12. Der Pope und seine Frau.

[134] Es war einmal ein Kaufmann, der hatte zum Nachbarn einen Popen mit einer schönen Frau. Da er gegenüber am Fenster sass, sah er sie Tag für Tag; und so verliebten sich die beiden in einander. Eines Tages sprach er zu ihr: »Ich liebe dich«; und sie antwortete: »Ich liebe dich auch, aber was sollen wir thun, da ich den Popen habe?« Jener sagte: »Ich will hingehen und in dem Hause wohnen, welches an das deinige anstösst, damit ich dich in der Nähe habe«. Sie sprach: »Gut«. Nach ein oder zwei Tagen siedelte der Kaufmann in das andere Haus über. In der Mauer zwischen den beiden Häusern war eine Thür, die sich in das Zimmer der Popenfrau öffnete. Was für einen Gedanken hatte diese nun? Sie sprach eines Tages zu dem Kaufmanne: »Willst du mich zur Frau?« »Gewiss, aber du bist ja verheiratet.« Sie antwortete: »Lass das meine Sorge sein, ich will die Sache schon besorgen; sage du nur dem Popen, du wollest dich verheiraten, und er solle kommen dich zu trauen«. Also sagte der Kaufmann zum Popen: »Sonntags, lieber Pope, will ich mich verheiraten; sei so gut und komm mich zu trauen«. »Gut, mein Sohn,« sprach jener, »Sonntag Abend werde ich kommen«. Als der Sonntag Abend gekommen war, sagte der Pope zu seiner Frau: »Wo bist du, Frau? Mache mir meine Handtasche und Papier zurecht, denn ich will gehn, um unsern Nachbarn zu trauen«. Die Frau brachte ihm alles und gieng schlafen; »aber,« sagte sie, »komm rasch zurück, Pope, denn ich fürchte mich allein zu schlafen«. »Gut, Frau,« sprach er, und nahm die Tasche und gieng zur Thür hinaus. Wie nun der Pope zur Thür hinaus war, da zog sich die Hündin von Frau als Braut an und gieng zu der inneren Thür hinaus in das Haus des Kaufmanns und setzte sich neben ihn wie eine Braut. Als der Pope kam, sah er voll Erstaunen, dass die Braut seiner Frau ähnlich sei; und er brachte es nicht über sich, seinen Gesang anzustimmen, sondern sagte zu dem Bräutigam:[134] »Mein Sohn, ich habe ein Papier vergessen und gehe es zu holen; ich bin gleich wieder da«. Der Pope gieng fort; bevor er aber zu seiner Hausthür kam, gieng seine Frau durch die innere Thür in ihr Haus und kleidete sich aus. Der Pope klopfte an die Thür: »Mache auf, Frau,« rief er ihr zu. »Was gibts denn, Pope?« antwortete sie von innen und gieng und öffnete ihm die Thür. »Ich habe ein Papier vergessen; aber wo bist du?« »Bist du denn verrückt geworden? siehst du mich nicht?« antwortete jene. »Gut, Frau; mir kam es so vor –«. »Was kam dir vor? Was sagst du da?« »Nichts, Frau; lege dich nieder und schlaf«. Damit gieng er wieder zur Thür hinaus. Wie er hinaus war, zog sich die Frau wieder als Braut an und gieng durch die innere Thür zum Nachbarn. Als der Pope kam, war sie schon dort. Der Pope stand erstaunt da und schaute und sprach bei sich selbst: »Ist das nicht meine Frau?« Aber dann sagte er: »Ich habe sie eben zu Hause verlassen, wie sollte sie hieher kommen?« Der Kaufmann sprach: »Was sitzest du immerfort da und trauest uns nicht?« »Mein Sohn, ich habe wieder ein Papier vergessen und will gehen es zu holen«. Er gieng wieder zur Thür hinaus; aber bevor er zu seiner Hausthür kam, war seine Frau schon zurück, hatte sich niedergelegt und schlief. Der Pope rief, als er an die Thür kam: »Bist du drin, Frau?« »Ach, Pope,« antwortete sie von innen, »dir ist etwas zugestossen; möge dich unser Herrgott schützen!« »Mache die Thür auf, Frau, damit ich dich sehe«. »O ich unglückliche! ich werde krank werden, denn ich bin schon ausgekleidet,« sprach sie und stand auf und machte die Thür auf. »Sage, wozu willst du mich sehen? du bist doch nicht verrückt geworden?« »Verzeih mir, Frau,« sagte er, als er sie sah, »mir kam es vor, als ob –«. »Schäme dich, Pope, was sind das für Dinge? geh hin und traue den Nachbarn; jetzt aber lass mich schlafen«. Da machte sich der arme Pope wieder auf und gieng geschmäht fort. Als er in das Haus des Bräutigams trat, sah er wieder seine Frau, die als Braut da sass; der arme trat näher und sah sie genau an und erkannte wol, dass es seine Frau sei; und am liebsten hätte er seine Vorlesung nicht angefangen, sondern wäre wieder fortgegangen, um zu Haus nachzusehen.[135] Aber er fürchtete sich, er könnte seine Frau wieder im Schlafe treffen und müsste wieder beschämt abziehen. Also vollzog er die Trauung. Als er fertig war, trugen sie einen bereit stehenden Imbiss auf; und sie assen und tranken so lange, bis der Pope betrunken war. Da sprach die Frau zu dem Bräutigam: »Jetzt, wo der Pope betrunken ist und schläft, wollen wir ihm den Bart abschneiden und ihm Lumpen anziehen und ihm Pistolen in den Gurt stecken, wie einem Räuber; fasse du ihn beim Kopf und ich bei den Beinen, wir wollen ihn heraus an den Hofzaun tragen, damit er im Mondenlicht schlafe«. Sie trugen den armen also hinaus und schlafend, wie er war, liessen sie ihn draussen; und sie legten sich zu Bett. Der arme Pope schlief bis zum andern Morgen; als er aufwachte, legte er die Hand an seinen Bart (diese Gewohnheit haben die Popen des Morgens) und fand auch nicht ein einziges Haar; er legte die Hand auf sein Haupt und fand einen Fes; er betrachtete seinen Körper: er war in Lumpen gekleidet; er legte die Hand an seinen Gürtel und fand Pistolen; an seiner Seite fand er statt seiner Frau ein Gewehr. »Wie,« rief er aus, »bin ich nicht Pope? träume ich etwa?« Er rieb sich erstaunt die Augen, er rief seine Frau – umsonst. Während er noch bei sich selbst überlegte, sah er einige bewaffnete Männer dort vorbei gehen; er fragte sie, wer sie wären und wohin sie giengen. »Wir sind unser fünf,« antworteten sie, »alle Räuber«. »Auch ich,« sprach der arme Pope, »bin ein Räuber; ihr seid fünf, ich einer, also sechs«.


