5. Libusa's Gericht.

[49] (Anhang der Königinhofer Handschrift, herausgegeben v. Hanka, übersetzt von Swoboda, Prag 1829.)


Ei, was trübst du, Wletawa, dein Wasser?

Was trübst du dein silberschäumig Wasser?

Hat empört die Wellen wilder Sturmwind,

Rings vom Himmel Wettergüsse schüttend,

Ab die Häupter grüner Berge spülend,

Fort den Lehm und fort den Goldsand spülend?

Wie doch sollt' ich nicht die Wasser trüben?

Liegen doch im Zwist zwei eig'ne Brüder,[49]

Eig'ne Brüder um des Vaters Erbe.

Grimmen Hader führen mit einander

An der Otawa der wilde Chrudos,

An der Otau, die sich goldreich schlängelt,

An der Radbuza der kühne Staglaw,

Beide Brüder, beide Klenowice

Alten Stamms von einem Zweig des Popel,

Der da kam mit Cech und seinen Schaaren

Durch drei Ström' in dieses Land voll Segen.

Flog herbei nun eine kirre Schwalbe,

Flog herüber von der Otau Krümmung,

Ließ sich nieder auf dem breiten Fenster

An Libusa's güldnem Vatersitze,

Auf dem Wyserad, des Vaters Hochburg;

Und sie klaget, und sie stöhnt im Grame.

Als es hört der Beiden eig'ne Schwester,

Ihre Schwester in Libusa's Hofburg,

Fleht sie auf dem Wysegrad die Fürstin,

Hier im off'nen Saal Gericht zu halten,

Vorzuladen ihre Brüder beide,

Recht zu sprechen beiden nach Gesetzen.

Boten heißt die Fürstin nun entsenden

Nach Zutoslaw von der Weißlubice,

Wo sich stämm'ge Eichenforste dehnen,

Nach Lutobor von Dobroslaw's Kulme,

Wo der Adler Wellen trinkt die Elbe,

Nach Ratibor von den Riesenbergen,

Wo den grimmen Drachen Teut erschlagen,

Nach Radowan von der Felsenbrücke,

Nach Jarozir von den ström'gen Bergen,[50]

Nach Strezibor von Sazawa's Au'n, nach

Samorod zur Mies, der silberström'gen,

Nach den Grafen, Rittern, Stammeshäuptern,

Nach den Brüdern auch, Chrudos und Staglaw,

So im Hader um des Vaters Erbe.

Als versammelt Ritter, Stammeshäupter

Auf dem Wysegrad, dem Sitz Libusa's,

Stellt sich Jeglicher nach seiner Abkunft;

Tritt in weißem Schleppgewand die Fürstin

Auf des Vaters Thron in hohem Rathe.

Ihr zur Seite steh'n zwei kluge Jungfrau'n,

Vielgewandt in edler Seherkunde.

Jene hält die Tafeln der Gesetze,

Die das Schwert, das jede Unbill strafet.

Feu'r vor ihnen, Wahrheit zu erproben,

Unter ihnen heilig-sühnend Wasser.

Da von Vaters güld'nem Thron' die Fürstin:

»Meine Räthe, Ritter, Stammeshäupter!

Recht hier sollt ihr zweien Brüdern sprechen,

Die da hadern um des Vaters Erbe,

Um des Vaters Erbe mit einander.

Nach den Satzungen der ew'gen Götter

Sollen sie damit gemeinsam schalten,

Oder drein zu gleichem Theil sich theilen.

Meine Räthe, Ritter, Stammeshäupter,

Mög't entscheiden ihr nach meinem Spruche,

Ist er euch genehm nach eu'rem Sinne.

Ist er nicht genehm nach eu'rem Sinne,

Mögt ihr ihnen neues Urtheil sprechen,

Das vereine die entzweiten Brüder.«[51]

Neigen sich die Ritter und Stammhäupter;

Leise drauf beginnen sie zu sprechen,

Leise sich zusammen zu besprechen,

Und sie hießen gut der Fürstin Ausspruch.

Auf stand Lutobor vom Kulm Dobroslaw's,

Und begann zu sprechen diese Worte:

»Hohe Fürstin auf des Vaters Goldthron!

Wir erwogen treulich deinen Ausspruch,

Sammle denn im Rath' der Stämm' die Stimmen.«

Jungfrau'n sammelten die Richterstimmen,

Sammeln sie in heilige Gefäße,

Geben sie den Rittern auszurufen.

Auf stand Radowan, der von der Brücke,

Und begann, der Stimmen Zahl zu prüfen,

Den Beschluß dem Volke zu verkünden,

Allem Volk, das zu Gericht' versammelt:

»Söhne Klens und eig'ne Brüder beide,

Alten Stammes ihr vom Zweig des Popel,

Der da kam mit Cech und seinen Schaaren

Durch drei Ström' in dieses Land voll Segen!

Ihr vergleicht euch so um euer Erbe:

Beide sollt's gemeinsam ihr besitzen.«

Auf stand Chrudos von der krummen Otau,

Gall' ergießt sich ihm durch all sein Inn'res,

Und vor Grimm erzittern alle Glieder,

Schwingt den Arm und brüllet gleich dem Ure:

»Weh der Brut, wenn Ottern mit ihr nisten!

Weh den Männern, wenn ein Weib gebietet!

Männern ziemt's zu herrschen über Männer,

Und dem Erstgebor'nen ziemt das Erbe.«[52]

Auf vom goldnen Throne stand Libusa,

Sprach: »Ihr Räthe, Ritter, Stammeshäupter!

Meine Schmähung habt ihr all' gehöret,

Richtet selbst das Recht nach dem Gesetze;

Nimmer werd' ich eure Zwiste schlichten.

Wählet einen Mann euch, eures Gleichen,

Der euch herrsche mit dem Eisenstabe;

Mädchenhand ist schwach, ob euch zu herrschen.«

Auf stand Ratibor vom Riesenberge

Und begann zu sprechen solche Worte:

»Ruhm nicht wär's, bei Deutschen Recht zu suchen,

Haben Rechte selbst nach heil'ger Satzung,

Die gebracht vor Zeiten unsre Väter

In dieß Land voll Segen.«

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840, S. 49-53.
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