Hundertdreißigste Geschichte

[121] geschah an einem Goj (Heiden) in Askalonr der hieß Dome ben Nessine. Es begab sich einmal, daß Iisroel brauchten einen Edelstein in den Efod (Schulterkleid des Priesters) der war wol sechzig tausend Gulden wert. Ein Teil Leute sagten, er war wol achtzigtausend Gulden wert. Da mußte Jisroel zu dem Dome ben Nessine gehn, der war ein großer Auscher (reicher Mann) der hatte so einen Stein. Un wie sie nun zu ihm kamen, da fragten sie ihn, ob er nit so einen Stein hätt. Da sagt er: »Ja, ich hab so einen Stein. Aber der Schlüssel von meinem Gewölb liegt unter meinem Vater seiner Kappe, un er schluft itzunder un ich darf ihn nit aufwecken, denn man soll Vater un Mutter ehren.« So mußten die Iisroel wieder hinweg gehn, wiewol er hätt viel Geld daran können verdienen. Aber er wollt seinen Vater ehren un wollt ihn nit aufwecken. »Un all könnt ich noch so viel gewinnen. Denn ich weiß wol, daß ich auf ein andermal so viel nit werd bekommen. Aber gleichwol is mir die Ehre von meinem Vater viel mehr wert, wiewol ich weiß, daß ihr ihn jetzunder müßt haben. Un wenn ich ihn dasmal nit verkauf an euch, so kriegt ihr einen andern. Noch gleichwol will ich die Awere (Sünde) nit tan, daß ich will meinen Vater aufwecken.« Un gingen sie hin un kauften anderswo einen Stein. Da hat er um viel tausend Gulden einen Schaden. Das andere Jahr da beschert ihm der Heilige, gelobt sei er, eine rote Kuh, die man hat gebracht in das Bethhamikdosch (Tempel) als Opfer, un man mußte eine haben in Iisroel. Un sie gingen wieder zu ihm un wollten sie ihm abkaufen, denn man findet gar wenig eine rote Kuh, die gar rot ist. Da sagt der Dome: »Ich weiß wol, wenn ich jetzunder wollt all das Geld haben, daß unter Iisroel is, so müßt ihr mir es geben. Aber ich begehr es nit, neiert ich will so viel dervor[121] haben als ihr mir habt wollen geben vergangenes Jahr für den Edelstein. Soviel begehr ich jetzunder für die Kuh. Weil ich nit hab wollen meinen Vater aufwecken, so hat es mir geschadet um achtzigtausend Gulden. Dieselbigen achtzigtausend Gulden begehr ich für meine rote Kuh, die ich unter meinem Vieh bekommen hab.« Also mußten die Iisroel ihm so viel geben. Un wie es die Rabbonim haben gehört, da sagten sie: »Sieh doch, wenn einer schon nit auf die Mizwe (Guttat) geboten is, un er tut die Mizwe da beschert ihm der Heilige, gelobt sei er, doch dafür so einen großen Lohn, mikolscheken (um wieviel mehr), dem die Mizwes geboten sind, un hält sie, daß ihm der Heilige, gelobt sei er, viel mehr dervor bescheren wird. Denn er sagt, Rabbi Chananje, es is ein größerer Lohn von dem, der eine Mizwe tut, un er is auf die Mizwe geboten, als einer, der eine Mizwe tut, un is nit darauf geboten, gleich wie dieser Dome ben Nessine.« »Derhalben, ihr Leut, tut Vater un Mutter ehren, da tut der Heilige, gelobt sei er, wieder bescheren, un tut ihm sein Leben viel länger machen.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 121-122.
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