Vorwort

Die Volkslitteratur hat seit einiger Zeit eine erhöhte Bedeutung gewonnen, die darin zu suchen ist, daß sich das Denken und Fühlen eines Volkes in seiner ganzen Reinheit treuer darin widerspiegelt als in der verfeinerten und ihrer Ursprünglichkeit mehr oder weniger beraubten Bücherlitteratur. In den letzten Jahrzehnten ist das Dunkel, das über dem afrikanischen Kontinent lag, zum guten Teil aufgehellt worden; nur über das Geistes- und Gemütsleben seiner Bewohner herrscht noch vielerlei Unklarheit. Ich habe geglaubt, nicht besser den lange verkannten Afrikanern zu ihrem Rechte verhelfen zu können, als wenn ich eine Auswahl aus den Erzeugnissen ihrer Volkslitteratur zusammenstellte und dem Leser überließe, daraus selbst den Schluß zu ziehen, wie groß oder wie klein der Abstand ist, der den Neger in seinem Denken und Fühlen von dem kultursatten Europäer trennt.


Berlin im März 1896


A. Seidel

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Geschichten und Lieder der Afrikaner. Berlin: Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund, 1896.
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