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Es war einmal eine arme alte Frau, die hatte einen Sohn. Als dieser herangewachsen war, sprach sie zu ihm: »Mein Sohn, wir sind arme Leute; jetzt, wo du erwachsen bist, musst du dich umsehen einen Dienst zu finden, damit wir leben können; denn ich kann dir nicht mehr zu essen geben«. Der Jüngling sah ein, dass seine Mutter wenig hatte, und sprach zu ihr: »Mutter, fürs arbeiten bin ich nicht; aber wir wollen meinem Pathen schreiben, der Kaufmann in Smyrna ist, er solle mich aufnehmen, damit ich mein Auskommen habe und auch dir zum leben schicken kann«. Also schrieben sie an den Pathen, und der war es von ganzem Herzen zufrieden, den Jüngling bei sich aufzunehmen. Die Mutter machte ihm Kleider und schickte ihn mit einem Schiffe nach Smyrna. Als der Jüngling zu seinem Pathen kam, nahm er ihn freundlich auf und setzte ihn in seinen Laden; und, da er ledig war, gab er dem Jüngling Geld, und dieser gieng hin und kaufte ein und kochte die Mahlzeiten.
Eines Tages, als der Jüngling unter der Thür des Ladens sass, sah er einen Lastträger, der trug einen Kasten und rief: »Ich verkaufe diesen Kasten; und wer ihn kauft, wird es bereuen, und wer ihn nicht kauft, wird es wieder bereuen«. Als der Jüngling dies hörte, sagte er: »Was sagt dieser Mann? was hat dieser Kasten zu bedeuten? ich will ihn kaufen«. – »Wieviel willst du für den Kasten, Lastträger?« sprach er zu diesem. »Fünfhundert Piaster, mein Sohn,« antwortete dieser. Der Jüngling, der soviel Geld nach und nach von seinem Lohne zusammen gespart hatte, gab sie ihm und nahm den Kasten und stellte ihn ohne Vorwissen des Pathen in einen Winkel des Ladens. Am folgenden Tage war Sonntag, und der Jüngling machte sich auf, gieng und kaufte ein; hierauf gieng er in die Kirche und sprach bei sich selbst: »Wenn ich aus der[127] Kirche komme, will ich hingehen und das Essen machen«. Als er aus der Kirche kam, gieng er nach Hause und fand das Essen fertig, und zwar so gut, wie es auch der beste Koch nicht gemacht hätte. »Ah, schau!« sprach er, »der Pathe ist gekommen und hat das Essen bereitet, während ich abwesend war«. Als der Pathe kam, trugen sie die Speisen auf und setzten sich zum Essen. Wie nun der Pathe sah, dass das Essen so gut war, sprach er zu Konstantin (so hiess der Jüngling): »Mein Sohn, heut, wette ich, hat auch der König keine so gute Mahlzeit; du bist der beste Koch der Stadt geworden«. Der Jüngling sprach bei sich selbst: »Schau! der Pathe hat das Essen selbst bereitet und jetzt will er mich damit tadeln«. Er wurde ein wenig roth und sagte nichts. An einem andern Tage kaufte er Fische ein und liess sie im Hause; er gieng in den Laden, um Mittags wiederzukommen und sie zu kochen. Als er mit seinem Dienst fertig war, gieng er nach Haus, und fand die Fische gekocht, und zwar so schön wie nie zuvor. »Aha,« sprach er, »der Pathe hat mir wieder die Arbeit abgenommen«. Der Pathe kam zu Mittag, und sie setzten sich zum Essen; und jenem kam die Mahlzeit so gut vor, dass er nicht wusste, was er dem Jüngling alles für Lob sagen sollte.
