Zweihundertsiebte Geschichte

[245] geschah an einem köstlichen Rabbi, der hat geheißen Rabbi Jojsse haglili. Der hat gar ein böses Weib gehabt, die bitterer war als der Tot. Un sie verschmähet allezeit ihren Mann vor Leuten, daß sie immer daran ihre Bosheit hören ließ. Einmal sprachen die Rabbonim zu dem Rabbi Jaußi: »Lieber Rabbi, gebt euerem Weib Get (Scheidebrief), denn wie könnt ihr das leiden, daß sie euch immerdar verschmäht un gibt euch kein gutes Wort. Sie ist es doch nit wert, daß sie euer Weib sein soll.« Da sprach Rabbi Jojsse: »Nein, das tu ich nit, denn sie is von einer guten Mischpoche (Familie).« Einmal begab es sich, daß Rabbi Jojssee im Bethhamidrasch darschent (im Lehrhaus lehrt), un nach ihm darschent Rabbi Elieser. Un da sie nun ausgeredet haben, da sprach Rabbi Jojsse zu Rabbi Elieser: »Lieber, geh mit mir heim un eß mit mir zu Mittag.« Da ging er mit ihm. Wie nun Rabbi Jojsses Weib sah, daß er Rabbi Elieser mit sich brachte, da ging sie bald un nahm das Fleisch vom Herd weg, so sie gekocht hat, un setzt flugs einen Topf mit Linsen zum Feuer. Da fragt Rabbi Jojsse sein Weib: »Was hast du Gutes gekocht? Ich hab mir einen guten Gast[245] mitgebracht.« Da sagt sie: »Ich weiß nix mehr als Linsen hab ich bei dem Feuer gesetzt.« Da ging Rabbi Jojsse selbert zu dem Feuer un wollt sehen ob sie wahr hat. Da fand er eitel junge Tauben in dem Topf bei dem Feuer stehn. Da sprach er wider sein Weib: »Warum hast du mir gesagt, du hast Linsen zum Feuer gestellt? Es stehn doch eitel junge Tauben bei dem Feuer.« Da sagt die Frau: »Bei der Wahrheit, ich hab nix anderes ans Feuer gesetzt neiert Linsen.« Da sprach Rabbi Jojsse: »Da hör ich nun wohl, daß der Heilige, gelobt sei er, hat ein Ness (Wunder) getan.« Un aßen so die jungen Tauben. Wie sie nun auf hatten, da sprach Rabbi Elieser zu Rabbi Jojsse: »Gib doch deinem Weib Get, denn sie is nit wert, daß die euer Weib soll sein.« Da sprach er wider: »Ich kann ihr nit Get geben denn ihre Kessubah (Ehevertrag) is zu groß, un ich vermag nit ihr so viel Geld zu geben.« Da sprach Rabbi Elieser wieder: »Wir wollen unter uns so viel aufheben, daß du ihre Kessubah kannst geben.« So ließ sich der Rabbi Jojsse überreden un gab ihr Get un die Rabbonim hebten die Kessubah unter sich auf. Dernach nahm Rabbi Jojsse ein anderes Weib, die war sehr brav un hielt ihn gar wol, wie es nun wol billig war. Un lebten gar wol miteinander in Frieden. Un das Weib nahm auch einen andern Mann, einen Parneß (Gemeindevorsteher) in der Stadt. Un der Parneß war gar reich zum selbigen mal. Un nit lang dernach begab es sich, daß der Parneß gar arm war. Un war derzu ganz blind geworden. Un mußte Almosen nehmen un sein Weib mußte ihn führen vor alle die Türen, denn er ging vor alle reichen Häuser betteln. Un der Blinde war in allen Gassen bekannt, die in der Stadt waren, wie wol, daß er blind war. Un wenn nun die Frau an die Gaß kam, da der Rabbi Jojsse innen wohnt, da führet sie ihn nit herein. Da frägt er sein Weib: »Warum kehrst du allemal um, wenn du in die Gaß kommst, da Rabbi Jojsse drinnen wohnt, un führst mich nit vor Rabbi Jojsse seine Tür.« Denn ich hab gehört wie er so gern Zdoke gibt. Aber die gute Frau schämt sich unter sein Ponim (Angesicht) zu gehn, un verantwortet sich, sie wollt es nit mehr tun. Nun, sie tät es oftmal wieder. Zum letzten schlug sie der Blinde, daß sie ihn mußt vor Rabbi Jojsse seine Türe führen. Un die gute Frau schrie gar sehr un mußt ihrem Mann seinen Willen tun. Da hört sie Rabbi Jojsse nebbich schreien un sah zum Fenster heraus un sah, daß es sein voriges Weib war, der er hat Get gegeben. So derbarmt er sich über sie un gab ihr viel Zdoke (Almosen). Un tät sie alle beide neben sein Haus um bei ihm zu wohnen. Un er speist sie von seinem