4. Libussa.

[48] Als nach dem Tode Kroks seine drei Töchter ihres Vaters Erbe in Besitz genommen, loseten sie um dessen Theilung. Da erhielt Kassa das Land gen Mitternacht, Tetka das gen Niedergang, und Libussa das ganze Gebiet gen Aufgang mit des Vaters Hochburg Psary. Weit im Lande breitete sich Libussa's Ruhm aus, und alles Volk kam, sich in Streitigkeiten von ihr Recht sprechen zu lassen oder ihre Verkündigungen zukünftiger Ereignisse zu vernehmen. Sie selbst lebte jungfräulich, züchtig, ein Beispiel den Ihrigen und allem Volke, und dieses wählte sie einstimmig zu einer Richterin und Königin.

Libussa erweiterte und befestigte das Schloß Psary. Oft saß sie dort auf einem hohen Felsen über dem Kreise ihrer Jungfrauen, blickte sinnend in die Gegend hinab und sprach Recht oder Worte der Weissagung.[48] Eines Tages gebot sie, das Schloß nicht mehr Psary, sondern Libin zu nennen.

Silber und Gold, welches man in rohen Klumpen im Lande fand, wurde der Königin zugesendet und sie begründete den Bergbau.

Einst begab es sich, daß zwei Brüder uneins wurden über Aecker und sonstiges Besitzthum und zu Libussa kamen, daß sie Recht spreche. Dieser Richterspruch wurde zur Ursache, daß Böhmen einen Fürsten bekam. Ein uraltes böhmisches Gedicht singt und sagt davon, wie Libussa urtheilte und Recht sprach.

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840, S. 48-49.
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