Da nun der Jüngling sah, dass der Pathe that, als ob er nichts wüsste, beschloss er aufzupassen; er gieng am folgenden Tage, kaufte ein und brachte es nach Hause, aber anstatt in den Laden zu gehn, verbarg er sich in einem Schrank. Da sah er, wie aus jenem Kasten, den er gekauft hatte, ein Mädchen heraus kam, so schön, dass das Haus von ihrer Schönheit leuchtete. Sie schürzte sich auf und begann zu kochen. Als der Jüngling sie sah, wurde er so entzückt, dass er sich nicht halten konnte; er kam langsam hervor, fiel ihr zu Füssen und sprach: »Bist du ein Engel oder ein Mensch?« »Ich bin ein Mensch,« erwiderte sie, »fürchte dich nicht! Als ich in dieses Land kam, sah ich dich und verliebte mich in dich, weil du so schön bist. Ich bin die Tochter des Königs von Aegypten; und eines Tages, als ich nach Smyrna gekommen war, um den Sommer dort zuzubringen, sah ich dich und seitdem liebe ich dich. Als ich zu meinem Vater nach Aegypten zurückkehrte, wollte er mich verheiraten; und ich, da ich dich[128] liebte und wusste, dass mein Vater mich dir niemals geben würde, sagte: ›Ich will mich nicht verheiraten‹. Da gerieth er in Zorn und befahl einem seiner Leute mich in einen Kasten zu stecken und mich heimlich weit von Aegypten zu verkaufen. Ich sagte diesem Manne, ich würde ihm viel Geld geben, wenn er thäte, was ich ihm sagte. Und da gebot ich ihm, er solle mich nach Smyrna bringen und mich an dich verkaufen. Nun wollen wir sehen, was mein Vater machen wird; denn er hat kein andres Kind«. Als Konstantin sah, dass das Mädchen eine Prinzess war, fiel er ihr zu Füssen. Sie aber hob ihn auf und küsste ihn, und sie heirateten sich heimlich, ohne Wissen des Pathen. Am andern Tage gieng Konstantin und fand ein Schiff und sprach zu dem Capitän: »Ich werde dir einen Kasten geben; gib sehr gut auf ihn Acht, wie auf deine Augen, und bringe ihn zu meiner Mutter«. Also gab er ihm den Kasten, und der Capitän brachte ihn zu der Mutter des Jünglings, sammt einem Briefe, den Konstantin geschrieben, dass in dem Kasten seine Frau sich befinde. Die Mutter nahm sie freundlich auf und gewann sie sehr lieb.
Eines Tages kam ein Jude in das Haus der alten Frau, und als er das schöne Mädchen sah, ergriff ihn die Versuchung, sie zu gewinnen. Darum brachte er eines Tages, als er sah, dass sie unter die Thür trat, ihr Waaren zum Verkauf; wie ihn aber das Mädchen sah, gieng sie hinein. Der Jude gieng Tag für Tag vorbei, um sie zu sehen: sie verbarg sich; er schickte Leute, die mit ihr reden sollten: sie aber hörte sie nicht an, bis der Jude endlich ergrimmte und einen Brief an Konstantin schrieb, in dem er ihm sagte, seine Frau liesse ohne Vorwissen seiner Mutter alle jungen Leute ins Haus und sei ein ganz nichtsnutziges Weib. Als Konstantin dies hörte, gerieth er in so heftigen Zorn, dass er Smyrna verliess und zu seiner Mutter gieng. Als ihn das Mädchen vom Fenster aus sah, kam sie rasch herab, um ihm die Thür zu öffnen und ihn zu küssen. Dort bei der Thür floss ein grosser Strom vorbei. Als sich nun die Thür öffnete und Konstantin seine Frau sah, ward er so zornig, dass er nicht wartete, um zu fragen, ob das wahr wäre, was ihm der Jude geschrieben; sondern er fasste sie und warf sie in den Fluss. Hierauf gieng er hinein zu seiner Mutter[129] und fragte sie über seine Frau. Da erzählte sie ihm, was alles der Jude angestellt habe, um seine Frau zu gewinnen, und wie diese ihn abgewiesen habe. Da war Konstantin nahe daran, sich zu tödten. Er gieng zum Flusse, er schickte Männer aus, um zu sehen, ob sie ertrunken sei; aber es sah sie niemand. Da gieng er wie ein wahnsinniger in die Berge.
Was nun das Mädchen betrifft, so hatten grade, als sie in den Fluss fiel, Fischer ihre Netze ausgeworfen; sie zogen sie halbtodt heraus und hüllten sie mit einem Mantel ein. Da kam ein Türke zu Pferde vorbei und fragte die Fischer, ob sie Fische hätten; und sie erwiderten ihm, sie hätten nichts gefangen als diese Frau. Als er sie erblickte, ergriff ihn Liebe zu ihr, und er kaufte sie von den Fischern um fünfzehntausend Piaster. Als sie erwachte, sah sie einen Türken bei sich; da erinnerte sie sich, was ihr widerfahren war. Und sie sprach zu dem Türken: »Was willst du nun mit mir machen? Wenn du mich nimmst, und es sieht dich ein andrer, der stärker ist als du, wird er mich dir wegnehmen. Aber weisst du, was wir thun wollen? Gib mir deine Kleider, damit ich mich anziehe wie ein Mann; so wird man nicht erkennen, dass ich eine Frau bin«. Er willigte ein; sie nahm die Kleider des Türken und gieng hinter einen Dornbusch, um sich umzukleiden. Dort stand auch das Pferd des Türken; und als sie sich angekleidet hatte, bestieg sie das Pferd und entfloh. Der Türke sah, dass sie lange ausblieb, und gieng hin, nachzusehen: sie war verschwunden. So musste er allein weiter ziehen und dazu ohne Pferd.