Tisch allsolang als sie lebten um zu bestätigen den Posuk (Vers) »un von deinem Fleisch nit sollst du vorhalten«. Aber das Weib, das Rabbi Jojsse jetzunder hat gehabt, das hat einen solchen Seder (Gewohnheit) an sich, daß allemal wenn ihr Mann an Freitag zunacht[246] aus der Schulen kam, da tragt sie ihm einen Becher mit Wein entgegen, daß er gleich zu Tisch mußt setzen un Kiddusch machen (Segen über den Wein), un daß er nit sollt zornig werden über sein Gesind. Also tat sie auch alle Erew Jomtef (Vorabend der Feiertage). Da nun die Zeit kam, daß Rabbi Jojsse sterben sollt, da kam der Malach hamowes (Todesengel) zu ihm in Gestalt von einem Menschen. Da saß Rabbi Jojsse un lernt. Da frägt Rabbi Jojsse ihn: »Was is dein Tun oder wer bist du?« Da sprach der Malach hamowes: »Ich bin geschickt von dem Heiligen, gelobt sei er, daß ich dir deine Neschome (Seele) soll nehmen. Denn deine Zeit is kommen, daß du sterben sollst.« Da sprach Rabbi Jojsse wieder zu ihm: »Ich weiß wol, daß du mir nix tun kannst, weil ich über dem Sefer (Buch) sitz un lern.« Da ging der Malach (Engel) wieder hinweg vor den Heiligen, gelobt sei er, un sagt: »Herr, all der Welt, du hast mich doch geschickt, dem Rabbi Jojsse haglili seine Neschome zu nehmen, un ich kann ihm nix tun, denn er sitzt un lernt stets in deiner heiligen Thauroh.« Da sprach der Heilige, gelobt sei er, wider den Malach hamowes: »Geh hin, un tu deine Kleider aus un tu deine underbärmlichen Kleider an, die du pflegst anzutun, wenn du den Leuten ihre Neschome nimmst. Un geh wieder zu Rabbi Jojsse.« Da tät es der Malach hamowes, wie ihn der Heilige, gelobt sei er, hat geheißen. Unsere Chachomim (Weisen) sagen, der Malach hamowes is so groß, daß er von der Erden an gereicht bis an den Himmel un is voller Augen von Haupt bis Füßen. Un wie er nun wieder kam zu Rabbi Jojsse, saß er wieder un lernt. Alsobald als ihn Rabbi Jojsse sah, da derschrak er vor ihm un sah wol, daß es der Malach hamowes war. Der Rabbi Jojsse fiel vor ihm nieder un sprach wider den Malach hamowes: »Lieber, wart nur ein klein wenig, denn ich will zu meinem Weib sagen, daß du da bist, denn ich kenn dich gar wol. Aber ich fercht mich vor dir gar nit, denn es steht in der Thauroh geschrieben, wer Thauroh lernt, der kauft das Leben.« Da sprach der Malach hamowes wider Rabbi Jojsse: »Es steht auch geschrieben, dein erster Vater hat gesündigt, un dein Fürsprecher hat gemistatet an mir.« Da Rabbi Jojsse den Posuk hört, da war er schwach geworden un sagt: »Ich will nun auch gern sterben, denn ich bin nit besser als meine Voreltern auch gewesen sind.« Da sprach der Malach hamowes wider Rabbi Jojsse: »Geh, sag es vor(her) deinem Weib un sag deinen Kindern deine Zewoe (Willen) kund wie sie sollen sich verhalten nach deinem Tod.« So ging er zu seinem Weib un sprach: »Mein liebes, frommes Weib, du mußt nun sehn, wie du dich dernährst, denn ich werde dich nimmer können dernähren in dieser Welt.« Da das Weib das hört, da sprach sie: »Mein herziger, lieber Mann, wie kommst du nun mehr dran als ein andermal? Du hast doch all deine Tag solche Rede nit geredet.« Da sprach Rabbi Jojsse wider: »Mein herzlieb[247] Weib, ich bin diesmal gezwungen derzu, denn ursachhalben ich muß gar einen weiten Weg von dir wandern.« Wie nun das Weib diese Rede von ihrem Mann hört, da hebt sie an zu weinen un wollt sich nit trösten lassen. Wie nun Rabbi Jojsse sah, daß sein Weib einen großen Jammer um ihn trieb, da sprach er: »Mein liebes Weib, das kann nit anderst sein. Aber das will ich dir tun, nach meinem Tod alle Erew Schabbes un Jomtef (Vorabend von Sabbath un Feiertag) zunacht, will ich wieder zu dir kommen un will dir Kiddusch (Segen über den Wein) machen, als wie ich bei meinem Leben auch getan hab.