Der erste Theil des M. bis zur Verkleidung des betrunkenen Popen ist eine eigenthümliche Version der bekannten alten und weitverbreiteten Erzählung von dem Ehemanne, der vermittelst einer geheimen Thür oder eines Loches oder eines unterirdischen Ganges, die sein Haus mit dem Nachbarhaus verbinden, um seine Frau betrogen wird. Vgl. über diese Erzählung Dunlop Liebrecht S. 197, D'Ancona in seiner Ausgabe der »Novelle di Giovanni Sercambi«, S. 285 (zu Nov. XIII ), W. Bacher in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft XXX, 141, und F. Liebrecht, Zur Volkskunde, S. 127. Von Volksmärchen gehören hieher Hahn Nr. 29, worauf schon D'Ancona a.a.O. hingewiesen, ferner Radloff IV, 393, Prym und Socin, Syrische Sagen u.M., Nr. XI, und Busk, The Folklore of Rome, S. 399. Letztgenanntes M. steht der Novelle in Versen »Re Barbadicane e Grazia« von dem berüchtigten D. Batacchi[136] sehr nahe. Auch eine Wiener Haupt- und Staatsaction (Karl Weiss, Die Wiener Haupt- und Staatsactionen, Wien 1854, S. 75 ff. Nr. VI), Kotzebues Lustspiel »Die gefährliche Nachbarschaft« und Platens »Der Thurm mit sieben Pforten« behandeln den Stoff.

Quelle:
Meyer, Gustav: Albanische Märchen. In: Archiv für Litteraturgeschichte, 12 (1884), S. 134-137.
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