Jene nun ritt eine Stunde nach der andern fort, über Berg und Thal, bis sie in der Nacht, ohne es zu wissen, nach Aegypten kam, in die Stadt, wo ihr Vater regierte. Und da die Thore verschlossen waren und es schneite und regnete, sank sie draussen am Thore der Hauptstadt des Landes zusammen. Nun war in Aegypten in diesen Tagen der König gestorben, und da er keinen Thronerben hinterlassen hatte, versammelten sich die Minister und sandten aus, um die Tochter des Königs zu suchen, welche verloren gegangen war (so hatte der König fälschlich gesagt). Sie suchten sie einige Tage, ohne sie zu finden; da aber das Land einen König[130] brauchte, sprachen sie: »Da sich kein Kind aus dem Blute des Königs findet, so wollen wir den zum Könige machen, den man nach dieser bösen Nacht voll Schnee und Kälte zuerst draussen an dem Thore der Stadt findet«. Am folgenden Morgen nun sah das Mädchen, als Mann gekleidet, wie sie war, und halbtodt vor Kälte, wie sich das Thor öffnete und die Minister heraus kamen. Als diese einen so schönen Jüngling sahen, fielen sie ihm zu Füssen, nahmen ihn, brachten ihn nach dem Palast und krönten ihn zum Könige. Da sie weise war und niemand wusste, dass sie eine Frau sei, regierte sie das Königreich so trefflich, dass alle sie liebten wie den lieben Gott, und sie war von ihrem Volke so sehr verehrt, dass man ihr Bild an allen Quellen des Landes anbrachte, damit es alle sähen, welche kämen, um Wasser zu schöpfen. Das Mädchen nun sagte heimlich ihren Leuten, wenn jemand käme, um Wasser zu schöpfen, und sie sähen ihn beim Anblicke ihres Bildes seufzen, so sollten sie ihn in den Palast bringen und ihn so lange bewachen, bis sie es ihnen sagte. Da gieng eines Tages der Jude vorbei (der den Brief an ihren Mann geschrieben hatte) und, als seine Augen auf das Bild fielen, seufzte er. Wie das die Leute des Königs sahen, nahmen sie ihn und brachten ihn in den Palast. Eines andern Tages giengen die Fischer vorbei; auch sie seufzten beim Anblick des Bildes, und man brachte sie nach dem Palast. Nach einigen Tagen gieng der Türke vorbei, und sie nahmen ihn gefangen wie die Fischer. Endlich nach einigen Tagen gieng auch ihr Mann vorbei und, als er das Bild sah, rief er: »Ach, wie sehr gleicht es ihr! Ach, dass ich dich verloren habe!« Und er brach in Thränen aus und wehklagte. So brachten sie auch ihn nach dem Palast. Als nun das Mädchen sah, dass alle beisammen waren, die sie wollte, versammelte sie eines Tages die Minister, um vor ihnen ein Urtheil zu fällen. Es versammelten sich alle, und sie sass als König in ihrer Mitte; dann liess sie auch alle die bringen, die man gefangen hatte, und befahl, es solle keiner reden, den sie nicht fragte. Und der König begann zu sprechen: »Jude,« sagte er, »warum hast du geseufzt, als du jenes Bild an der Quelle sahst? Lüge nicht, denn sonst lasse ich dir sofort den Kopf abschlagen«. »Was soll ich sagen,[131] Herr König,« sprach jener, »ich erkannte, dass jenes Bild eine Frau darstellt«. Und er hub an und erzählte die ganze Wahrheit, wie er den Brief geschrieben, weil das Mädchen ihn nicht zum Manne nehmen wollte. Als er geendet hatte, sprach sie zu ihm: »Gut, du hast die Wahrheit gesprochen; setze dich auf die andre Seite«. Als der Gatte aus dem Munde des Juden die Verleumdung hörte, die gegen seine Frau geschleudert worden war, sprang er auf, um ihn zu erwürgen; aber der König sprach zu ihm: »Bleib auf dieser Seite und rühre dich nicht; denn sonst wird es dir schlecht gehen«. Hierauf sagte der König zu den Fischern: »Ihr, was hattet ihr, warum seufztet ihr?« »Ach,« sprachen sie, »wir haben diese Frau aufgefischt und an einen Türken verkauft«. »Und du, Türke,« sprach der König, »was hattest du?« »Ich,« erwiderte er, »ich war es, der sie kaufte; aber sie entfloh mir und liess mich, kaum dass ich sie gesehen hatte, ohne Kleid und nahm mir mein Pferd«. Da drehten sich alle Minister um und sahen den König an; aber er gab ihnen ein Zeichen sich nicht zu rühren. Dann sprach sie zu ihrem Manne: »Und warum hast du geseufzt?« »Ach ich unglücklicher,« antwortete dieser mit Thränen in den Augen, »ich war ihr Gatte, und nun habe ich sie verloren!« »Nein,« sagte der König, »du hast sie nicht verloren. Wartet ein wenig, bis ich wieder komme«. Sie gieng hinein und legte ein Frauengewand an, das sie trug, als sie bei ihrem Manne war, und kam wieder heraus. Bei ihrem Anblick rissen alle die Augen auf. Die Minister erkannten die Tochter des Königs, und der Gatte und die übrigen das Mädchen. Zuerst kam ihr Mann und fiel ihr zu Füssen und bat sie um Verzeihung. Sie hob ihn auf, küsste ihn und setzte ihn an ihre Seite. Den Fischern gab sie Geld und dem Türken sein Eigenthum; dem Juden verzieh sie, da die Minister ihn nicht hängen lassen wollten, gebot ihm aber binnen vierundzwanzig Stunden ihr Reich zu verlassen. Dann liess sie verkündigen, dass die Tochter des Königs gefunden sei, und es wurden grosse Feste veranstaltet. Konstantin wurde König, und sie assen und tranken bis zum heutigen Tage.