« Da ging ihm seine Neschome (Seele) aus, un ward begraben. Un die Chachomim machten einen großen Hesped (Trauerfeier) um ihn. Un wie es Freitag zunacht kam, daß man sollt Kiddsuch machen, so kam Rabbi Jojsse haglili un macht seinem Weib Kiddusch. Un wie er hat Kiddusch ausgemacht, so ging er seiner Straße wieder weg, un ißt un trinkt keinen Bissen. Nun, das trieb der Rabbi Jojsse gar lang. Un es war einmal an einem Freitag zunacht, da saß Rabbi Jojsse un macht seinem Weib Kiddusch gleich wie seine Gewohnheit war. Da gingen Leute vor seinem Fenster vorbei un hörten wie einer in ihrem Haus Kiddusch macht. Da sagten die Leute, die Frau hat gewiß einen fremden Mann in der Heimlichkeit bei sich, der ihr Kiddusch macht. Un zu morgens war die Geschichte in der Schul (Synagoge) verzählt. Un es ward den Rabbonim auch gesagt. Un da die Rabbonim solches hörten, da sagten sie, es is nit gut, daß wir solche Sachen sollen still schweigen, denn wir täten nit recht dran. So schickten sie nach der Frauen un sagten ihr wie man da solches nachsagt. Derhalben soll sie sich verantworten. Da sagt die Frau, das wär Scheker (Lüge), es wär kein fremder Mann in ihrem Haus gewesen, der ihr Kiddusch gemacht hat. Da sagten die Rabbonim: »Wie könnt ihr das leugnen? Es haben es zwei glaubhaftige Mannen gesehen.« Wie nun die gute Frau das sah, da konnt sie es nit leugnen. Da hebt sie an un sagt den Rabbonim die ganze Geschichte, wie ihr lieber Mann Rabbi Jojsse alle Freitag zunacht un alle Jomtef zunacht zu ihr kam un macht ihr Kiddusch. Da wollten die Rabbonim ihr nit glauben. Da sagt die Frau, man soll neiert warten bis Freitag zunacht, so werdet ihr's wol sehen. Nun, die gute Frau war sehr traurig um daß man sie solches verdächtigt. Wie nun wieder Freitag zunacht kam, da kam ihr Mann, Rabbi Jojsse wieder gleich wie seine Gewohnheit war. Da sah er wie sein Weib so gar traurig war un sie hat nix auf Schabbes gekocht. Da fragt er sein Weib, warum sie denn Freitag zunacht so gar traurig is, mehr als ein andermal. Da sagt sie ihm die ganze Geschichte wie es ihr war gegangen. Da sprach er wider sie: »Nit sei traurig deshalben un fercht dich nit, denn ich will die Sach selbert verantworten, daß sie mir werden müssen glauben.« Also ging der gute Mann Rabbi Jojsse haglili[248] mit seinem lieben Weib vor die Rabbonim. Un wie die Rabbonim den Rabbi Jojsse sahen, da derschraken sie gar sehr un fielen auf ihr Ponim (Angesicht). Da sprach Rabbi Jojsse: »Ihr Edim (Zeugen), stellt euch alle auf euere Füße un sagt, was ihr habt gesehen oder gehört. Denn ich bin der Mann, der ihr alle Freitag zunacht un alle Erew Jomtef zunacht hat Kiddusch gemacht. Un ich bin Rabbi Jojsse haglili un ihr wollt meinem frommen Weib ein böses Geschrei machen. Gott soll richten zwischen ihr un euch.« Da schwiegen sie alle still un niemand konnte eppes antworten vor großem Derschrecken. Un der Rabbi Jojsse sagt: »Derweil ihr mir nit antwortet, so will ich es bleiben lassen. Un jetzundert von demmal an werdet ihr mich oder mein Weib nit mehr sehen auf dieser Welt.« Un gingen so von ihnen weg, un die gute Frau war noch sehr traurig. Nit lang dernach sterbt sie auch. Gott soll uns ihrer beider Sechus (Verdienst) lassen genießen un unseren Moschiach (Messias) her schon schießen. Omen. Seloh.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 245-249.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishaden. Indische Philosophie Band 5

Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishaden. Indische Philosophie Band 5

Die ältesten Texte der indischen Literatur aus dem zweiten bis siebten vorchristlichen Jahrhundert erregten großes Aufsehen als sie 1879 von Paul Deussen ins Deutsche übersetzt erschienen.

158 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon