Vorwort.

[5] Indem ich mich der Herausgabe des umfassenden Sagenwerkes unterziehe, welches dieser Band eröffnet, habe ich mich über die Tendenz und Haltung desselben mit wenigen Worten auszusprechen.

Unser Buch soll ein Volksbuch im edelsten und besten Sinne werden; es soll in des Volkes Händen allverbreitet ihm vor Augen und zu Herzen bringen, was meist aus ihm selbst lebendig heraustönte: die Sage, das Mährchen, die Legende, dieser Dreiklang der Poesie des Volkes. Den Vaterlandssinn, die Vorliebe für das Heimische und Heimathliche, für die alten Erinnerungen soll unser Buch beleben und erwecken helfen und dabei eine sittliche und belehrende Unterhaltung gewähren.

Den hohen sittlichen Werth der Volkssage habe ich an einem andern Orte1 bereits ausführlich[5] besprochen. Er ist unzweifelhaft und überall bewährt.

Um aber hier günstige Bahn zu brechen und Eingang zu gewinnen, scheint es mir bei der ungeheuern Größe des Terrains unerläßlich, nicht nach Ländern, Provinzen und Gebieten solche Sagenkreise zu ziehen, wie ich bei dem Lande Thüringen gethan und ferner thun werde, sondern vorerst die der Menge gefällige Form bunter Mannichfaltigkeit zu wählen, damit nach allen Richtungen hin fast gleichzeitig die Stofffülle sich verbreite. So wird ein reichhaltiges Material, wie es noch nie gesammelt erschien, sich anhäufen und sich auch der wissenschaftlichen Sagenforschung dankenswerth darbieten, die ich bei allen meinen Bestrebungen im Gebiete der deutschen Volkssage stets auf das Ernsteste vor Augen habe.

Neben den zahlreichen Schriftquellen, die mir zu Gebote stehen und die zu vermehren ich unablässig bemüht bin, verschafften und verschaffen meine Verbindungen mir auch mündliche Traditionen so daß mit mancher noch ungedruckten Sage diese Sammlung vermehrt werden wird.

Die Abwechselung der Erzählung in Prosa mit metrischen Sagenbearbeitungen lag im Wunsche des Herrn Verlegers; ich wähle jedoch, wo[6] ich nicht selbst der Autor bin oder alterthümlichen poetischen Ueberlieferungen folge, nur gelungene Balladen und Romanzen österreichischer Dichter aus und nenne die Quelle oder die Verfasser mit der gebührenden Anerkennung. Diese Letzteren werden mir wegen solcher Aufnahme nicht zürnen, da ich über mich selbst gern das Gleiche ergehen lasse.

Daß ich gediegene Sagensammlungen benutze, liegt in der Natur der Sache; oft wird auch eine Sage nach anderer Lesart oder verschiedenartiger Erzählung mitgetheilt werden, denn mannichfaltig ist überall die Weise, in welcher beliebte Sagen volksthümlich ausgeprägt erscheinen. Ausschmückung aber, welche von der Einfachheit der Tradition gänzlich abweicht, sie entstellt oder gar unkenntlich macht, wird von mir stets verschmäht und vermieden werden.2

Weit früher, bevor ich begann, die Sagen meines Heimathlandes, Thüringen, zu sammeln und herauszugeben, war es Oesterreich und vornehmlich Böhmen, dessen Vorzeit und Sagenwelt mich mächtig anzog, so daß ich dieselbe zum Gegenstand[7] ernster Studien machte. Ich sammelte Chroniken, Geschlechtshistorien und Karten, und das Ergebniß jener Bestrebung wurde zum Erstlings-Versuch eines geschichtlichen Romans, welcher unter dem Titel: Die Weissagung der Libussa, 1829 in 2 Bänden erschien. Es fehlte später nicht an Aufmunterung und Anregung, auf diesem Gebiete weiter zu schreiten, fortzusammeln und den Kreis meiner Kenntniß desselben zu erweitern, so daß ich es mindestens nicht als ein unberufener Fremdling betrete.

Ausführliche Mittheilung über die bei diesem Werke benutzten Literaturquellen, wie über die Verwandtschaft vieler Sagen Oesterreichs zu andern deutschen Sagen bleibt einer spätern Zeit vorbehalten.

Ein äußerst reichhaltiges Material liegt zu unserm Werke vor; möge das Publikum demselben so viel Antheil spenden, daß wir uns aufgemuntert fühlen, das Unternehmen mit der Liebe zu Ende zu führen, mit welcher dasselbe von uns begonnen wird!

Meiningen, im Herbst 1839.

Ludwig Bechstein.

1

Ueber den ethischen Werth der deutschen Volkssagen. Eine Abhandlung, vorgedruckt dem dritten Theile des Buches: Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes. Meiningen u. Hildburghausen, 1837.

2

Vielfach versündigen in neuerer Zeit Unberufene sich an der Unverletzlichkeit der Volkssage, indem sie deren Begriff mit Erdichtung für identisch halten, und als schnellfertige Sagenfabrikanten ihre an den Haltpunkt einer Sage vielleicht lose angeknüpften Fabeleien als Sagen unter's Volk streuen.

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840.
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