Nahe verwandt ist die sogenannte Crescentia-Sage, jene in den abendländischen Litteraturen des Mittelalters und auch im Orient[132] uns begegnende Geschichte von der treuen Frau, die zuerst von ihrem in sie verliebten Schwager und später auf ihrer Flucht von andern abgewiesenen Liebhabern fälschlich angeklagt oder in Verdacht gebracht wird und bei der schliesslich, da sie Krankheiten zu heilen vermag, alle, die sich an ihr vergangen haben – auch ihr Mann – zusammen kommen.1
Man vergl. ferner das griechische M. von der Insel Astropalja (dem alten Astypalea) bei Pio S. 143, Nr. 7, welches von einer Jungfrau erzählt, die, von einem Juden, den sie nicht erhört hat, bei ihren Eltern verleumdet, von ihrem Bruder getödtet werden soll, aber am Leben gelassen wird und flicht, später als Gemahlin eines Königs abermals in Folge falscher Beschuldigung fliehen muss und in einem Kaffehaus Diener wird, wo dann zufällig auf einmal Eltern, Bruder, Gemahl und die verschiedenen Personen, die sie fälschlich verklagt haben, zusammen kommen.
Wie in unserm albanischen M. der Kasten mit den Worten zum Kauf ausgeboten wird: »Wer ihn kauft, wird es bereuen, und wer ihn nicht kauft, wird es wieder bereuen,« so werden in einem andern albanischen M. bei Dozon (Nr. XI der Uebers.) und in zwei griechischen M. (Νεοελληνικὰ Ἀνάλεκτα, I, 1, Nr. 4, und Pio S. 95) ebenfalls Kasten mit denselben oder fast ganz gleichen Worten ausgeboten. In andern M. (vgl. Archiv für slavische Philologie V, 78) wird dem Helden, der gewisse Gegenstände findet und sie an sich nimmt, von seinem Rosse gesagt: »Wenn du es nimmst, wirst du es bereuen; wenn du es nicht nimmst, wirst du es auch bereuen«. In einem rumänischen M. (M. Kremnitz, Rumänische Märchen, Leipzig 1882, S. 224) wird einem auf eine gewisse Frage geantwortet: »Wenn du es weisst, du es bereust; wenn dus nicht weisst, dus auch bereust«.
Denselben Befehl, den in unserm M. der König gibt, dass wer beim Anblick seines an allen Quellen angebrachten Bildes seufze, in den königlichen Palast gebracht werde, gibt auch in einem griechischen M. von Astypalea bei Pio S. 126, Nr. 6, ein König, der[133] ebenso, wie der König des albanischen M., eine verkleidete Frau ist, in Bezug auf ein Bild, auf dem sie einen Theil ihrer Geschichte hat malen und das sie an einer Quelle hat aufhängen lassen.
R.K.
1 | Man vergl. über die Crescentia-Sage besonders A. Mussafias in dem Decemberheft des Jahrgangs 1865 der Sitzungsberichte der phil.-histor. Classe der kais. Akademie der Wissenschaften enthaltene und auch besonders abgedruckte Abhandlung »Ueber eine italienische metrische Darstellung der Crescentiasage« (Wien 1866) und E. Rohde, Der griechische Roman und seine Vorläufer, S. 534. Den orientalischen Versionen ist noch hinzuzufügen ein tatarisches M. in W. Radloffs Proben der Volkslitteratur der türkischen Stämme Süd-Sibiriens IV, 141 (Das Weib als Fürst). Fast ganz mit der Geschichte der Repsima in 1001 Tag stimmt das griechische M. aus Epirus bei Pio S. 66, Nr. 21 = Hahn Nr. 16. |
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