Zweihundertvierte Geschichte

[237] geschah in den Tagen König Salomo. Da war ein Mann, der hatt ein schönes Weib un sie war gewaltig reich. Un der Mann war sehr alt, daß seine Zeit kam, daß er sollt sterben. Un wie er nun tot war also war die Frau lange Zeit um ihren Mann trauernd. Derweil nun diese Frau so gar schön war, so gab der Sar (Fürst) von der Medine (von dem Lande) sein Aug auf sie, un wollt die schöne Frau mit Gewalt haben. Aber diese Frau war gar fromm un wollt ihrem Mann unter der Erd keine Schande antun. Derhalben fercht sie sich gar sehr un nahm ihren halben Mammon un tät es in einen Krug. Un tät oben in das Mundloch von dem Krug Honig hinein, daß man nix merken sollt. Un gab es einem Mann aufzuheben, den sie gar wol gekannt hat. Un derselbige Mann war ihres Mannes Verwandter gewesen. Un nahm Edim (Zeugen) dabei, daß sie ihm den Krug mit Honig aufzuheben gab. Also zieht sie aus der Medine (Lande), um daß sie von ihrem Sar weg kommt. Nit lang dernach kam der Fürst zu sterben. Da das die gute Frau hat gehört, daß der Fürst tot is, so kam sie wieder in ihre Stadt. Nun hat derselbige Mann, dem sie hat Pikodaun (Deposit), aufzuheben gegeben, für seinen Sohn wollen eine Chassene (Hochzeit) machen. Also braucht er ein wenig Honig un[237] ging über den Krug un wollt ein wenig Honig herausnehmen. So gefindet er das Geld unter dem Honig. So ging er hin un nahm das Geld alles heraus un füllt den Krug wieder mit eitel Honig. Da kam die gute Frau zu dem Mann un begehrt ihr Pikodaun wieder, das sie ihm hat aufzuheben gegeben. Da sprach der Mann: »Geh hin un bring die zwei Edim (Zeugen), die derbei sind gewesen, so will ich dir deinen Krug wieder geben.« Also ging sie hin un brachte ihre zwei Edim (Zeugen). Da gab ihr der Mann ihren Krug wieder. Un wie sie nun heimkam mit ihrem Krug un wollt sehn ob ihr Pikodaun noch drinnen war, da gefand sie eitel Honig in dem Krug un das Geld war daraus genommen. So hebt sie an zu schreien un zu klagen un ging zu dem Schaufet (Richter) in die Stadt un ließ jenen Mann rufen. Da sagt der Schaufet wider die Frau: »Hast du Edim (Zeugen) derbei gehabt, da du ihm hast den Krug mit Geld aufzuheben gegeben?« Da sagt die Frau: »Mein lieber Herr, die Zeugen, die ich derbei hab gehabt, die wissen anderst nit als von Honig, das in dem Krug is gewesen.« Da sagt der Schaufet: »Meine liebe Tochter, wie kann ich dir denn helfen? Du mußt vor den König Saul gehn, laß ihn dir helfen.« Also ging sie vor den König Saul un verklagt den Mann. Da schickt der König Saul nach dem Synhedrin. Da sagt das Synhedrin auch wider sie: »Liebe Tochter hast du Edim derbei gehabt, da du ihm den Krug mit Geld hast aufzuheben gegeben?« Da sagt die Frau: »Nein, auf das Geld hab ich keine Edim derbei gehabt, denn ich hab das alles auf ein Ermoh (List) getan, damit, daß unser Sar nit sollt gewahr werden, daß ich einen so großen Mammon hab, sonst hätt er mir es mit Gewalt weg genommen.« Da sagte das Synhedrin: »Meine Tochter, wir haben keine Erlaubnis zu richten unter Iisroel, außer es müssen Edim derbei sein. Denn wir können nit richten, was einer in seinem Herzen hat.« So ging die Frau wieder hinweg von dem Synhedrin mit traurigem Herzen un schrie un weinte. Un wie sie nun wollte heimgehn, so begegnet ihr der König David. Der war noch gar jung un hütet noch die Schafe un er spielt noch mit den Jungen. Un er hört die Frau so schreien. Da frägt er warum sie so sehr schreit. Da sagt die Frau, wie es ihr war gegangen mit dem Mann, un sie hätt ihn vor dem König gehabt un auch vor dem Synhedrin. »Un sie haben mir kein Din (Urteil) darüber gegeben. Derhalben will ich dich bitten, hilf mir wieder zu dem Meinigen un gib du mir ein Din darüber.« Da sprach David: »Geh zu dem König Saul un bitt ihn, daß er mir Reschuss (Erlaubnis) gibt, so will ich den Handel vor jedem hinweisen, daß du Recht wirst haben, un will das Din ausziehen zu der rechten Wahrheit.« Also lauft die gute Frau wieder zum König un sprach: »Mein Herr König, ich hab einen Jungen gefunden, der will den Posuk (Satz) ausgeben, daß ein jeder[238] Mann könnt sehen, wie es dermit is.« Da sagt der König: »Meine Tochter, wenn du so einen weißt, bring ihn her mit dir.« Also ruft die Frau den kleinen Jungen vor den König Saul. Da sagt Saul zu David: »Bist du der, der den Din will aussprechen zu der rechten Wahrheit?« So sagt David: »Mein Herr König, wenn du mir Reschuss gibst so versichere ich mich an dem Heiligen, gelobt sei er, daß ich solches wol tun will.« Da sagt Saul so: »Geh mit ihr mein lieber Sohn, un helf der guten Frau, denn sie schreiet gar jämmerlich un man kann ihr nit helfen.« Da ging David mit der Frau in ihr Haus un sprach: »Gib heraus deinen Krug, den du hast aufzuheben gegeben.« So gab sie den Krug heraus. So sprach David zu ihr: »Kennst du auch wol, daß das der rechte Krug is?« Da sagt sie: »Ja, mein lieber Herr, das is der Krug, ich kenn ihn gar wohl.« Da fragt er den Mann auch, den Mann, der das Pikodaun bei sich gehabt hat: »Is das der Krug, den dir die Frau hat aufzuheben gegeben?« So sprach er auch: »Ja, mein Herr, ich hab sonst keinen andern Krug gehabt.« Da sprach David so: »Geht hin un bringt mir noch einen anderen Krug daher, der noch leer is.« Da ging sie hin un brachten ihm einen leeren Krug. Da leert er den vollen Krug aus in den leeren Krug. Un nahm dernach den Krug, da der Honig is drinnen gewesen un zerbrach ihn zu kleinen Stücken vor jedermann. Un sucht in den Scherben un gefindet unter den Stückern an einem Scherben zwei Goldgulden kleben. Da das David sah, sprach er wider alle: »Da seht ihr nun, daß die Frau wahr hat gehabt.« Derhalben sprach David wider den Mann: »Geh hin un gib ihr das Geld also wieder, was du ihr genommen hast, denn man sieht wol, daß du den Krug hast ausgeleert.« Wie nun alle solches sahen, da verwundert sich der König Saul, un jedermann konnt wol gedenken, daß die Newue (der prophetische Geist) auf David ruhet, derweil er solches konnt wissen. Der Heilige, gelobt sei er, laß uns sein Sechus (Verdienst) genießen un Moschiach (Messias) her lassen schießen. Omen. Seloh.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 237-239.
Lizenz:
Kategorien: