoch oben an der Thurmzinne eine Lücke im Gemäuer. Einst, es war am 17. des Christmondes 1252, ritt ein Edler, Namens Berthold von Bertholdy, über die Prager Brücke. Da stritten oben am Thurme zwei Raben mit einander und schrieen und schlugen heftig mit den Flügeln; dabei rührten sie an einen Stein, der wohl schon lange los und locker im Gefüge der Mauer hängen mochte, und so fiel der Stein herab und dem Ritter gerade auf den Kopf, so daß er alsbald vom Pferde sank und auf der Stelle den Geist aufgab. Viele ehrenhafte Männer und selbst der König trugen Leid um den Rittersmann.

Ein drittes Brückenzeichen ist der Bradcy oder Großbart. An dem Schwibbogen, welcher unter dem Spital der Kreuzkirche zu unserer lieben Frauen in der Altstadt steht, erblickt man einen verwunderlichen alten Manneskopf eingemauert, mit mächtig großem[65] Barte, den die Böhmen den Bradicz nennen. Dieser Kopf ist den Anwohnern ein warnendes Zeichen gegen Wassergefahr; denn wenn die Moldau anschwillt und die Fluth im Mühlarme der Moldau bis zu des alten Steinbildes Barte ansteigt, dann räumen jene aus, denn es ist dann vor dem wachsenden Wasser Gefahr im Verzuge.

1

Die schönen Sagen und Legenden von dem heil. Nepomuk sparen wir einem der folgenden Hefte auf.

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840, S. 64-66.
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